Zwei eigene Kapitel hat das größte Ökosystem unserer Erde im zweiten Teil des fünften Sachstandsberichtes des Weltklimarates (IPCC) bekommen. Dieser Teil fasst die beobachteten und erwarteten Auswirkungen des Klimawandels zusammen. Eines dieser Kapitel betreute Prof. Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut.
Im Interview spricht der Biologe über die Bedeutung der Ozeane für unser Klimasystem, warum die Meere erst jetzt im Fokus der Klimadebatte stehen, wie sie sich im Zuge der Erwärmung verändern und welche Anpassungsoptionen ihren Bewohnern und dem Menschen bleiben.
Herr Pörtner, wie wichtig sind die Ozeane überhaupt für das Klima unserer Erde?
Die Ozeane sind unerlässlich für den Wärmehaushalt des Globus und die Regulation des Klimasystems. Sie nehmen über 90 Prozent der Wärme auf, die sich derzeit auf der Erde anstaut. Dadurch gleichen sie die Temperaturen in der Atmosphäre aus und stabilisieren das Klima. Durch die Meeresströmungen transportieren sie diese Wärme und beeinflussen so die Klimaprozesse auf den Kontinenten.
Warum finden die Ozeane dann erst jetzt Beachtung im Weltklimabericht?
Der Weltklimabericht hat in der Vergangenheit den Fokus mehr auf die Veränderungen im terrestrischen Bereich und ihre Auswirkungen auf den Menschen gelegt. Die Ozeane sind nicht ignoriert worden, sie sind jedoch nicht ihrer Bedeutung entsprechend berücksichtigt worden. Das hat sich erst mit dem jetzigen Klimabericht geändert. Man hat zwei neue Artikel aufgenommen, die sich speziell mit den Ozeanen und den Ozeanregionen beschäftigen. Kohlendioxid gehört zu den Haupttreibern des Klimawandels.
Wirkt sich das Treibhausgas auch auf das Leben in den Meeren aus?
Kohlendioxid wirkt sich durch drei Prozesse auf das Leben im Meer aus. Zum einen gibt es in den meisten marinen Ökosystemen einen Trend zur Erwärmung, vor allem in der oberen Wasserschicht. Dadurch, dass sich die oberste Schicht erwärmt, dehnt sie sich aus und erhält eine andere Dichte. Dieser Dichteunterschied führt zu einer zunehmenden Schichtung der Meere. Das bedingt einen geringeren Austausch an Gasen und an Nährstoffen zwischen den Wasserschichten.
Wie wirkt sich das auf Meeresbewohner aus?
An der Grenzschicht zwischen diesen beiden Wasserschichten reichert sich organisches Material an. Vor allem Mikroben zersetzen dieses Material, zehren dabei Sauerstoff und produzieren Kohlendioxid. Dadurch entsteht in dieser Grenzschicht Sauerstoffmangel. Diese Sauerstoffmangelzonen in mittleren Meerestiefen sind in niedrigen Breiten schon immer natürlicher Bestandteil der Meere gewesen, breiten sich aber mit zunehmender Erwärmung aus. Hinzu kommen zunehmend Sauerstoffmangelzonen an den Küsten. Erwärmung und Nährstoffeintrag durch den Menschen sind hier auslösende Faktoren.
Und welches ist der dritte Prozess, den Kohlendioxid in Gang setzt?
Ein dritter und wichtiger Aspekt ist der direkte Eintrag von Kohlendioxid in das Oberflächenwasser. Dort reagiert das Gas mit dem Meerwasser und bildet Kohlensäure. So kommt es zu einer Ansäuerung: der pH-Wert des Wassers nimmt ab.
Welche dieser drei Faktoren ist momentan am deutlichsten spürbar?
Der wirksamste der drei Faktoren ist im Moment sicherlich die Erwärmung. Sie führt schon zu deutlichen Veränderungen in den Ökosystemen. Die Ozeanversauerung wird den Prognosen zufolge in den nächsten Jahrzehnten immer stärker zunehmen und schließlich deutliche Auswirkungen auf globaler Ebene und in einzelnen Ökosystemen haben. Zunehmender Sauerstoffmangel wird sich zunächst vor allem im Küstenbereich auswirken. Die Ausweitung der Sauerstoffmangelzonen im offenen Meer bleibt vorerst gering, dementsprechend werden wir davon nicht so viel spüren wie von den anderen Prozessen.
Können sich die Ozeanerwärmung, Sauerstoffarmut und Versauerung gegenseitig auch verstärken?
