Das Erdbeben am 1. April 2014 der Magnitude 8,1 nahe des Dorfes Pisagua war das größte in Chile seit dem 8,8-Beben weiter südlich in 2010. Obwohl das Pisagua-Beben nicht dasselbe Ausmaß an Stärke und Schäden hatte, wird es in die Geschichte der Seismologie eingehen - als ein intensiv untersuchtes Erdbeben, das einige Annahmen, wie und wann großen Beben geschehen, auf den Kopf stellt. Neben einer Portion Glück ist dafür die GFZ-Einsatzgruppe Hazard and Risk Team (HART, zu deutsch: Gefahren- und Risiko-Team) verantwortlich, die bei diesem Ereignis ihren Debüt-Auftritt hatte.
Der Schwerpunkt von HART liegt bei regionalen Aktivitäten und somit bei Observatorien und Partnern vor Ort. Das Beben in Chile kam nicht unerwartet. „An Südamerikas Westküste taucht die pazifische Nazca-Platte unter den Kontinent und baut dabei Spannung auf, die sich durch Erdbeben entlädt,“ erklärt Professor Onno Oncken, der den derzeitigen HART-Einsatz koordiniert. „Im Verlauf von rund 150 Jahren bricht dabei der gesamte Plattenrand vom Süden in Patagonien bis nach Panama im Norden mit großen Erdbeben einmal komplett durch.“ Komplett – mit Ausnahme eines letzten Segments westlich von Iquique in Nordchile. Genau in dieser seismischen Lücke fand das Beben statt. Doch statt diese Lücke zu schließen, perforierte das Beben lediglich ihr Zentrum. Die Gegend ist noch akut gefährdet – dafür aber so gut untersucht wie keine andere.
Der HART-Einsatz erfolgt im Kerngebiet des IPOC (Integrated Plate Boundary Observatory/Integriertes Plattenrandobservatorium Chile). In Erwartung einer massiven Entladung in der seismischen Lücke legte das GFZ mit seinen internationalen Partnern einen Teppich an Instrumenten aus. Seismographen, GPS, magnetotellurische Sensoren, Creepmeter, Beschleunigungssensoren, Radarinterferometrie und viele weitere Observierungsmethoden sorgen seit 2006 für einen flächendeckenden Datenschatz. HART ist keine personell fest umrissene Arbeitsgruppe, sondern ein loser Verbund aus zahlreichen Sektionen, bei denen sich die wissenschaftlichen Kompetenzen und Interessen überschneiden. Der Kern von HART wird in diesem Fall von IPOC gestellt und umfasst vier Departments.
Nachbearbeitung des Erdbebens dient auch der Vorsorge
Vier Tage nach dem Pisagua-Beben waren bereits GFZ-Wissenschaftler vor Ort. Dr. Thomas Walter, Stefan Mikulla und Jackie Salzer von der Sektion 2.1 „Erdbeben und Vulkanphysik“ und Dr. Martin Zimmer und Christian Kujawavon der Sektion 4.2 „Anorganische und Isotopengeochemie“ hatten das Ziel, bestehende Installationen zu überprüfen und das Stationsnetz zu verdichten. In beinahe sechs Kilometern Höhe bestückten sie den Láscar, den aktivsten Vulkan Chiles. Jetzt ist er auch der am besten überwachte Vulkan. Dafür sorgen seismische Instrumente, Webcams und Lidar-, Gas- und Temperaturmessungen. Am GFZ und dem chilenischen Observatorium Ovdas werden parallel Verformungsmessungen durchgeführt, die auf dem Satellitenradar TerraSAR-X und auf GPS beruhen. Die Nachbearbeitung des Bebens ist gleichzeitig Vorsorge: Historische Beobachtungen zeigen, dass starke Beben an der Küste vulkanische Aktivitäten im Hinterland auslösen können.
Die dichte Instrumentierung bedeutet, dass das Pisagua-Beben das bislang bestobservierte Beben der Welt ist. Knapp ein Jahr zuvor wurde die Region stärker ins Blickfeld genommen, weil sich dort Bebenschwärme häuften. Während das nichts über den Zeitpunkt oder die Magnitude eines Bebens aussagt, lagen die Forscher mit der Vermutung eines Vorbereitungsprozesses richtig: Die Schwärme korrelierten exakt mit der Bruchzone. Die Auflösung und Qualität des Datensatzes führt dazu, dass das wissenschaftliche Verständnis der ablaufenden Prozesse erheblich vorangebracht wird.
Der GFZ-Seismologe Dr. Günter Asch und seine Doktorandin Amerika Manzanares haben die Stationen und Satellitenantennen überprüft. Ihr Fazit: Das IPOC-Netzwerk lieferte einen optimalen on-line Datensatz höchster Qualität nach Potsdam. Während Seismologen aus Chile bereits weitere 24 off-line-Stationen installiert haben, sind Asch und Manzaneras mit zusätzlichen mobilen Stationen unterwegs. Die gut erreichbaren Punkte konnten für das Nachbebennetz zum Glück sehr schnell besetzt werden. Die Forscher mussten aber auch im 400 km langen, zum Teil schwer erreichbaren Untersuchungsgebiet das existierende Netzwerk verdichten. Mit Hilfe der chilenischen Kollegen P. Salazar und P. Ortis von der Universidad Católica del Norte konnten sie trotzdem 24 mobilen Stationen in nur 14 Tagen erfolgreich installieren.
Der Zeitpunkt eines Bebens ist nie ideal, weder für die Betroffenen, noch für die Wissenschaft. Doch es hätte schlimmer kommen können. Seit dem mit einer Magnitude von 9,5 stärksten je aufgezeichneten Erdbeben in 1960 haben die Bauvorschriften in Chile eine hohe Priorität. Das Pisagua-Beben verzeichnete sechs Tote – für ein „Achter-Beben“ eine sehr geringe Zahl und ein Beispiel dafür, wie hoch der Informations- und Ausbildungsstand vor Ort ist. Die Bebenschwärme hatten zudem die Wissenschaftler dazu veranlasst, die Stationen rechtzeitig zu warten, alle GPS-Punkte neu zu vermessen und weitere Breitbandseismometer aufzustellen. Der Instrumenten-Teppich vom IPOC war bereit für das große Beben – das nur eine Woche auf sich warten ließ.
Text: Robin Hanna, GFZ
Detaillierte Informationen zum Erdbeben in englischer Sprache finden Sie hier.