Eigentlich ist Tobias Dürig im Rahmen des EU-Projekts "FUTUREVOLC supersite" nach Island gekommen, um dort an der University of Iceland ein Beobachtungssystem und -Netzwerk für explosive isländische Vulkanausbrüche aufzubauen. Besonders nach den Eruptionen in 2010 (Eyjafjallajökull) und 2011 (Grìmsvötn) wurden deren Gefahren für Europa deutlich. Das Projekt soll dazu beitragen, die Vorhersagemodelle für Ascheemissionen zu verbessern.
Um bei einer explosiven Vulkaneruption Entscheidungen bezüglich der Schließung der Lufträume zu treffen, müssen schnellst möglich die Förderraten an pyroklastischem Material und die mögliche Höhe der Eruptionswolke abgeschätzt werden. Anhand solcher Informationen wird die Aschenverbreitung modelliert. Beim Ausbruch des Eyjafjallajökull in 2010 konnten diese nicht zeitnah und akkurat bestimmt werden. Es entstanden unnötige wirtschaftliche Schäden. Dies soll in Zukunft vermieden werden.
Es gibt viele verschiedene Messmöglichkeiten, um die Förderraten zu bestimmen. Durch weltraum- luft und bodengestützte Überwachungssysteme werden Daten gesammelt. Als studierter Physiker ist Dürig in der Lage, die verschiedenen Messsysteme vergleichend zu bewerten und deren Schwachstellen und Fehlerquellen zu erkennen. Welchem System kann mehr getraut werden? "Ich werte diese Daten statistisch aus und entwickle so ein Schätzsystem auf Metaebene," erklärt der Wissenschaftler. Im Falle einer explosiven Eruption soll das Vulkanasche Warnzentrum (VAAC) mit Informationen versorgt werden, welches wiederum die jeweiligen Behörden bezüglich einer Sperrung der Flugräume berät. Zu den Systemen und Sensoren gehören Webcams, X-band Radar, Infrasound, Blitzsensoren, elektrische Feldsensoren (Abschätzung der Förderraten über Reibungselektrik der Aschepartikel) sowie Gassensoren. Zudem werden Tephrafallen als automatisierte Boxen aufgestellt. Von Kollegen des Deutschen Geoforschungszentrums (GFZ) gestellte Kameras sind mit Elektrosensoren ausgestattet, die im Falle eines Ausbruchs hochauflösende Fotos von der Aschewolke machen können. Wenn dies synchron aus unterschiedlichen Perspektiven während eines Eruptionspulses geschieht, kann hieraus das Volumen der Eruptionswolke abgeschätzt werden. Über Infrarotkameras wird deren Temperatur bestimmt.
Für das EU-Projekt standen Vulkane mit drohenden, explosiven Eruptionen im Vordergrund: Hekla, Eyjafjallajökull, Katla und Grímsvötn.
Doch dann begann die Eruption Bardarbungas
Die Eruption des Bardarbungas drohte von einer effusiven zu einer explosiven umzuschwenken. Die Sensoren und Überwachungsgeräte mussten von den anderen Vulkanen zum Bardarbunga umgestellt werden, so dass sie im Falle eines explosiven Ausbruchs für das Notfallsystem hätten genutzt werden können.
Den aktuellen Ausbruch so gut wie möglich zu überwachen und zu dokumentieren war das vordringliche Ziel. Zur Analyse der Eruptionsentwicklung ist die Berechnung der Magmaausflussmenge nötig. Die Wissenschaftler mussten die flächenmäßige Ausbreitung und die Mächtigkeit kennen, um das Volumen der ausströmenden Lava zu messen. Die Ausbreitung des Lavafeldes lässt sich leicht mit Hilfe von Satellitenaufnahmen bestimmen. Die Mächtigkeit ist hingegen schwierig zu messen, da die abgelegenen Teile der aktiven Lavafelder nicht erreichbar sind und vom Rand des Lavafeldes, die Mächtigkeit in dessen Mitte nicht bestimmt werden kann.
