Die Hagelgefährdung für Deutschland abzuschätzen, ist derzeit das Ziel von Wissenschaftlern am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Das schwerste Hagelunwetter in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland ereignete sich am 12. Juli 1984 in München mit einer Schadensumme von rund 1,5 Milliarden Euro. Zuletzt kam es im Juli 2013 in Baden-Württemberg am Rande des Schwarzwaldes zu schweren Hagelschauern, durch die Schäden von über 600 Millionen Euro allein an Wohngebäuden entstanden sind und die somit das zweitteuerste Ereignis in den letzten Jahrzehnten waren.

Im Rahmen des Forschungsprojekts "HARIS" (HagelRisiko) wird am KIT durch die Kombination verschiedener meteorologischer Datensätze mit Schadendaten von Versicherungen die vergangene und zukünftige Hagelgefährdung für Deutschland abgeschätzt.

Wie alle mit hochreichender Feuchtkonvektion (Aufsteigen von feuchtwarmen Luftmassen bis an die Tropopause, ca. 12 km)  verbundenen Wetterphänomene, sind auch Hagelzugbahnen oder Hagelstriche räumlich stark begrenzt. Einer Untersuchung von Changnon (1970) zufolge weisen 80 Prozent aller registrierten schadenrelevanter Hagelstriche in den USA eine räumliche Ausdehnung von weniger als 40 km2 auf. Aufgrund dieser sehr geringen Ausdehnung und einem Mangel an geeigneten Messsystemen sind Hagelereignisse nicht über einen langen Zeitraum verlässlich erfasst, um daraus Aussagen über die räumliche Verteilung und Trends ableiten zu können. Aufgrund der unzureichenden Erfassung von Hagel war es bisher – insbesondere in Deutschland – schwierig, auf die Hagelgefährdung zu schließen.

Erste Arbeiten am KIT greifen nun zum einen auf Radardaten zurück, mit denen Methoden zur Erfassung von Hagel entwickelt werden. Zum anderen verwenden die Forscher für Langzeitanalysen indirekte Klimadaten (Proxies), um die für die Entstehung von Gewittern und Hagel notwendigen atmosphärischen Bedingungen zu berücksichtigen.

KIT-Wissenschaftler identifizieren Hagel anhand von Radardaten
Hagelstürme können (noch) nicht zuverlässig und realistisch durch hoch aufgelöste Wettervorhersage- oder Klimamodelle simuliert werden. Daher sind derzeit Niederschlagsradare mit einer sehr hohen räumlichen (bis 0,5 km) und zeitlichen (bis 5 min) Auflösung am besten geeignet, um Hagelstürme zu identifizieren. Allerdings ist die vom Radar gemessene Intensität (Radarreflektivität) von verschiedenen Faktoren wie beispielsweise der Größenverteilung der Niederschlagsteilchen oder der Höhe des Radarstrahls zum Boden abhängig. Eine eindeutige Beziehung zwischen Radarreflektivität und Hagelintensität am Boden allein aus diesen Daten kann daher nicht hergestellt, sondern nur abgeschätzt werden.

Im Rahmen des Projekts "HARIS" am KIT werden Radardaten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) mit Schadendaten von Versicherungen verknüpft, um daraus die Hagel­gefährdung in hoher räumlicher Auflösung (1 × 1 km²) für Deutschland abzuleiten (Puskeiler, 2013). Die so analysierten Hagelzugbahnen und die daraus abgeleiteten extremwertstatistischen Analysen belegen die erhebliche räumliche Variabilität der Hagelintensität. Für Baden-Württemberg beispiels­weise zeigt sich ein ausgeprägtes Maximum in der Region südlich von Stuttgart (Kunz und Puskeiler, 2010).

Ähnliche Muster sind auch für andere Regionen Deutschlands zu erkennen, wie es auch Analysen der Blitzdichte belegen. Es wird deutlich, dass die Hagel­wahr­scheinlichkeit von Norden nach Süden zunimmt, da die Bedingungen für die Entstehung von Gewitterereignissen im Süden günstiger sind. Außerdem zeigen sich einige ausgeprägte Maxima, die meist im Lee (dem Wind abgewandte Seite) der Mittelgebirge liegen - z.B. im Lee des Schwarzwalds oder des Brockens. Diese Muster können zum Teil auf die typischen Strömungsbedingungen an Hageltagen zurück­geführt werden (häufig südwestliche Wetterlagen; Kunz und Puskeiler, 2010; Kapsch et al., 2012; Puskeiler, 2013).

