Vor der Küste der Antarktis ragt vom Meeresboden ein unterseeisches Gebirge auf – die Marie Byrd-Seamounts. Ihre Gipfelplateaus liegen heute in 2.400 bis 1.600 Metern Wassertiefe. Den Geologen gab die Entstehung dieser Unterwasserberge Rätsel auf, denn sie befinden sich weder an Plattengrenzen noch über sogenannten Mantelplumes. Seltenes Probenmaterial ermöglichte Wissenschaftler*innen des GEOMAR Antworten zu finden.
In der Vulkanologie unterscheidet man grundsätzlich erst einmal zwei Arten von Vulkanen. Die eine Art entsteht dort, wo Erdplatten aneinander stoßen und die Erdkruste gewissermaßen rissig ist. Beispiele hierfür sind die Vulkane des Feuerrings, der von Neuseeland über Japan um den Pazifik herum bis in die Anden reicht. Die andere Art bildet sich innerhalb der Erdplatten. „Letztere nennt man Intraplattenvulkane. Sie liegen oft über einem sogenannten Mantelplume. Heißes Material steigt dort aus dem tiefen Erdmantel auf, sammelt sich unter der Erdkruste, bahnt sich einen Weg durch sie hindurch und bildet an der Oberfläche einen Vulkan“, erklärt Dr. Reinhard Werner, einer der Autoren der Studie. Über solchen „Hot-Spots“ sind beispielsweise die Hawaii-Inseln oder die Kanarischen Inseln entstanden. Doch für die Marie Byrd-Seamounts in der Amundsensee passen beide Modelle nicht. „Es gibt keine Plattengrenze in der Nähe und auch keinen Plume im Untergrund“, sagt die Erstautorin der Studie Andrea Kipf.
Um das Rätsel der Marie Byrd Seamounts zu lüften, beteiligten sich die Kieler Wissenschafterinnen und Wissenschaftler an einer Expedition des vom Alfred-Wegner-Instituts (AWI) in Bremerhaven betriebenen Forschungseisbrechers Polarstern, die 2006 durchgeführt wurde. So konnten von den Unterwasserbergen sie Gesteinsproben nehmen, um sie später einer genauen Analyse zu unterziehen. „Interessanterweise fanden wir dabei chemische Signaturen, die typisch sind für Plumevulkane. Und sie ähnelten denen von Vulkanen in Neuseeland und auf dem antarktischen Kontinent“, erklärt Geochemiker Dr. Folkmar Hauff.
Um zu einer Erklärung für die unterseeische Berglandschaft zu kommen, muss man sich zuerst die geologische Geschichte dieses Gebiets der Erde vor Augen führen. Vor rund 100 Millionen Jahren lagen im Gebiet der heutigen Antarktis Überreste des einstigen Superkontinents Gondwana. Ein Mantelplume schmolz sich durch diese Kontinentalplatte hindurch und spaltete sie in zwei neue Kontinente auf: der antarktische Kontinent und der Kontinent „Zealandia“, von dem heute nur noch die Inseln Neuseelands zeugen. Als die neuen Kontinente in unterschiedlichen Richtungen vom dem Mantelplume weg drifteten, blieben große Mengen des heißen Plume-Materials an ihren Unterseiten hängen. Diese quasi „mitgenommenen“ Plumen bildeten dann Reservoirs für spätere Vulkanausbrüche auf beiden Kontinenten. „Dieser Prozess erklärt, warum wir Signaturen von Plume-Material an Vulkanen finden, die nicht über Plumes liegen“, sagt Dr. Hauff.
Aber die Marie Byrd-Seamounts liegen gar nicht auf dem antarktischen Kontinent, sondern auf der ozeanischen Nachbar-Erdkruste. Wie gelangte das Plume-Material, das unter dem Kontinent lag, dorthin? Die Erklärung ergibt sich aus der Berücksichtigung von Temperaturunterschieden, die zu Strömungen im Untergrund führen und einen solchen Transport erklären können. „Kontinentale Erdplatten sind aber dicker als die ozeanischen. Das sorgt unter anderem für Temperaturunterschiede im Untergrund“, erklärt der Vulkanologe Dr. Werner. Es ist ähnlich, wie bei den Winden, die sich aus unterschiedlich warmen Luftmassen ergeben. Auch unter der Erdkruste entstehen bei Temperaturunterschieden Bewegungen. So konnte das Plumematerial, das einst unter dem Kontinent lag, unter die ozeanische Platte gelangen.
Und da diese ozeanische Platte durch andere tektonische Prozesse Risse und Spalten aufwies, fanden sich Wege, auf denen das heiße Material aufsteigen und sich in Magma verwandeln konnte. Dabei entstanden von ca. 60 Millionen Jahren die Marie Byrd-Seamounts. Diese ragten zunächst über das Wasser hinaus. „Irgendwann erloschen die Vulkane jedoch wieder, Wind und Wetter erodierten die Kegel bis auf Meeresspiegelniveau, geologische Prozesse ließen die Berge dann noch weiter absinken. Schließlich lagen die Gipfel-Plateaus auf dem Niveau, das wir heute kennen“, so Andrea Kipf.
Das Beispiel der Marie Byrd-Seamounts zeigt also, wie komplex vulkanische Prozesse sind. So konnte ein weiterer Baustein zum Theoriegebäude der Vulkanologie hinzugefügt werden.
Quellen
GEOMAR. (2013, 11. Oktober). Die komplizierte Geburt eines Vulkans [Pressemitteilung, www.geomar.de]. Aufgerufen am 31.10.2019.
Kipf, A. (2014). Enigmatic Intraplate Volcanism: A geochronological and geochemical approach for the Marie Byrd Seamounts (Antarctica) and the Christmas Island Seamount Province (Indian Ocean) (Dissertation, Geowissenschaften).
Kipf, A., Hauff, F., Werner, R., Gohl, K., van den Bogaard, P., Hoernle, K., Maicher, D. & Klügel, A. (2014). Seamounts off the West Antarctic margin: A case for non-hotspot driven intraplate volcanism. Gondwana Research, 25(4), 1660-1679. doi:10.1016/j.gr.2013.06.013
Münch, U. (2016, 19. Juli). Gondwana: Ein Kontinent bricht auseinander [Interview mit Dr. Sascha Brune vom GFZ]. Earth System Knowlege Platform, 2:839.