Rund zwei Millionen Kubikmeter Erd-und Gesteinsmassen haben sich am 26. April 2004 an einem Hang unweit des Dorfes Kainama im Süden Kirgistans gelöst. Große Teile der Ortschaft wurden bei dem Unglück verschüttet, 33 Menschen fanden den Tod. Das Volumen der abgerutschten Massen entspricht in etwa dem Fassungsvermögen von zwei Millionen vierrädrigen Hausmüllcontainern.
Solche Hangbewegungen riesigen Ausmaßes sind kein Einzelfall. Sie konzentrieren sich weltweit vor allem im Bereich der tektonisch aktiven Kontinentalränder, die auch Heimstatt der höchsten Gebirgsregionen der Erde sind. Nach einer Studie der Durham University in Großbritannien kamen im Zeitraum von 2004 bis 2010 mindestens 32.322 Menschen durch Hangrutschungen ums Leben. Die wirklichen Zahlen liegen jedoch höher, da Hangrutschungen häufig in Kombination mit anderen Natugefahren wie z. B. Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Überflutungen auftreten. Für die Zukunft wird aufgrund der steigenden Bevölkerungszahl und einer weltweit zunehmenden Technisierung wie beispielsweise durch den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur mit einem erhöhten Risiko durch diese Naturgefahren gerechnet.
Solche "hangabwärts gerichteten, bruchlosen und bruchhaften Verlagerungen von Fels- und/oder Lockergestein unter der Wirkung der Schwerkraft" werden als gravitative Massenbewegungen bezeichnet. Sie treten unter anderem in Form von Hangrutschungen, Felsstürzen und Muren auf. Die Ursachen für Naturgefahren dieser Art sind vielfältig. Sowohl Starkniederschläge als auch Erdbeben können zur direkten Auslösung von Massenbewegungen führen. Allerdings sind es zumeist keine Einzelfaktoren, sondern komplexe Wirkungsgefüge, die für die Entwicklung von gravitative Massenbewegungen verantwortlich sind. Zu diesen Faktoren zählen unter anderem geologisch-tektonische Strukturen, Reliefeigenschaften, Grundwasserverhältnisse und menschliche Eingriffe (z. B. Bergbauktiviäten). Massenbewegungen stehen zudem oft in Verbindung mit anderen Prozessen wie Erdbeben, Vulkanausbrüchen oder Überschwemmungen.
Böschungsabbruch in Nachterstedt 2009
In Deutschland ist das Risiko, das von gravitativen Massenbewegungen ausgeht, relativ gering. Nur rund 10 Prozent der Fläche werden als gefährlich eingestuft. Gefährdete Gebiete befinden sich vor allem in den Alpen, aber auch auf der schwäbischen und fränkischen Alp sowie entlang der Steilküsten der Nord- und Ostsee. Eine Zunahme von Ereignissen durch den Einfluss des Klimawandels konnte beispielsweise für das Gebiet der Alpen bisher nicht festgestellt werden.
Auch wenn das Risiko für Deutschland insgesamt gering ist, gab es in der jüngeren Vergangenheit Ereignisse, bei denen Todesopfer zu beklagen waren bzw. Sachschäden entstanden sind. Als das tragischste Ereignis der jüngsten Vergangenheit gilt der Böschungsabbruch am Concordiasee im Harzvorland bei Nachterstedt. Am frühen Morgen des 18. Juli 2009 stürzten ca. 1,4 Mio. Kubikmeter Erdmassen in das geflutete ehemalige Tagebaurestloch. In der Abrutschzone wurden zwei Häuser in die Tiefe gerissen, wobei drei Menschen den Tod fanden. Inzwischen ist die Unglücksursache weitgehend geklärt.
Auch die Deutsche Bahn hat immer wieder Probleme mit Hangrutschungen. So ist beispielsweise im Ruhrgebiet eine S-Bahnstrecke zwischen Solingen und Remscheid aufgrund einer Hangrutschung bis Ende Februar 2015 gesperrt.
Die große Vielfalt und hohe Komplexität von gravitativen Massenbewegungen stellen für die Gefährdungseinschätzung eine große Herausforderung dar und machen eine genaue Vorhersage schwierig. Aktuelle Forschungen sind auf ein verbessertes Prozessverständnis und die Entwicklung von effektiven Methoden für die Gefährdungseinschätzung ausgerichtet. Am Deutschen GeoForschungsZentrum werden gravitative Massenbewegungen multidisziplinär erforscht, wobei ein regionaler Schwerpunkt auf Zentralasien liegt.
Die Forschungen umfassen z. B. Experimente mit skalierten Analogmodellen, bei denen mit geeigneten Materialien gravitative Massenbewegungen im Labormaßstab nachgestellt und mittels Skalierungsgesetzen auf die Natur übertragen werden. Weiterhin werden geologische, geomechanische und seismische Untersuchungen zum besseren Verständnis von Hangbewegungen durchgeführt. Außerdem werden die Möglichkeiten des Einsatzes fernerkundlicher Methoden für eine effektive Erfassung und Beobachtung von Massenbewegungen untersucht. Gemeinsames Ziel dieser Arbeiten ist die Entwicklung von verbesserten Methoden für die Gefährdungseinschätzung und Frühwarnung, die in unterschiedlichen Regionen der Erde einsetzbar sind.
Text: Karl Dzuba (GFZ); fachliche Durchsicht: Dr. Sigrid Roessner (GFZ), Dr. Matthias Rosenau (GFZ)
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Forschungsfeld Naturgefahren am Deutschen Geoforschungszentrum