Der in Bau befindliche Stausee am Rio Xingu im Amazonasbecken wird inmitten ursprünglicher jahrtausendealter Wälder liegen. Das dazugehörige Wasserkraftwerk wird mit seiner Leistung von voraussichtlich 11.233 Megawatt das viertgrößte der Welt sein. Perspektivisch werden am Rio Xingu in Brasilien annähernd 550 Quadratkilometer Regenwald und Ackerfläche dauerhaft geflutet, wenn die Staubecken des Belo-Monte-Wasserkraftwerks 2019 allmählich befüllt werden (Fearnside, 2015). Nicht nur hier am Rio Xingu, sondern insgesamt ist das Amazonasgebiet eines der attraktivsten Zielgebiete der hydroelektrischen Entwicklungsplanung weltweit (Winemiller et al., 2016).
Auch in Asien sind allein im kambodschanischen und laotischen Teil des Mekongs und seiner Nebenflüsse derzeit weitere 140 Dämme in Planung (Eyler, 2018). In Äthiopien entsteht im Blauen Nil gerade der größte Staudamm Afrikas, der ‚Grand Ethiopian Renaissance Dam‘. Dringlicher denn je muss die Ökobilanz der geplanten Staudammprojekte umfassend untersucht werden. Denn nicht nur angrenzende Ökosysteme und ihr Wasserhaushalt können irreversibel verändert werden. Auch können Stauseen weit flussabwärts gelegene Gebiete negativ beeinflussen (Assahira et al., 2017). Zudem können sie beachtliche Mengen an Treibhausgasen erzeugen. Teils entstehen sogar für Jahrzehnte mehr Treibhausgase als bei einer vergleichbaren Energiegewinnung mit Erdöl oder Erdgas (Fearnside, 2012).
Wie kommt es zur Bildung von Treibhausgasen in Stauseen?
Durch die Flutung von Wäldern und Vegetation beim Befüllen von Stauseen stirbt viel Pflanzenmaterial ab. Besonders viel dann, wenn Dämme in vegetationsreichen Flussgebieten liegen und vorher nicht gerodet wurde. Nach und nach sinkt all das abgestorbene Tier- und Pflanzenmaterial zum Gewässergrund, setzt sich dort als organisches Material ab und wird allmählich durch methanbildende Bakterien abgebaut. Gerade in den Jahren nach Fertigstellung der Staudämme – also dann, wenn die umliegenden Gebiete samt der Biomasse geflutet werden – können so große Mengen des Fäulnisgases Methan entstehen. Methan bildet sich immer dann, wenn organische Masse unter Sauerstoffmangel (fehlender Belüftung) abgebaut werden muss, also eben auch in Tiermägen, beim Nassreisanbau oder in Deponien. Das Gas ist stark klimawirksam. Eine Tonne Methan hat in der Atmosphäre die circa 25fache Wirkung von einer Tonne Kohlendioxid (Umweltbundesamt, 2019), trägt also stärker zu deren Erwärmung bei.
Entsteht Kohlendioxid oder Methan im Stausee?
Es kommt darauf an, wie gut der Gewässerboden belüftet ist. Denn bei guter Sauerstoffversorgung der Sedimente entsteht Kohlendioxid, bei Sauerstoffmangel jedoch das um ein Vielfaches klimawirksamere Methan. Häufig herrscht am Gewässergrund allerdings Sauerstoffarmut, es sind also anoxische Bedingungen vorzufinden. Grund dafür ist auch, dass die sich absetzenden Partikel allmählich zusammenhängende, bindige Sedimentschichten aufbauen. Weltweit türmen sich in Staubecken von über 57.000 großen Staudämmen so Sedimentlagen von jeweils mehr als 15 Metern Mächtigkeit (Artikel: Rivers in Crisis). Im Falle einer Umsetzung aller geplanten Staudämme im Mekong-Delta beispielsweise wäre eine Reduktion der Sedimentfracht um 90 Prozent möglich (Apel, 2015). Diese Sedimente wären in Staubecken und damit im Flussober- und Flussmittellauf gefangen. Die thermische Schichtung in Stauseen verhindert zudem oft eine Durchmischung des Wassers und so die Belüftung des Gewässergrundes.
Am Stauseeboden läuft der Abbau von organischem Material bei diesen sauerstoffarmen Bedingungen nur unter Freisetzung des klimawirksamen Gases Methan ab. Ein Teil des Methans steigt in Gasblasen an die Gewässeroberfläche und gelangt so in die Atmosphäre. Nicht umsonst bezeichnete man früher die entstehenden Methangase als ‚Sumpfluft‘. In der Summe sind das beträchtliche Mengen, wesentlich mehr als von einem natürlich fließenden Fluss in die Atmosphäre gelangen würden. Die Treibhausgasemissionen von Staudämmen sind nicht konstant und variieren nachweislich. Sie hängen von Temperatur, Sonneneinstrahlung und physikalisch-chemischen und biologischen Eigenschaften des Wassers ab (Fearnside, 2008).