Pilotprojekt: Erstes automatisches Messnetz für Hagelereignisse
In einem Pilotprojekt wurden 2013 vom KIT zehn Messstationen der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz (LUBW) Baden-Württemberg mit neu entwickelten Hagelsensoren (HaSe; Löffler-Mang et al., 2011) ausgerüstet. Das Messgerät ist in der Lage, über die Messung von Schallwellen mit kleinen Piezomikrofonen in einem wetter- und UV-beständigen Gehäuse aus Makrolon auf Hagel inkl. seinen Durchmesser zu schließen. Der Fokus liegt auf hagelgefährdeten Gebieten, wie beispielsweise auf den Fildern südlich von Stuttgart oder in Villingen-Schwenningen. Ziel ist es unter anderem, die Größenverteilung der Körner während eines Hagelschauers zu messen und in Kombination mit meteorologischen Messungen neue Erkenntnisse über die Schadenwirkung von Hagel ableiten zu können.

In den vergangenen Jahrzehnten haben Schäden durch schwere Hagelstürme in Mitteleuropa und anderen Regionen erheblich zugenommen (Schiesser, 2003; Cao 2008; Kunz et al., 2009). Dabei stellt sich die Frage, inwieweit diese Zunahme der Hagelschäden in der Vergangenheit neben Änderungen der Vulnerabilität (Verletzbarkeit) durch den anthropogen bedingten Klimawandel bestimmt ist und mit welchen Änderungen in der Zukunft zu rechnen ist.

Im Rahmen des Teilprojektes HARIS-CC ("Hail Risk and Climate Change") am KIT wurden verschiedene Proxydaten (indirekte Klimadaten) für Hagelereignisse hinsichtlich ihrer langjährigen Entwicklung untersucht. Ein Beispiel für Proxydaten sind Konvektionsindizes, mit denen die Stabilität der Atmosphäre quantifiziert werden kann. Im Gegensatz zu Gewitter- oder Hagelbeobachtungen sind Proxydaten einheitlich über einen längeren Zeitraum verfügbar und können für lange Zeitreihen (30 Jahre) statistisch ausgewertet werden. Diese Proxydaten geben allerdings nur das Potenzial der Atmosphäre für hochreichende Konvektion wieder. Direkte Aussagen über die tatsächliche Entstehung oder Häufigkeit von Gewitterstürmen sind nicht möglich.

Statistische Analysen langjähriger Zeitreihen belegen, dass vor allem Konvektionsindizes, die bodennahe Temperatur- und Feuchtewerte berücksichtigen, in den vergangenen drei Jahrzehnten statistisch signifikante positive Trends (Zunahme der Konvektionsbereitschaft) auf­weisen (Mohr und Kunz, 2015). Daraus folgernd hat die Wahrscheinlichkeit für Gewitter und Hagel über weiten Teilen Europas zugenommen.

Hagel in regionalen Klimamodellen
Um in Deutschland Änderungen des Gewitter- bzw. Hagelpotenzials in der Vergangenheit und der nahen Zukunft statistisch zu analysieren, wurden Simulationsergebnisse verschieden­er hochaufgelöster re­gio­naler Klimamodelle (RCM) ausgewertet. Verschiedene statistische Analysen belegen, dass RCMs mit einer räumlichen Auf­lösung von rund 10 km durchaus in der Lage sind, das konvektive Verhalten in der Atmosphäre wiederzugegeben. Mit Reanalysedaten (ERA-40) angetriebene RCMs zeigen eine Zu­nahme des Gewitterpotenzials zwischen 1971 und 2000. Grund hierfür ist vor allem die Zunahme der Feuchte in den bodennahen Atmosphärenschichten. Analysen der zukünftigen Stabilitätsänderungen zeigen dagegen keine einheitlichen Ergebnisse.

