Welche Wirkung können Tsunamis in Indonesien entfalten? Welche Küstenabschnitte wären im Ernstfall vorrangig betroffen? Wieviel Zeit bleibt, um sich nach einer Tsunami-Warnung in Sicherheit zu bringen? Bisher waren diese Tsunami-Simulationen nur für die Experten der Frühwarn-Zentren und Forschungsinstitute zugänglich. Das Alfred-Wegener-Institut (AWI) macht nun mit dem Tsunami-WebGIS (Webbasiertes Tsunami-Geoinformationssystem) einen Teil der Berechnungen anhand einer anschaulichen und öffentlich zugänglichen Anwendung nachvollziehbar. Die Forscher des AWI stellen damit die Datenprodukte des Sundagrabens zur freien Verfügung – eine der gefährlichsten Subduktionszonen der Erde, in der auch die bekannte Ferieninsel Bali liegt.

Indonesien ist das Land mit der größten Tsunami-Gefährdung weltweit. In den vergangenen zweihundert Jahren sind rund zwei Drittel aller weltweiten Todesfälle, die auf einen Tsunami zurückzuführen sind, auf indonesischem Territorium zu beklagen. Der Sundagraben verläuft dicht vor der indonesischen Küste nahezu küstenparallel, unter anderem westlich der Insel Sumatra. Sumatra ist die Insel, die von dem verheerenden Tsunami 2004 am stärksten betroffen war. Weiter südlich zieht sich diese Tiefseerinne entlang Java, mit mehr als 140 Millionen Einwohnern eine der am dichtesten besiedelten Inseln der Welt. Und auch Bali, das jährlich von mehr als vier Millionen Touristen besucht wird, muss die Auswirkungen eines Bebens in der Subduktionszone fürchten. Entlang des indonesischen Archipels über eine Länge von mehr als 3000 km schiebt sich dort die Indisch-Australische Platte unter die Eurasische Platte (Sundaplatte). Diese Bewegung führt immer wieder zu heftigen Beben. Besonders gefährlich sind Bewegungen mit einer vertikalen Komponente. Diese heben plötzlich große Wassermassen an und können zu Tsunamis führen.

Vielfältige Anwendung möglich

Die in der neuen WebGIS-Anwendungen enthaltenen Daten entsprechen den theoretisch möglichen Szenarien für die unterschiedliche Intensität von Beben. Die interaktive Karte kann in Schulen eingesetzt werden, um zu zeigen, was im Falle eines schweren Seebebens vor der Küste Indonesiens passieren könnte. Interessierte Medien können im Falle eines Bebens auf die Karte zurückgreifen, um den möglichen Verlauf eines Tsunami zu visualisieren oder auch zu simulieren. Die Karte dient aber auch zur Sensibilisierung von Indonesien-Reisenden, um sich im Falle eines Tsunami richtig zu verhalten. Begleitend dazu hat die Wissensplattform „Erde und Umwelt“ der Helmholtz-Gemeinschaft entsprechende Reise-Tipps zur Verfügung gestellt (Kandarr & Lauterjung, 2017).

Auch die Öffentlichkeit vor Ort soll von der einfachen und anschaulichen Darstellung profitieren. Die Karte samt Anleitung ist daher in englischer Sprache verfügbar. So kann das Tsunami-WebGIS auch als Anschauungsmaterial für das Fachpersonal und Beschäftige vor Ort in Indonesien eingesetzt werden. Mitarbeiter des indonesischen Frühwarnzentrums sind bereits von dem Konzept begeistert und planen die Anwendung für Schulungsmaßnahmen einzusetzen. 