In nur 70 Meter Höhe über das Lavafeld
Aus diesem Grund sind Dürig und seine Kollegen mit einem kleinen Flugzeug, welches mit einem Tiefflugradar inklusive kinematischem GPS-Altimeter ausgestattet ist, im Tiefflug (bis 70 m) über das aktive Lavafeld geflogen. Hierdurch konnten die Wissenschaftler georeferenzierte Höhenprofile der Oberfläche des Lavafelds erhalten. Die Flüge wurden von der Isländischen Zivilluftfahrt Behörde (ISAVIA) durchgeführt.
An verschiedenen Tagen wurden über das Lavafeld wiederholt Profile geflogen und dann zwischen den Zeitpunkten interpoliert. Aus den unterschiedlichen Oberflächenhöhen lässt sich auf die Lavamächtigkeit schließen. Hieraus wird die Zunahme des Lavafeld-Volumens berechnet.
Um die Richtigkeit der Messungen aus der Luft zu überprüfen, wurde von einem Wissenschaftlerteam am Boden ein Profil eines seit wenigen Wochen inaktiven Lavafelds abgelaufen. Die Wissenschaftler waren mit einem transportablen kinematischen GPS ausgestattet, womit sie ein genaues Höhenprofil erstellen konnten. Dasselbe Profil wurde zur gleichen Zeit vom Flugzeug überflogen und mit dem Radar die Höhen bestimmt. Erstaunlicherweise ergab sich ein systematischer Fehler von 3-4 m, welcher sich nur auf das Lavafeld bezog und nicht auf die Umgebung. Dies ist vermutlich durch die raue Oberfläche des Lavafeldes zu erklären, die zu Reflektionen der Signale führt und diese somit streut. Da der Fehler jedoch systematisch ist, konnte er bei der Auswertung der Daten nun mit eingerechnet werden.
Während der Tiefflüge hat der deutsche Wissenschaftler Tobias Dürig durch ein offenes Fenster aus dem Gepäckabteil heraus Videos, Fotos und thermische Infrarotaufnahmen von der Eruptionsstelle gemacht. Oftmals fließt die Lava in Lavaröhren. An manchen Stellen entstehen Löcher und Fenster. Durch diese kann die fließende Lava mit Infrarotmessungen identifiziert werden.
Zudem wurden Flüge über den Vatnajökull durchgeführt, bei denen der Gletscher inspiziert wurde. Ist ein Absinken der Bardarbunga Caldera sichtbar? Sind neue Einbruchkrater im Eis zu erkennen? Diese wäre ein Hinweis für ein Schmelzen unter dem Gletscher. Daher wurden die Flugzeuge von der Küstenwache bereitwillig bereitgestellt. Für sie war von Interesse, ob es zu einem Schmelzwasserausbruchsereignis (Jökulhlaupt) kommen würde. Ein solches wäre möglich, sobald ein Einbruch im Gletscher zu erkennen ist. Bei der Bardarbunga Eruption kam es zwar zum Einsacken des Eises, dieses war jedoch auf das langsame Absinken der Caldera zurück zu führen, das durch das darunter abgetragene Magma entstand. Da jedoch keine heiße Gesteinsschmelze an die Oberfläche austrat, kam es auch zu keinem Schmelzereignis und somit zu keiner Überflutung.
Da viele Wissenschaftler jede Möglichkeit nutzen wollten, um wissenschaftliche Beweisstücke durch Fotos von der Eruptionsstelle zu erhalten, war der Ansturm auf die Plätze in den Flugzeugen und Hubschraubern zunächst hoch. Jedoch flogen die meisten Wissenschaftler am Ende dann doch nur ein einziges Mal mit. "Aufgrund der Thermik kann es über dem Lavafeld in dem Flugzeug sehr turbulent werden. Dies merkt man schon, wenn man an die Ränder des Lavafelds kommt", berichtet Dürig und fügt an. "Vielen ist das nicht so gut bekommen." Dürig selbst hingegen hat jeden Flug genossen und ist 24 Mal mit den kleinen Maschinen und seinen Kollegen wie Professor Magnus Gudmundsson von der Universität von Island und dem Team vom Icelandic Meteorological Office über Holuhraun (oder Nornahraun) unterwegs gewesen. Über den neuen Namen für das Lavafeld sind sich die Isländischen Wissenschaftler noch nicht einig. Hraun ist das isländische Wort für Lava, Holu ist ein Loch und Norna die Hexe.