Wenn diese drei Faktoren zusammenwirken, dann reagieren die Meeresbewohner besonders empfindlich auf den Klimawandel - vor allem Tiere. Wir können in der Kombination dieser drei Faktoren auch von einem tödlichen Trio sprechen, das je nach Ausmaß der Veränderungen drastische Auswirkungen auf die Organismen haben kann. Bei Klimaveränderungen in der Vergangenheit kam es zum Massensterben im Meer.
Können wir den aktuellen Klimawandel mit diesen Ereignissen aus der Erdgeschichte vergleichen?
Der aktuelle Klimawandel kommt uns auf einer menschlichen Zeitskala vielleicht gar nicht besonders schnell vor. Im Vergleich zu Perioden in der Erdgeschichte, in denen sich das Klima ebenfalls verändert hat, ist er allerdings sehr schnell. Das gilt für die letzten 65 Millionen Jahre und wahrscheinlich sogar die letzten 300 Millionen Jahre. Der aktuelle Klimawandel ist demnach mindestens so schnell wie die Klimaereignisse, die letztendlich in der Erdgeschichte zu Massensterben geführt haben. Das oben genannte Trio war höchstwahrscheinlich an diesen Ereignissen beteiligt. Das klingt danach, als stünde uns ein erneutes Massensterben bevor. Zusammen mit einigen Kollegen bin ich der Meinung, dass man die aktuellen Ereignisse durchaus mit dem Beginn eines Massensterbens vergleichen kann. Der Klimawandel ist dabei sicherlich nicht die einzige Ursache. Hier spielen auch die sonstigen Einflüsse des Menschen eine Rolle: die Verkleinerung von Habitaten und das Verdrängen von Arten aus ihrem Lebensraum. Für die Ökosysteme im Meer gibt es allerdings noch keinen eindeutigen Befund, dass eine Art durch den Klimawandel ausgestorben sei. Wer nicht aussterben will, muss sich anpassen.
Wie passen sich Meeresbewohner denn an steigende Wassertemperaturen an?
Meeresbewohner haben verschiedene Möglichkeiten, auf steigende Wassertemperaturen zu reagieren. Der zunächst einfachste Weg ist, jener Temperatur zu folgen, an die die Organismen angepasst sind. Wir beobachten aktuell in weiten Bereichen, dass Arten abwandern und sich Verbreitungsgebiete von Organismen verschieben. Dabei gibt es den Trend, dass sich die Lebensräume vor allem polwärts verlagern. Das bekannteste Beispiel ist vielleicht der Kabeljau, der aus der Nordsee verschwindet und sich im Norden ausbreitet. Es gibt aber auch den Trend, dass Organismen in größere Wassertiefen abtauchen, wo sie ebenfalls ihre bevorzugte Wassertemperatur finden. Arten können sich auf genügend langen Zeitskalen auch evolutiv, das heißt durch Veränderung ihres Erbguts anpassen. Dadurch können sie wichtige Prozesse in ihren Zellen verändern, und auf diese Weise trotz erhöhter Körpertemperaturen leistungs- und überlebensfähig bleiben. Die Fähigkeit, sich auf veränderte Temperaturen einzustellen, ist allerdings begrenzt, und die Anpassungsfähigkeit von Arten ist unterschiedlich. Außerdem ist das Tempo des Klimawandels so hoch, dass die Zeit für solche Anpassungsprozesse bei vielen Arten möglicherweise nicht ausreicht. Die zweite große Herausforderung, vor der Meeresbewohner stehen, ist die Ozeanversauerung.
Wie wirkt sich diese auf die Organismen aus?
Bei der Ozeanversauerung reichert sich das Kohlendioxid im Meerwasser an und dringt in die Körper der Meeresbewohner ein. Dort senkt es den pH-Wert der Körperflüssigkeiten und verursacht Störungen im Stoffwechsel und bei Muscheln, Schnecken, Seeigeln und Korallen zum Beispiel auch Störungen in der Bildung von Kalkschalen. Bei den Schalenbildnern nimmt die so genannte Kalzifizierung ab und damit ihre Fähigkeit, kräftige Schalen als Stützelemente oder zum Schutz vor Fressfeinden aufzubauen. Gerade Korallen sind hier wichtig, da sie großräumige Ökosysteme bauen. Sie gehören zu den Ingenieuren der Meere, die Lebensräume für andere Arten schaffen. Diese Lebensräume sind aktuell durch Erwärmung, Versauerung, aber auch durch die örtliche Verschmutzung und durch einwandernde Arten bedroht.
Profitieren denn auch einige Arten von der Ozeanversauerung?
Es gibt Arten, die von der Ozeanversauerung profitieren. Dazu gehören vor allem Arten, die Kohlendioxid aufnehmen, Photosynthese betreiben und wie Makroalgen und Seegräser keine Kalkschalen bauen. Wenn eine Algenart zeitgleich Kalkstrukturen bildet, dann ist auch hier wieder ihr Leistungsvermögen beeinträchtigt. Die Arktis wird in der Klimadebatte oft mit dem "Kanarienvogel in der Kohlenmine" verglichen.
