[Fortsetzung des Interviews mit dem Forstexperten Dr. Somidh Saha vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zum Thema Städtbäume. Hier geht es zu Teil eins des Interviews.]
Herr Dr. Saha, welche Empfehlungen haben Sie, um Stadtbäume besser zu schützen?
Dr. Saha: Stadtbäume werden oft unter dem Vorwand von „Entwicklung und Infrastruktur“ gefällt. Als Wissenschaftler ist das für mich sehr schmerzhaft zu beobachten, schließlich geschieht dies auf der ganzen Welt. Stadtplaner behaupten oft, dass sie für jeden gefällten Baum "irgendwo" eine Ausgleichsbaumpflanzung durchführen. Aber sie sollten nach den Umweltkosten für das Fällen eines 70 Jahre alten Bergahorns oder einer Linde fragen und dies im Vergleich sehen mit dem Pflanzen kleiner Setzlinge, welche mindestens sieben Jahrzehnte benötigen werden, um diese Umweltkosten zu kompensieren.
Hinzu kommt die Tatsache, dass wenn die Stadtverwaltung in den "sanierten und neu gestalteten“ Vierteln oder Straßen pflanzt, sie den neu gepflanzten Bäumen nicht genügend Wurzelraum bietet. Das bedeutet, dass Anwohner an diesem Ort, an dem es einmal einen großen Baum gab, ein solcher gar nicht mehr entstehen kann. Viele der gewünschten Ökosystemdienstleistungen können also gar nicht mehr erbracht werden.
Dieses unwissenschaftliche Vorgehen im Namen von Entwicklung muss gestoppt werden, denn es ist einfach nicht nachhaltig. All das geschieht auch in einem Land wie Deutschland, das weltweit für seinen Umweltschutz bekannt ist. Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist das Fällen von zahlreichen großen, etwa 70 Jahre alten Platanen in Freiburg im Breisgau in der Gegend des Siegesdenkmals, dem heutigen Europaplatz. Mein Vorschlag ist es, auf Landes- und Bundesebene Gesetze so zu reformieren oder neue Gesetze zu schaffen, die das Fällen von Großbäumen in deutschen Städten unter dem Vorwand der „Entwicklung“ vollständig verbietet.
Wie kann das Baum-Management verbessert werden?
Dr. Saha: Es besteht ein dringender Reformierungsbedarf für Bewirtschaftungspläne städtischer Bäume und Wälder, welche durch den Klimawandel zunehmend gefährdet sind. Wir müssen die Aktivitäten im Zusammenhang mit der Standortvorbereitung, der Artenauswahl, der Pflanzung, der Baumpflege, der Bewässerung usw. verändern. In vielen Städten werden die Bäume noch immer auf herkömmliche Art und Weise bewirtschaftet. Zum Beispiel ist es immer noch üblich, eine dürre-intolerante Art in einem Stadtgebiet zu pflanzen, in dem es Probleme mit Trockenheit bzw. Dürren gibt. Darüber hinaus werden nach wie vor Bäume als Straßen-Monokulturen gepflanzt. Wir müssen dieses System ändern. Dies erfordert auch Forschung und Zusammenarbeit zwischen Kommunen, Forschungseinrichtungen und Universitäten. In meiner aktuellen Nachwuchsgruppe ‚Sylvanus‘ am Karlsruher Institut für Technologie ist dies derzeit ein zentrales Forschungsthema.
Ein wichtiger Ansatzpunkt, denn ohne Behörden und Verbündete verändert sich wenig …
Dr. Saha: Das ist richtig. Die lokalen Behörden sowie andere Interessengruppen aus Gesellschaft und Politik sollten daher aktiv einbezogen werden, um insgesamt ein größeres öffentliches Bewusstsein für die Bedeutung und das Management von Stadtbäumen zu schaffen. Meiner Meinung nach können Bürger und Bürgerinnen ebenfalls eine große Rolle bei der Erhaltung und Pflege von städtischen Grünflächen spielen. Sie können auch dazu beitragen, Wissen durch Citizen-Science-Projekt zu schaffen. So versuchen wir beispielsweise in unserer Forschung, Bürger und Kommunalbehörden in den Schutz und die Planung von Stadtbäumen und -wäldern einzubeziehen, um die Widerstandsfähigkeit gegen den Klimawandel zu erhöhen.
Gibt es Ihrer Meinung nach Modellstädte, in denen das Management von gestressten Bäumen bereits vorbildlich ist und von denen andere Kommunen lernen können?
Dr. Saha: Nein. Ich kenne keine Modellstadt oder vergleichende Studien zwischen deutschen Städten. Das ist ein guter Punkt, und es sollte hier mehr Forschung initiiert werden.