Ein ähnliches Bild ergibt sich auch bei den Großwetterlagen, die sowohl aus Reanalysen als auch aus verschiedenen Realisierungen regio­naler Klima­modelle bestimmt wurden. Dabei fallen vier der insgesamt 40 verschiedenen Groß­wetterlagen nach der objektiven Klassifizierung des DWD mit einer erhöhten Wahrscheinlich­keit für schaden­relevante Hagel­ereignisse zusammen. Diese vier Wetterlagen haben im Zeitraum 1971 bis 2000 statistisch signifikant zuge­nommen. Für die Zukunft (2010 bis 2050) zeigen die Modelldaten nur eine geringe Zunahme dieser Wetterlagen – die jedoch stark vom betrachteten Zeitraum abhängig ist (Kapsch et al., 2012).

Entwicklung und Anwendung eines logistischen Hagelmodells
Um weitere für die Entstehung von Hagelereignissen relevante Faktoren zu berücksichtigen, wurde am KIT mit Hilfe eines multivariaten Analyseverfahrens ein logistisches Hagelmodell entwickelt. Hierdurch ergibt sich eine verbesserte Diagnostik von Hagelereignissen (Mohr und Kunz, 2014). Das Ergebnis des Modells ist ein neuer Index, der das Potenzial der Atmosphäre für die Entstehung von Hagel beschreibt, und daher als potenzieller Hagelindex (PHI) bezeichnet wird. Angewendet auf ein Mini-Ensemble von sieben verschiedenen regionalen Klimasimulationen wird deutlich, dass das Potenzial für Hagelereignisse in der Zukunft nur in Nordwest- und Süddeutschland leicht zunehmen (statistisch signifikant) wird.

Quellen

 Changnon, S. A. (1970): Hailstreaks. Journal of the Atmospheric Sciences 27(1). pp 109-125. Link

 Kapsch, M. L., Kunz, M., Vitolo, R., Economou, T. (2012): Long-term variability of hail-related weather types in an ensemble of regional climate models. Journal of Geophysical Research 117(D15). pp 1-16. Link

 Kunz, M., Sander, J., Kottmeier, C. (2009): Recent trends of thunderstorm and hailstorm frequency and their relation to atmospheric characteristics in southwest Germany. International Journal of Climatology 29(15). pp 2283-2297. Link

 Kunz, M., Puskeiler, M. (2010): High-resolution assessment of the hail hazard over complex terrain from radar and insurance data. Meteorologische Zeitschrift 19(5). pp 427-439. Link

 Löffler-Mang, M., Schön, D., Landry, M. (2011): Characteristics of a new automatic hail recorder. Atmospheric Research 100(4). pp 439-446. Link

 Mohr, S. (2013): Änderung des Gewitter- und Hagelpotentials im Klimawandel. Wiss. Berichte d. Instituts für Meteorologie und Klimaforschung des Karlsruher Instituts für Technologie. Band 58. Karlsruhe: KIT Scientific Publishing. PDF

 Mohr, S., Kunz, M. (2013): Recent trends and variabilities of convective parameters relevant for hail events in Germany and Europe. Atmospheric Research 123. pp 211-228. Link

 Mohr, S., Kunz, M., Keuler, K. (2015): Development and Application of a Logistic Model to Estimate the Past and Future Hail Potential in Germany. JGR Atmospheres 120(9). pp 3939-3956. Link

 Pruppacher, H. R., Klett, J. D. (1997): Microphysics of clouds and precipitation, Vol. 18. Dordrecht: Kluwer Academic Publishers.

 Puskeiler, M., (2009): Analyse der Hagelgefährdung durch Kombination von Radardaten und Schadendaten für Süddwestdeutschland. Diplomarbeit am Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK), Universität Karlsruhe (TH). Karlsruhe.

 Puskeiler, M., (2013): Radarbasierte Analyse der Hagelgefährdung in Deutschland, Dissertation am  Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK-TRO), Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Karlsruhe.

Text und Daten in Kooperation mit CEDIM, einer interdisziplinären Forschungseinrichtung des Karlsruher Instituts für Technologie.

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