Mit zunehmendem Alter des Stausees wird Kohlenstoff im lagernden Sediment als Quelle für Treibhausgase immer bedeutender. Geflutete Stauseen sind also zunächst für Jahre eine potentielle Quelle für Methan und später dann vornehmlich für Kohlendioxid. Stauseen der nördlichen Hemisphäre tragen eher durch Kohlendioxid zur globalen Erwärmung bei, während tropische Reservoire Methan hinzufügen.
Insgesamt haben so insbesondere große Stauseen eine Wirkung auf das Klima: sie haben einen wesentlichen Anteil an den Emissionen, die von Süßgewässern ausgehen. Eine Erhöhung der Methanemissionen um 7 Prozent ist wahrscheinlich (Maeck, 2013). Der Weltklimarat (IPCC) hat geschätzt, dass Stauseen und Seen 22 Prozent des gesamten Methaneintrages weltweit ausmachen. Die Schätzungen für Methanemissionen lassen sich gut aus den sich ansammelnden Sedimentmengen ableiten (Maeck, 2013).
Eine Maßnahme, um die Einträge zu vermindern, ist besonders wirksam: Die Entfernung der Vegetation vor der Flutung einer Landfläche verringert den Gehalt an organischer Substanz im Boden. In der Folge wird dann weniger Methan gebildet. In bereits gebauten Wasserkraftwerken sollte hingegen die Belüftung des Bodensediments gefördert werden. Über die genannten Faktoren hinaus gibt es weitere Umstände an Stauanlagen, die dazu beitragen, dass verstärkt klimawirksame Gase in die Atmosphäre entweichen können.
Turbulentes Wasser beschleunigt den Austausch mit der Atmosphäre
Wasser fließt an Staudämmen in der Regel durch Schiffsschleusen oder Turbinen ab. Das verwirbelt das Wasser, es kommt zu Turbulenzen, Vermischungen und lokal zu Druckschwankungen im Wasser. Das führt dazu, dass der Austausch mit der Atmosphäre in stärkerem Maße stattfindet. Auch so lassen sich die höheren Emissionen eines gestauten Gewässers im Vergleich zur Oberfläche eines natürlich fließenden Gewässers erklären.
Einfluss auf den Wasserhaushalt und das Lokalklima
Auch Wasserdampf ist ein (natürliches) Treibhausgas. Schätzungen für das Jahr 2010 besagen, dass aus Stauseen insgesamt annähernd 346 Kubikkilometer Wasser verdunsten (FAO, 2016). Das sind Dreiviertel der Menge Süßwasser, die die Menschheit in allen Städten der Welt innerhalb eines Jahres verbraucht (FAO, 2016). Grundsätzlich sind stagnierende Gewässer – in diesem Fall die riesigen Flächen in Staubecken – wärmer als der einst an dieser Stelle verlaufende Fluss. Die größeren Wasseroberflächen sind der Luft und dem direkten Sonnenlicht ausgesetzt, was die Verdunstung begünstigt. In der Gesamtbilanz geht einer trockenen Region durch Staudämme also auch viel durch Verdunstung Wasser ‚verloren‘. Insbesondere für ohnehin wasserarme, also aride bzw. semi-aride Regionen, die nicht unmittelbar vom aufgestauten Wasser profitieren, ist das problematisch.
Hohe Verdunstung in Stauseen arider und semi-arider Gebiete
Die Veränderung des Wasserhaushaltes birgt viel sozialen Sprengstoff wie auch ein Beispiel aus Äthiopien zeigt. Das äthiopische Mammutprojekt „Grand Ethiopian Renaissance Dam“ wird Wirkungen auf die Staaten am Flussunterlauf des Blauen und Weißen Nils haben. Fast 60 Prozent des Wassers, dass Ägypten zur Verfügung hat, stammt aus dem Blauen Nil (Tawfik, 2015). Jahrzehntelang hatte Äthiopien aus Rücksicht auch auf die Nachbarstaaten Sudan und Ägypten seine Flüsse nicht gestaut und kaum Wasser für die eigene Nutzung abgezweigt. Doch 83 Prozent der äthiopischen Bevölkerung sind nach wie vor ohne Strom. Bis 2022 soll nun das größte Wasserkraftwerk Afrikas im Blauen Nil fertig sein, dies anfangs ohne Absprachen mit den Nachbarländern (Tawfik, 2015). Ägypten sucht inzwischen händeringend mittels der Weltbank nach Mediation mit Äthiopien (Maasho, 2018).
