Immer mehr Reisende wählen unbewusst Tsunami-gefährdete Regionen als Urlaubsziel. Die große Nachfrage nach diesen Orten beflügelt die Entwicklung einer noch dichteren Tourismusinfrastruktur, insbesondere in Strandnähe. Ein Grund für die KIT-Forscher Andreas Schäfer und Dr. James Daniell vom Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM) das Tsunami-Risiko von 24.000 Stränden samt ihrer wirtschaftlichen Relevanz unter die Lupe zu nehmen. Ihr Ergebnis: Der mögliche wirtschaftliche Verlust für die touristische Infrastruktur könnte weltweit bis zu 250 Millionen Dollar pro Jahr betragen.

Insbesondere für Reiseziele an der Ostküste Mittel- und Südamerikas hätte ein Tsunami drastische Konsequenzen, Afrikas Strandtourismus hingegen ist vor dieser Gefahr weitgehend gefeit. Eine gefährdete Infrastruktur ist vor allem über ihre Nähe zum Meer und ihre niedrige Lage (wenige Meter über dem Meeresspiegel) definiert.

Südwestliche Türkei und Hellenischer Bogen potentiell gefährdet

In Europa sticht das Risiko in der südwestlichen Türkei (zwischen Izmir und Antalya) durch seine Nähe zum Hellenischen Bogen, der sich südlich vom Peloponnes über Kreta bis über Rhodos erstreckt, heraus. In der Türkei spielen dabei zwei Aspekte eine große Rolle. Zum einen gibt es eine sehr ausgeprägte Tourismus-Industrie mit hohen Sachwerten. Zum anderen sind Tsunamis in der Ägäis kein häufiges und somit weithin bekanntes Ereignis, so dass Touristen wahrscheinlich gerade hier eine solche Gefahr unterschätzen.

Die Wiederkehrperioden in der Ägäis sind jedoch, und das dürfte einige Leser erstaunen, ähnlich wie in Thailand (Größenordnung von ca. 1000 Jahren), auch wenn die möglichen auslösenden Erdbeben etwas kleiner sind und ein Tsunami regionaler ausfallen würde. Die letzten großen Tsunamis, ausgelöst von Erdbeben über Magnitude 8, ereigneten sich im August des Jahres 1303 und im Juli 365, jeweils im Osten und Westen des Hellenischen Bogens.

Im östlichen Mittelmeerraum spielen demnach diese seltenen Einzelereignisse eine herausragende Rolle. Auch im Norden Ägyptens und in der gesamten Ägäis muss mit größeren Schäden durch derartige Tsunamis gerechnet werden, wobei allerdings in dieser Region die Tourismuswerte etwas geringer sind bzw. sie sich anders über die Region verteilen.

Internationaler Reiseboom in Hoch-Risikoländer

International boomen als Reiseländer mit einem hohen Risiko für Tsunamis vor allem die Staaten Südostasiens und Süd- und Mittelamerikas. Der Tourismusmarkt verzeichnet in diesen Regionen ein überdurchschnittliches Wachstum. Die Daten der Welt-Organisation für Tourismus der Vereinten Nationen sind hierzu sehr verlässlich. Insbesondere Thailand und Mexiko sind als außereuropäische Ziele überaus beliebt, auch bei den Deutschen.

Darüber hinaus gehören einige karibische Staaten, aber auch Indonesien – hier vor allem Bali – und die USA zu favorisierten Reisezielen, wobei die USA nur zum Teil Tsunami-Risikoland ist. Vor allem die Bewohner und Besucher Hawaiis erleben neben Hurrikans und Tsunamis auch fünf nach wie vor sehr aktive Vulkane. Hawaii ist vielen moderaten Tsunamiwellen ausgesetzt. Dementsprechend geschult und gewohnt gehen die Einheimischen mit diesen Ereignissen um. Auch an der Westküste der USA muss mit Erdbeben und in der Folge auch Tsunamis gerechnet werden. Abgesehen davon sind Länder wie Chile und Kolumbien touristisch gesehen Wachstumsmärkte, die einer nicht zu unterschätzenden Gefahr durch verschiedene Naturkatastrophen ausgesetzt sind.

Wie bewältigt die Tourismusindustrie die Folgen von Tsunamis?

Nach Tsunami-Ereignissen wie im Dezember 2004 im Indischen Ozean blieb ein beträchtlicher Anteil der Urlauber der ganzen Region fern. Valide Zahlen gibt es hierzu allerdings nur vereinzelt. Auf den Malediven mussten beispielsweise in Folge des Tsunamis mehr als 20 Prozent aller Strandresorts schließen. In der Provinz Phang Nga und auf der Insel Phuket in Thailand waren es jeweils zwei Drittel beziehungsweise ein Viertel der Hotels, die innerhalb eines halben Jahres gezwungenermaßen ihren Betrieb aufgeben mussten.