Gilt diese Metapher auch beim Thema Ozeanversauerung?
Wir können davon ausgehen, dass sich die atmosphärische Kohlendioxid-Konzentration weltweit etwa ausgleicht. Wir müssen allerdings berücksichtigen, dass die Löslichkeit von Kohlendioxid je nach Wassertemperatur unterschiedlich ist. Das Gas löst sich nicht nur bei niedrigen Wassertemperaturen besonders gut, sondern auch dort, wo das Meerwasser durch die Eisschmelze oder verstärkte Niederschläge verdünnt, sozusagen ausgesüßt wird. Aus beiden Erkenntnissen lässt sich ableiten, dass die Arktis besonders betroffen ist, denn hier kommen beide Prozesse zusammen. Auch die Meere der Antarktis sind aufgrund niedriger Temperaturen als besonders betroffen zu nennen. Sie haben bereits gesagt, dass verschiedene Arten sehr unterschiedlich auf die Effekte des Klimawandels reagieren.
Können Sie etwas dazu sagen, wie sich die Veränderungen auf die Ökosysteme insgesamt auswirken?
Die unterschiedliche geographische Verschiebung von Arten führt dazu, dass Ökosysteme sich zunehmend durchmischen. In den höheren Breiten nimmt beispielsweise die Artenvielfalt zu. Gleichzeitig wird es dort aber zu einer Verdrängung der vormals einheimischen Arten kommen, weil sie empfindlich auf den Klimawandel reagieren, und weil viele neue Arten mit der Erwärmung einwandern und mit ihnen konkurrieren. Wenn sich zudem die sauerstoffarmen Zonen ausbreiten, werden die Bereiche kleiner, in denen größere Tiere, darunter Fische, leben können. Dies führt zu einer stark verarmten Artengemeinschaft und einer Dominanz von Einzellern und Bakterien.
Was bedeuten diese Veränderungen für den Menschen?
Die Auswirkungen der drei Faktoren - Ozeanerwärmung, Sauerstoffmangel und Versauerung - auf die Ökosysteme der Meere sind durchaus wichtig für die wirtschaftlichen Aktivitäten des Menschen, angefangen bei der Fischerei bis hin zum Tourismus. Wir erwarten beispielsweise, dass sich die Fischerei-Schwerpunkte verlagern, von den mittleren und niederen Breiten in hohe Breiten. Es besteht gleichzeitig die Gefahr, dass die Produktivität der Fischerei vor allem in den niederen Breiten nachlässt. Generell wird prognostiziert, dass mit der Erwärmung auch die Körpergröße von Fischen und damit die verfügbare Biomasse an Fisch abnimmt.
Sind diese Folgen unabwendbar?
Wir müssen uns bewusst machen, dass wir in einer Welt leben, die wir bereits verändert haben und auch weiterhin verändern werden. Wir werden zu unseren Lebzeiten das Klima nicht mehr auf sein vorindustrielles Niveau zurückführen. Dafür müsste man die CO2-Konzentration in der Atmosphäre gezielt reduzieren. Die natürlichen Prozesse, die wir in Gang gesetzt haben, wirken auf Zeitskalen von bis zu Zehntausenden von Jahren. Das heißt, wir Menschen müssen uns letztendlich anpassen. Wir können aber vor allem versuchen, weitere Veränderungen einzudämmen, um künftige Folgen zu minimieren.
Mit Hilfe welcher Maßnahmen könnte das gelingen?
Wenn man an den Schutz von Ökosystemen denkt, könnte man Meeresgebiete großräumig unter Schutz stellen. Wichtig ist dabei aber, dass wir mit diesen Maßnahmen nur Zeit kaufen. Das heißt, wir werden die Veränderungen schlussendlich nicht verhindern können. Durch weitreichenden Schutz würden wir Ökosysteme und vielleicht auch einzelne Arten gegenüber dem Klimawandel widerstandsfähiger machen. Dazu müssten die Meeresschutzgebiete ideal auch so angelegt sein, dass sie mit den zu schützenden, aber abwandernden Arten verlagert werden können. Stationäre Schutzgebiete wie man sie heute kennt, sind in ihren Schutzwirkungen eher begrenzt. Aber ganz wichtig und vorrangig ist es, die Emissionen möglichst effizient und rasch zu drosseln, um das Ausmaß des Klimawandels und seiner Auswirkungen in Grenzen zu halten.
Das Interview führte Kristina Bär.
Linktipp:
Die Filmdokumentation "Der Ozean - ein Ökosystem im Wandel" finden Sie hier.