Wie die interaktive Karte für Indonesien funktioniert

Grundsätzlich kann in dem abgebildeten Gebiet für unterschiedliche Seebeben-Stärken der jeweilige Verlauf eines anschließenden Tsunami ortsgenau simuliert werden. Jeder Nutzer kann das Epizentrum am Sundagraben und die Magnitude des Bebens (7,2–9,0; je nach potentiellem Epizentrum) selbst auswählen. Die Simulation zeigt dann, wo eine Tsunami-Welle nach welcher Zeit eintrifft. Damit wird der Zeitkorridor berechnet, der Menschen vor Ort bleibt, um sich in Sicherheit zu bringen. Anhand der Farbabstufung ist die potentiell mögliche Wellenhöhe leicht auszumachen. Selbst für Laien wird schnell klar, dass jedes Beben seine ganz eigene Charakteristik hat. Die Karte macht lokale Besonderheiten deutlich. Schützt eine vorgelagerte Insel das Festland, oder verstärkt sie die Gefährdung durch sich überlagernde Wellen? Wie stark stauen sich die Wassermassen in einer Bucht? All diese Berechnungen finden im Hintergrund statt. Die Integration weiterer Simulationen ist geplant, bei der auch historische Tsunamis in dem System erfasst werden sollen. Dadurch wird auch in Blick in die Vergangenheit möglich, in der Indonesien immer wieder von schweren Überschwemmungen betroffen war, die durch Seebeben verursacht wurden.

Bestandteil der Simulationen sind theoretische Epizentren und mögliche Magnituden im Sundagraben vor Indonesien. Die der Anwendung zugrundeliegende Datenbank ist im Rahmen eines großen deutsch-indonesischen Kooperationsprojekts zum Aufbau eines indonesischen Tsunami-Frühwarnsystems (GITEWS: German-Indonesian Tsunami Early Warning System) und dem Nachfolgeprojekts PROTECTS entstanden. Die Tsunami-Modellierungsgruppe des AWI hatte eine Datenbank mit ca. 4500 Tsunami Simulationen für das indonesische Tsunami-Frühwarnsystem (InaTEWS) aufgesetzt, die mit dem Tsunami Modell TsunAWI gerechnet wurden. Weitere Simulationen für den Nordosten Indonesiens wurden von der australischen Regierung bis 2017 gefördert und zusammen mit den Kollegen vom BMKG umgesetzt. Dadurch können nun 15 Gräben mit über 17000 Simulationen abgedeckt werden.

Ausführliche Informationen wie Wissenschaftler die Tsunamis modellieren, finden sich in unserem ESKP-Artikel „Ausbreitung von Tsunami-Wellen“ (Rakowsky, 2015). Im Rahmen von ESKP wurde nun ein Teil der Simulationsdaten in eine interaktive GIS-Anwendung, das Tsunami-WebGIS, auf der vom AWI bereitgestellten Plattform maps@AWI überführt. Generell bietet die Plattform maps@AWI die Möglichkeit wissenschaftliche georeferenzierte Daten einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Dies zu verschiedensten Themen wie Permafrost, marinen Säugetieren, Müll oder auch dem Meeresboden. Die nun verfügbare spezielle Tsunami WebGIS-Anwendung ist hier abrufbar. Erstmals können sich auch Fachfremde und Nichtwissenschaftler einen Einblick in die Tsunamimodellierung am AWI und Abschätzungen über die Auswirkungen eines Seebebens vor Indonesien verschaffen.

Referenzen

  Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. (2013-2020). TsunAWI Simulations in the Indonesia Tsunami Early Warning System [Webbasiertes Tsunami-Geoinformationssystem, maps.awi.de]. Aufgerufen am 02.09.2020.

  Kandarr, J. & Lauterjung, J. (2017, 04. Juli). „Tempat Evakuasi Sementara“ rettet beim Tsunami Leben. Earth System Knowledge Platform [eskp.de], 4. Aufgerufen am 08.03.2018.

  Lauterjung, J. (2018). Tsunami-Frühwarnsystem für die bevölkerungsreichste Insel der Welt [Interview]. ESKP-Themenspezial Metropolen unter Druck. So werden Städte zukunftsfähiger [themenspezial.eskp.de]. Aufgerufen am 12.06.2018.

  Rakowsky, N. (2015, 16. Februar). Ausbreitung von Tsunami-Wellen. Earth System Knowledge Platform [eskp.de], 2. Aufgerufen am 08.03.2018.

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