Doch in der Regel kommen die Touristen schnell wieder – sofern Infrastruktur vorhanden ist. Alles hängt von der Wiederaufbauphase ab. Manche Orte haben nur wenige Monate mit den Folgen zu kämpfen, anderenorts wie in Aceh (Indonesien) waren es jedoch annähernd 10 Jahre. Die Risiken in aller Welt müssen ständig neu bewertet werden. Oft schlägt sich eine Katastrophe auch nur eine Saison lang in den Touristenzahlen nieder. Die größten Verluste im Verhältnis zur lokalen Wirtschaftsleistung haben potentiell vor allem Inselstaaten. Ausnahmen in den Top 10 des KIT-Rankings bilden einzig die Region Los Lagos in Chile, die Stadt Valparaíso unweit der chilenischen Hauptstadt sowie die Region Gascoyne in West-Australien.

Auf touristische Entwicklung von Hoch-Risikogebieten verzichten?

Ein bewusster Verzicht der touristischen Entwicklung dieser Hochrisiko-Gebiete für Tsunamis wäre sicherlich unwirtschaftlich, sagt Andreas Schäfer, der Co-Autor der Studie des KIT. Im Verhältnis zu den großen weltweiten Einnahmen durch Strandtourismus fallen die Tsunamirisiken gesamtwirtschaftlich eher gering aus. In Bezug auf die Liste mit den relativen Verlusten betragen selbst in den risikoreichsten Lagen die potentiellen wirtschaftlichen Verluste letztendlich weniger als ein Prozent des lokalen Bruttoinlandsprodukts. Viele dieser Risikoregionen sind auf den Tourismus als primären Wirtschaftsfaktor angewiesen. Daher wäre ein bewusstes Aussparen der touristischen Entwicklung dieser Regionen nie umsetzbar.

Betrachtet man ausschließlich Tsunamis, bringen vorbereitende und aufklärende Maßnahmen in den meisten Regionen bereits sehr viel. Hotels, Geschäfte und Gemeinden in der Nähe von Stränden können ihren eigenen Beitrag leisten, um Anwohner, Beschäftigte und Gäste zu schützen. Zu einer angemessenen Vorbereitung gehören Frühwarnungssysteme, ausgeschilderte Evakuierungsrouten ebenso wie ein geschultes Personal und Notfallpläne in den Hotels. Ist beispielsweise ein Notstromaggregat vorhanden oder steht ausreichend Erste-Hilfe-Material zur Verfügung? Das sind wichtige Details. Eine gewisse Grundwahrnehmung für die Risiken durch Naturkatastrophen - seien es nun Tsunamis, Erdbeben wie kürzlich in der Nähe von Bali oder Hurrikans wie im vergangenen Jahr - sollte jeder Urlauber verinnerlichen, ähnlich wie es viele Menschen beim Punkt Kriminalität oder Terrorismus tun. Damit ließe sich viel bewirken.

Ob ein Hotel nach einem Tsunami noch nutzbar ist, ist dann eher zweitrangig. Versicherungen können hier greifen und Schäden abdecken. Bei einem Tsunami steht die Sicherheit von Menschen an erster Stelle. Und dennoch fatal ist: Es gibt zwar Versicherungspolicen für Naturkatastrophen, allerdings sind diese kaum in Verwendung, vor allem nicht dort, wo sie gebraucht werden. Meistens werden Tsunamis als Flutkatastrophen gedeckt, wie beispielsweise auf Hawaii. Konkrete Zahlen gibt es hierzu jedoch nicht. Die Vermutung der Experten ist, dass weltweit nur ein kleiner Anteil der Tourismus Infrastruktur ausreichend gegen Naturkatastrophen versichert ist.

Ausblick: Küstenschutzmaßnahmen werden zukünftig miteinbezogen

Die Ergebnisse dieser Studie, die bei der European Geosciences Union im April 2018 erstmals vorgestellt wurden, stellen nur den ersten Schritt einer größeren Untersuchung dar. Aktuell wird die Methode weiterentwickelt und verfeinert, um beispielsweise auch Küstenschutzmaßnahmen besser miteinbeziehen zu können. Anfangs wurde daher auch ein Land wie Japan, welches über einen außerordentlich guten Küstenschutz verfügt, von der Betrachtung ausgenommen.

Es wird zudem einen Vergleich mit anderen Katastrophentypen wie Hurrikans geben, um die Relevanz der einzelnen Katastrophentypen klar nebeneinander darstellen zu können. Darüber hinaus werden die Datenbanken unablässig erweitert und ausgebaut. Diese erste Analyse dient als Basis, um überhaupt die Größenordnung der Risiken von Tsunamis für den Tourismus besser beziffern zu können.

Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM).
CEDIM ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung des KIT.

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