Sie haben in Ihrer Forschung festgestellt, dass Stadtbäume oft nicht genügend Wurzelraum haben. Ist es im Nachhinein noch möglich hier Abhilfe zu schaffen? Worauf sollten wir bei zukünftigen Baumpflanzungen verstärkt achten?
Dr. Saha: Ungenügender Wurzelraum ist ein ernstzunehmendes Problem hier in Karlsruhe und auch vielen anderen Städten. Die Entscheidung über den zur Verfügung gestellten Wurzelraum sollte anhand der gewünschten Größe der Bäume getroffen werden. Möchte die städtische Forstverwaltung beispielsweise einen 15 m hohen Baum haben, so sollte mindestens 80 bis 150 m³ Wurzelraum vorgesehen werden, je nach Art. Solche Richtlinien werden jedoch oft nicht eingehalten. In Zukunft müssen wir sicherstellen, dass wir den notwendigen Wurzelraum in Abhängigkeit Baumart, Struktur der Umgebung sowie der gewünschten Kronengröße und -höhe bereitstellen.
Wie kann die Bewässerung von Stadtbäumen optimiert werden?
Dr. Saha: Das ist eine sehr gute Frage. Derzeit wird die städtische Bewässerung ad hoc durchgeführt, und sie ist nicht präzise. Die städtische Bewässerung sollte maßgeschneidert werden und die Bewässerungsmenge pro Baum und Woche sollte auf Faktoren wie Baumart, Dürreperiode, Baumgröße, Bestrahlung und Wasserspeicherkapazität von Boden oder Substrat basieren. Außerdem fehlt uns das Forschungs-Know-how zum artspezifischen Wasserhaushaltsmodell. In unserer Forschungsgruppe arbeiten wir an diesem Thema und erwarten bis 2021 erste Ergebnisse.
Es wird oft diskutiert, dass in Zeiten zunehmender Dürre Bürger auch die Bäume vor ihren Häusern bewässern sollten. Hilft das wirklich, wenn ein Stadtbaum mehr als 100 Liter pro Tag verdunstet?
Dr. Saha: Nein, aber sie weisen auf einen interessanten Punkt hin. Wenn nämlich ein Baum an einem Dürretag noch Wasser verdunstet (Transpiration), dann ist das ökophysiologisch nicht von Vorteil. Denn es können sich durch den Unterdruck, der bei der Wasseraufnahme entsteht, Hohlräume im Xylem entstehen (Anm. d. Red.: Xylem: wasserführendes Leitgewebe), wenn das Wasser im Boden nicht ausreicht. Dies wiederum kreiert im wasserführenden Gewebe gasförmige „Pfropfen“, die wie Blutgerinnsel beim Menschen, die Pflanzengefäße blockieren und zum Absterben führen können. Wissenschaftler sprechen von einem Embolie-ähnlichen Zustand. Die Anfälligkeit hierfür variiert von Art zu Art.
Wir bräuchten also eine Baumart wie die Eiche, die die Spaltöffnungen während einer Dürrephase schließt, um die Transpiration zu kontrollieren. Dies bringt jedoch einen geringeren Kühlungseffekt der städtischen Umwelt mit sich, der eigentlich erwünscht ist. Benötigt wird also ein guter Kompromiss zwischen einerseits geringerer Anfälligkeit einer Baumart für diese Ausbildung von „Gaspropfen“ (Xylem-Kavitation) und andererseits der spezifischen kühlenden Wirkung einer Baumart. Wenn Sie die richtigen Arten an der richtigen Stelle haben, mit dem richtigen Sprossen- und Wurzelraum, dann können Sie die Widerstandsfähigkeit des Baumes gegen Dürre erhöhen und somit die Abhängigkeit von der Bewässerung verringern.
Auf was sollten Bürgerinnen und Bürger achten, wenn sie Bäume bei starker Trockenheit unterstützen wollen?
Dr. Saha: Bürger sollten ermutigt werden, nur solche Bäume zu bewässern, die sichtbar unter Stress stehen. Allerdings müssen wir die genaue Mindestwassermenge für die Bewässerung kennen, um Wasserverschwendung zu vermeiden. Deutschland könnte in Zukunft auch mit dem Problem der Wasserknappheit konfrontiert sein, wenn die Grundwasserneubildung nicht ausreicht. In diesem Szenario sollten wir unsere städtische Baum- und Forstwirtschaft so gestalten, dass wir den Wasserverbrauch reduzieren.
Sie sprechen in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit auch von der Notwendigkeit, das Dichtemanagement in den Städten zu verbessern. Was bedeutet das?