Es wird nach der Fertigstellung noch viele Jahre dauern, bis sich der Grand Ethiopian Renaissance-Staudamm gänzlich mit Wasser füllt, ganz in Abhängigkeit vom Niederschlag. Schlussendlich wird dann Wasser zurückgehalten und teils verdunstet, was dem Fluss im Unterlauf dann fehlt. Noch ein Vergleich veranschaulicht das: Das Speichervolumen des ‚Grand Ethiopian Renaissance Dam‘ von 74 Milliarden Kubikmetern entspricht etwa dem 1,5-fachen des durchschnittlichen Jahresdurchflusses des Blauen Nils an der sudanesisch-ägyptischen Grenze (Tawfik, 2015). Schlimmstenfalls fehlt also auch Wasser für die Bewässerung und die natürlichen Überschwemmungen, mit denen Nährstoffe verfrachtet werden.
Stauseen verdunsten weniger Wasser als der ursprüngliche Pflanzenbestand in den feuchten Tropen
Doch eine differenzierte Betrachtung ist nötig, denn es kommt darauf an, in welcher Klimazone ein Stausee liegt, ob insgesamt Vegetation und Landflächen mehr Feuchtigkeit an die Atmosphäre abgeben (Evapotranspiration) oder aber die offene Wasserfläche (Evaporation). In den feuchten Tropen, im Amazonasbecken beispielsweise, verdunstet der Regenwald wesentlich mehr Wasser als eine offene Wasserfläche. Stauseen stören den Wasserkreislauf empfindlich und machen hier das Lokalklima trockener. Für die Mekong-Region ist dies ähnlich. Insgesamt und unter Berücksichtigung der gefluteten Vegetation ist es wahrscheinlich, dass Stauseen in den feuchten Tropen die Verdunstung tendenziell verringern.
Bisher gibt es nur grobe Schätzungen zu den Gesamt-Verdunstungsraten von Staudämmen weltweit. Sie betrugen für alle Dämme (hier: 14.200 Dämme für 157 Länder) global geschätzt 865 Kubikkilometer pro Jahr, vorausgesetzt diese sind bis zur Kapazitätsgrenze gefüllt. Die Wissenschaftler der Food and Agricultural Organisation (FAO) der Vereinten Nationen gehen jedoch tatsächlich eher von halb gefüllten Stauseen aus und kommen so auf die eingangs erwähnte Zahl von 346 Kubikkilometern Wasserverdunstung pro Jahr. Es bleiben große Unsicherheiten aufgrund fehlender Daten. Doch sicher ist: In ariden Gebieten könnte die Verdunstung ein erhebliches Problem sein, für Staudammbetreiber ist es das schon seit jeher.
Es gibt neben der Energiegewinnung viele Gründe Staudämme und Talsperren zu bauen: zu Bewässerungszwecken, zur Trinkwasserversorgung, für den Hochwasserschutz, zur Schiffbarmachung, Erholung, Umweltschutz, für die Viehzucht und andere. Unterm Strich sind die irreversiblen Umweltschäden jedoch immens und es bleibt fraglich, wie günstig die Kosten-Nutzen-Rechnung für die Gesellschaft tatsächlich langfristig ausfällt. Staudämme liegen zudem zum Teil fernab von Industriezentren, die sie mit Energie versorgen sollen: Strom muss dann über tausende Kilometer transportiert werden, was weitere hohe Kosten und Übertragungsverluste mit sich bringt.
ESKP-Themenspezial: BIODIVERSITÄT IM MEER UND AN LAND
Staudämme: Auen in der Amazonasregion erhalten
Tausende von Staudämmen sind weltweit in Planung und werden nahezu irreversibel in die dortigen Auen-Ökosysteme eingreifen. Insbesondere um die Energie der Flüsse im Amazonasbecken ist ein regelrechter Wettlauf entbrannt, milliardenschwere Investitionen fließen in die Stromerzeugung mit Wasserkraft. Mehr als 190 Dämme sind gebaut, und über 245 in konkreter Planung. Im Zuge dessen drohen einzigartige und hochgradig fluttolerante Bäume und an sie angepasste Arten unwiederbringlich verloren zu gehen.
Referenzen
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DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.014
Veröffentlicht: 15.07.2019, 6. Jahrgang
Zitierhinweis: Kandarr, J. & Wittmann, F. (2019, 15. Juli). Stauseen setzen große Mengen Methan frei.Earth System Knowledge Platform [www.eskp.de], 6. doi:10.2312/eskp.014