Mai bis August - das ist die Gewittersaison in Mitteleuropa. Jedes Jahr entwickeln sich in Deutschland Tausende von Gewittern, die mehrere Millionen Blitzentladungen produzieren können und nicht selten auch mit Orkanböen, großem Hagel und sintflutartigen Regenfällen einhergehen. Als Treibstoff für heftige Gewitter dient der Wasserdampf in der Atmosphäre. Je feuchter und wärmer die Luft ist, desto mehr Energie steht zur Verfügung. Allerdings genügt ein voller Tank alleine noch nicht, um ein Fahrzeug vorwärts zu bewegen. Es bedarf eines Motors, im Falle von Gewittern ist das häufig eine kräftige Sonneneinstrahlung, die den Boden aufheizt, die Luft zum Aufsteigen veranlasst und das Gemisch zündet. Und zusätzlich kann als treibende Kraft eine Tiefdruckentwicklung in Erscheinung treten, wie es am vergangenen Wochenende, dem 29. Mai 2016, der Fall war.
Entwicklung
Bereits an den Vortagen entwickelten sich in sehr feuchter Luft immer wieder zum Teil heftige Gewitter in Deutschland, die mancherorts Starkregen und sogar große Mengen kleinkörnigen Hagels brachten. Im Laufe des Samstags setzte zunächst über Frankreich, zum Sonntag hin auch über Deutschland nördlich der Alpen Druckfall ein und in der Nacht zum Montag überdeckte das Tiefdruckgebiet "Elvira" schließlich ganz Deutschland.
Über dem Süden Deutschlands bildeten sich im Tagesverlauf am Sonntag zunächst einzelne, später zahlreiche Gewitter, die bis zum Abend zu einem riesigen Wolken- und Niederschlagskomplex zusammenwuchsen. Er erstreckte sich über den Westteil Bayerns und ganz Baden-Württemberg und verlagerte sich in der Nacht und am Montag schließlich nach Westen Richtung Frankreich.
Niederschlagsmengen
Die größte Wetteraktivität trat am Ost- und am Nordrand des Wolkenkomplexes auf, wo sich blitzreiche Gewitter entluden und stellenweise innerhalb kurzer Zeit mehr als 100 mm Regen niederging. Besonders betroffen waren Gebiete in Franken, in Baden-Württemberg vor allem die Flussgebiete von Kocher, Jagst, Rems und Riß.
Eng begrenzte enorme Niederschlagsmengen führen zu Sturzfluten, die vor allem kleinere Bäche und Flüsse innerhalb kürzester Zeit zu reißenden Strömen anschwellen lassen und über die Ufer treten. In Mündungsbereichen treffen die Hochwasserscheitel mehrerer Bäche und Flüsse aufeinander und führen hier besonders rasch zu größeren Überschwemmungen. In topographisch gegliedertem Gelände, also in hügeligen Gebieten kommt es zudem häufig zu Erd- und Hangrutschungen.
An manchen Pegeln stieg der Wasserstand innerhalb von 2 Stunden um mehrere Meter an, an der Rems in Schwäbisch Gmünd beispielsweise von 25 cm auf 270 cm. In Mittelfranken legte der Pegel der Zenn in Stöckach innerhalb von 5 Stunden von 159 cm auf 389 cm zu. Einen neuen Rekord verzeichnete der Kocher am Pegel Stein, wo der bisherige Höchststand von 505 cm um 23 cm übertroffen wurde. Die Wiederkehrperioden der Hochwasserstände lagen an etlichen Flüssen zwischen 20 und 100 Jahren.
Mit Ende des Sturzregens reagieren die Pegel der kleineren Bäche und Flüsse fast sofort und fallen rasch wieder. Die Überschwemmungen sind in der Regel nicht von längerer Dauer. Flussabwärts ebbt die Hochwasserwelle zudem rasch ab und bereits wenige Kilometer weiter zeigen die Pegel einen nur noch moderaten Anstieg. Der Pegel der Rems in Schwäbisch Gmünd beispielsweise erreichte einen Wert mit einer Wiederkehrperiode von knapp 50 Jahren, 20 Kilometer flussabwärts trat in Schorndorf nur noch ein etwa 5-jähriges Hochwasserereignis auf.
Niederschlagsmengen
Ort | 24h- Niederschlagsmenge bis 30.05., 06 UTC |
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Gundelsheim (BW) | 122.1 mm |
Möckmühl (BW) | 102.0 mm |
Wilhelmsfeld (BW) | 101.1 mm |
Kirchberg/Jagst-Herboldshausen (BW) | 94.0 mm |
Crailsheim (BW) | 92.0 mm |
Ellwangen-Rindelbach (BW) | 86.5 mm |
Bullay-Kläranlage (RP) | 84.5 mm |
Eibenstock-Talsperre (SN) | 83.3 mm |
Mulfingen/Jagst (BW) | 82.5 mm |
Birkenau (HE) | 82.0 mm |
Auswahl von Niederschlagsmengen an Stationen in Deutschland von Sonntag, 29.05., 06 UTC, bis Montag, 30.05.2016, 06 UTC. Daten : DWD, LUBW. (BW: Baden-Württemberg; HE: Hessen; RP: Rheinland-Pfalz; SN: Sachsen)
Einordnung
Immer wieder kommt es im Sommer in Mitteleuropa zu lokal eng begrenzten extremen Regenmengen von mehr als 100 mm innerhalb einer oder wenigen Stunden. Die Ausmaße der Überschwemmungen und der Zerstörungen können enorm sein, betreffen aber selten Flächen von mehr als einigen Hektar oder wenigen Quadratkilometern. Vor einem Jahr setzte ein stationäres Gewitter die Stadt Bretten in Baden-Württemberg teilweise unter Wasser, ganze Stadtteile Dortmunds standen am 26. Juli 2008 nach 203 mm Regen in nur 4 Stunden unter Wasser. Und 1994 richtete eines der intensivsten Niederschlagsereignisse in Deutschland überhaupt Verwüstungen in Oppenau im Schwarzwald und im Renchtal an – innerhalb von nur 75 Minuten fielen 177 mm Regen.
Hochwasser ist nicht gleich Hochwasser
Während einzelne Gewitter zwar extreme Schäden durch Überschwemmungen und Sturzfluten anrichten können, bleiben die Auswirkungen eng begrenzt. Im Vergleich zu den großen Flusshochwässern wirken diese allenfalls wie Nadelstiche. Die Hochwasserereignisse an Elbe und Donau der Jahre 2002 und 2013 sind noch in guter Erinnerung. Sie kommen nur zustande, wenn großflächig enorme Niederschlagsmengen niedergehen. Die Regenintensitäten erreichen dabei bei Weitem nicht die Werte wie sie bei Gewittern auftreten. Dafür halten sie viele Stunden, ja manchmal tagelang an und sorgen in der Summe für wesentliche größere Abflussmengen, die letztlich dann auch in den großen Strömen zu extremen Hochwässern führen.
Weiterführende Informationen
Wettergefahren-Frühwarnung des Center for Disaster Managment and Risk Reduction Technology am Karlsruher Institut für Technologie). Link
Wettergefahren-Frühwarnung: Ereignis Mai 2016. Link
Text: Bernhard Mühr unter Mitarbeit von: Marcel Buchholz, Sven Baumstark, Jan Wandel, Florian Becker (alle Karlsruher Institut für Technologie)
Text und Daten in Kooperation mit CEDIM, einer interdisziplinären Forschungseinrichtung des Karlsruher Instituts für Technologie.