Dr. Saha: Ich meine hier vor allem das Management von städtischen Wäldern. Manchmal sind die städtischen Wälder überbesetzt, da kaum eine Ausdünnung stattfindet. Bäume, die in dichten Stadtwäldern wachsen, stehen dadurch zunehmend in einem intra- und interspezifischen Wettbewerb um Wasser, Nährstoffe, Raum und Licht. Diese Konkurrenz kann als prädisponierender Faktor für die durch Dürre verursachte Sterblichkeit wirken. Daher sollte meiner Meinung nach der Stadtwald nicht zu dicht gehalten werden. Es sollte - falls erforderlich - eine Ausdünnung des Baumbestandes vorgenommen werden, um die allgemeine Gesundheit des Waldes zu verbessern. Vor einer solchen Maßnahme sollte jedoch eine eingehende Bewertung der Waldgesundheit und -dichte durchgeführt werden.
Viele Städte in Deutschland bauen und planen weiterhin viele Infrastrukturprojekte. Zunehmend sind auch Neubauten mit dem Bau von Tiefgaragen verbunden. Dadurch wird der Wurzelbereich abgeschlossen und das Pflanzen von Großbäumen ist nicht mehr möglich. Was könnte an dieser Entwicklung geändert werden? Gibt es Alternativen zu Stadtbäumen?
Dr. Saha: Eine interessante aber schwierige Frage, auf die ich zwei Antworten geben möchte. Zum einen müssen wir zwingend ein minimales Wurzelvolumen auf der Grundlage der gewünschten Baumgröße einhalten. Bauingenieuren und Architekten ist nicht wirklich daran gelegen, ausreichenden Wurzelraum zur Verfügung zu stellen. Dies ist nicht nur dem Mangel an Platz geschuldet, sondern auch, weil der Wurzeldruck benachbarte Versorgungsnetze wie z.B. Wasser- und Abwasserleitungen zerstören kann. Wir müssen an solchen Stellen dann aber Bäume pflanzen, die eine feinere Wurzeltextur aufweisen und nicht solche, die tiefe Wurzeln entwickeln wie Eiche, Buche oder Linde. Bäume mit einer feineren Wurzelstruktur wären zum Beispiel Birke und Weide. Außerdem sollten wir die Entwicklung der Wurzelsysteme im Boden regelmäßig beobachten und bei Bedarf Wurzeln beschneiden. Dies wird zwar die Kosten des Managements erhöhen und führt zu neuen Herausforderungen. Der Einsatz von Technologien wie z.B. Laserkameras, die in den Boden eindringen können, reduzieren die Kosten jedoch. Bau und Architektur sind nicht meine Fachgebiete, aber ich bin überhaupt nicht glücklich mit vielen der Infrastrukturprojekte, bei denen es nur noch sehr wenige Möglichkeiten gibt, überhaupt Bäume zu pflanzen. Wenn Bauprojekte nachhaltiger werden, d.h. weniger Stahl und Beton verwenden, dann steigt die Chance, Raum auch für Baumpflanzungen zu schaffen. Es gibt nachweislich keine Alternativen zu Stadtbäumen.
Sie sagen, dass die Öffentlichkeit für den Wert von Stadtbäumen sensibilisiert werden muss. Was würden Sie hier gerne sehen?
Dr. Saha: Unser Ziel ist es, die Bürger sowohl über die Bedrohung von Stadtbäumen durch den Klimawandel wie auch über die notwendigen Maßnahmen zu deren Schutz aufzuklären. Die Öffentlichkeit sollte über die Art und Weise, wie wir Bäume und Wälder bewirtschaften, und über Ansätze zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit von Bäumen und Wäldern im Rahmen des Klimawandels informiert werden. Die Sensibilisierung der Menschen wird helfen, insbesondere die Bewirtschaftung von Bäumen, Wäldern und Grünflächen, die sich in privaten Besitz befinden, zu verbessern. Menschen sollten die Möglichkeit haben, sich partizipativ an der Bewirtschaftung von Bäumen und Wäldern in städtischen Gebieten beteiligen zu können. Dies würde auch insgesamt den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft verbessern. Eine Partizipation der Öffentlichkeit an diesen „grünen“ städtischen Aktivitäten wird insgesamt zum Allgemeinwohl beitragen. Derzeit führen wir in Rheinstetten unter Einbeziehung der Anwohner*innen ein sehr schönes Experiment zum Thema "Naturnahes Management von Gärten“ durch, das in der Öffentlichkeit eine sehr gute Resonanz findet.
Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wurde unter dem Namen „Sylvanus“ eine Nachwuchsgruppe gegründet, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Bäume und Wälder beschäftigt. Können Sie die Arbeit dieser neuen Nachwuchsgruppe beschreiben? Wie können Sie Städten und Gemeinden helfen, die richtigen Entscheidungen für ihre Wälder und Stadtbäume zu treffen?
Dr. Saha: Wir haben uns bei in der Forschungsgruppe Sylvanus ehrgeizige Forschungsziele vorgenommen. Dabei beschäftigen uns wichtige Forschungsfragen, die wissenschaftlich noch nicht hinreichend bearbeitet sind. Zur Erläuterung muss ich etwas ausholen. Die Auswirkungen des Klimawandels auf natürliche und neu geschaffene Ökosysteme sind heute schon weltweit sichtbar. Viele Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger empfehlen, die Ökosysteme widerstandsfähiger zu machen, um die Auswirkungen des Klimawandels zu minimieren. Gleichzeitig wächst vor dem Hintergrund des weltweiten Bevölkerungswachstums die Erwartung der Gesellschaft, verstärkt Dienstleistungen aus den Ökosystemen zu beziehen. Die Bereitstellung von Ökosystemdienstleistungen muss aus einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Ressourcen stammen, bei der Nachhaltigkeit als normativer Prozess, sprich ein durch Gesetze und Regelns gesteuerter Prozess, angesehen werden kann. Ich postuliere, dass weder Resilienz noch Nachhaltigkeit auf unendlichem Niveau erreicht werden kann und dass ab einem bestimmten Schwellenwert Kompromisse zwischen Resilienz und Nachhaltigkeit erheblich auseinanderdriften können. Die Quantifizierung und Übertragung dieser Schwellenwerte in die Praxis ist eine der größten Herausforderungen, vor denen wir im Zuge des Klimawandels stehen.
Lösungen für das Resilienz- versus Nachhaltigkeits-Dilemma variieren räumlich, zum Beispiel zwischen Ländern und Ökosystemen. Und sie variieren zeitlich, sind beispielsweise abhängig von jährlichen bis jahreszeitlichen Größen. In den nächsten fünf Jahren möchten wir in der Forschungsgruppe dieses Dilemma in sozial-ökologischen Systemen wie dem Wald untersuchen. Wir haben dazu den Wald als Modellsystem ausgewählt, weil sich unsere Forschung sowohl auf natürliche Ökosysteme (z.B. Multifunktionswälder, Nationalparks) als auch auf neu geschaffene Ökosysteme (z.B. Bäume, Parks, Wälder in städtischen Gebieten oder "städtische Wälder") konzentrieren kann. Die Forschungsgruppe wird Grundlagenforschung und angewandte Forschung auf den Gebieten Ökologie, Forstwirtschaft, Nachhaltigkeitswissenschaften, Bioklimatologie und Philosophie unter inter- und transdisziplinären Gesichtspunkten kombinieren. Der Forschungsansatz ist global angelegt. Derzeit sind Feldarbeiten und Fallstudien in Deutschland, Indien, China, Chile und den USA vorgesehen.
In unserer Sylvanus-Forschungsgruppe betreiben wir trans- und interdisziplinäre Forschung. Das bedeutet, dass wir neben der Vernetzung der Wissenschaftsgebiete auch mit Städten und Kommunen zusammenarbeiten. Sie wollen wir unterstützen. Dazu treffen wir uns regelmäßig mit Stadtbeamten und Interessenvertretern in Workshops und Seminaren. Wir liefern den kommunalen Verwaltungen evidenzbasierte Vorschläge zur Verbesserung der städtischen Baum- und Forstwirtschaft. So arbeiten wir beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Stadt Karlsruhe und der Stadt Rheinstetten an der Entwicklung eines adaptiven Wald- und Baummanagementplans für städtische Gebiete im Klimawandel.
Herr Dr. Saha, vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellten Jana Kandarr und Oliver Jorzik (ESKP).
Zu Teil eins des Interviews mit Dr. Somidh Saha vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Referenzen
Tost, H., Reichert, M., Braun, U., Reinhard, I., Peters, R., Lautenbach, S., ... Meyer-Lindenberg, A. (2019). Neural correlates of individual differences in affective benefit of real-life urban green space exposure. Nature Neuroscience, 22, 1389-1393. doi:10.1038/s41593-019-0451-y
DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.020
Veröffentlicht: 21.11.2019, 6. Jahrgang
Zitierhinweis: Saha, S. (2019, 21. November). Stadtbäume besser umsorgen. Earth System Knowledge Platform [www.eskp.de], 6. doi:10.2312/eskp.020