Die Auswirkungen des Klimawandels betreffen nicht nur die wärmeren Gebiete der Erde, sondern treten besonders in den Polargebieten in Erscheinung. Um die Zusammenhänge von Wetter, Meereis und Ozeanen zu untersuchen, überwintern Wissenschaftler auf Forschungsstationen auf Spitzbergen oder dem Antarktischen Kontinent. Sie wollen damit sowohl die Folgen des Klimawandels in den Polarregionen, als auch beispielsweise in Europa besser verstehen. Mit dem fortschreitenden Rückgang des Meereises nimmt der Seeverkehr im Nordpolarmeer zu: Handelsschiffe werden in Zukunft vermehrt die im Sommer befahrbare nördliche Route als Transportweg zwischen Europa und Asien nutzen. Auch werden die Polargebiete ein immer beliebteres Reiseziel für Touristen, die einmal selbst die faszinierenden Eiswelten erleben möchten. Mit dem zunehmenden Schiffsverkehr in der Arktis wird die Nachfrage nach einem verbesserten Kommunikationsnetz sehr wahrscheinlich steigen. Eine mangelhafte Internetanbindung in den Polargebieten verkompliziert bisher zum Beispiel die Übertragung von Wetterdaten in Echtzeit.
Andere Vorhersagen für Menschen in Polargebieten
In den gemäßigten Breiten gibt es inzwischen sehr verlässliche Wettervorhersagen. Doch welche Wetterinformationen brauchen Menschen in den Polarregionen? Und reichen hier Vorhersagen über das Wetter aus? Neben der Frage, ob der Nebel noch vor dem Eintreffen des Versorgungshubschraubers verschwindet, oder wie kalt es am nächsten Morgen werden wird, ist es für bestimmte Arbeiten in den Polarregionen beispielsweise auch wichtig zu wissen, an welchen Stellen das Meereis für Schiffe unpassierbar ist. Viele Küstenbewohner der Arktis, die ihre traditionelle Lebensweise beibehalten haben, werden zudem profitieren, wenn im "Jahr der Polaren Vorhersagen" (Year of Polar Prediction) genauer untersucht wird, bei welchen Aktivitäten in den Polargebieten welche Informationen gebraucht werden. Dafür beobachten und vermessen Wissenschaftler Wetter und Meereis und vergleichen ihre Daten mit entsprechenden Computermodellen, aus denen sich später Prognosen für die Entwicklung von Wetter- und Meereis in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten ableiten lassen. Wetter und Meereis werden beispielsweise auch auf Ausfahrten mit dem Forschungseisbrecher Polarstern, dem wichtigsten Werkzeug deutscher Polarforschung, beobachtet. Aktuell erhält Polarstern vier bis acht Meereiskarten (Meereiskonzentration aus Satellitendaten) mit einer Verzögerung von zwei Stunden, um die befahrbaren Seewege zu ermitteln und die Forschungsroute zu planen.
Verbesserung der Vorhersageprodukte
Eine internationale Arbeitsgruppe im Polar Prediction-Projekt, das vom Alfred-Wegener-Institut aus koordiniert wird, beschäftigt sich mit den sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Aspekten der Umweltvorhersagen in den Polargebieten. Das Anliegen der Arbeitsgruppe Societal and Economic Research and Application besteht darin, sicherzustellen, dass bei der Verbesserung und Optimierung von Vorhersageprodukten für die Polargebiete die tatsächlichen Bedürfnisse der Benutzer berücksichtigt werden. Unter anderem wird beleuchtet, welche Entscheidungen wann getroffen werden müssen, welche meteorologischen Informationen dabei nötig sind, und wie diese Informationen gewonnen und zu Rate gezogen werden. Bedürfnisse von z.B. Fischern im Südpolarmeer werden im Year of Polar Prediction, das im Mai 2017 startete, genau untersucht und klassifiziert. Um die eigentlichen Entscheidungsprozesse besser zu verstehen, sind die Fragestellungen der Arbeitsgruppe vielschichtig: Wie beispielsweise verläuft die Kommunikation zwischen den einzelnen Akteuren in den Polarregionen, wer versendet welche Vorhersageinformationen, und welche Nutzer empfangen welche Prognosen. Der Informationsfluss ist dabei komplex, denn zu einem großen Teil sind Empfänger von Wetter- und Meereisvorhersagen gleichermaßen Sender.
Dezentrale Sammlung von Wetterdaten
Nicht nur nationale Wetterdienste führen Programme zur Wetterforschung durch und haben damit die Vollmacht über die Umweltdaten, sondern auch Nicht-Regierungs-Organisationen und (teilweise private) Bürgerinitiativen nehmen die Forschung in die eigene Hand. Private Initiativen sind beispielsweise die Teilnehmer des Voluntary Observing Ships-Programmes der Weltorganisation für Meteorologie (Sonderorganisation der Vereinten Nationen, kurz: WMO). Auf den zum großen Teil privaten Schiffen führen die Mannschaften selbständig Wetterbeobachtungen an ihrem jeweiligen Standort durch und leiten diese Daten dann via Satellit oder Funk an die vielen nationalen Wetterdienste bzw. ans Globale Telekommunikationssystem der WMO weiter. So unternahm beispielsweise ein Team von Seglern der Manevaï auf ihrer 5.100 km langen Reise durch die Kanadischen und Grönländischen Gewässer bis nach Frankreich Wettermessungen und brachte automatische Wetter-Bojen wieder in Schuss. Schiffe, aber auch automatische Wettermessstationen speisen ihre Messungen entweder direkt oder über die nationalen Wetterdienste in das Global Telecommunications System ein. Von dort können die Vorhersagezentren, die über automatische Algorithmen zur Qualitätsprüfung verfügen, die aktuellen Daten abrufen. Gerade in Gebieten, wo Wetterbeobachtungen und Messstationen eher spärlich sind, sind diese Daten sehr wertvoll, da sie für Wettervorhersagen und zukünftige wissenschaftliche Nutzungen zur Verfügung stehen. Durch die zukünftig vermehrte Einbindung in Entscheidungsprozesse haben Interessensvertreter wie beispielsweise das International Council for the Exploration of the Sea (ICES), die International Association of Antarctica Tour Operators (IAATO) oder auch indigene Gruppen wie das Sami Council (SC) oder das Inuit Circumpolar Council (ICC) ebenfalls Einfluss auf die Art der Wetterbeobachtungen und Vorhersageprodukte.
Die Forschungsinitiative
Am 15. Mai 2017 haben die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) und das Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), in Genf den Start der internationalen Forschungsinitiative „Year of Polar Prediction“ bekanntgegeben. Ziel des zweijährigen Großprojektes mit Partnern aus mehr als 20 Ländern ist es, die Wetter-, Eis- und Klimavorhersagen für die Arktis und Antarktis so umfassend zu verbessern, dass zum einen die Risiken für den Schiffsverkehr und andere Aktivitäten künftig besser eingeschätzt und Unfälle vermieden werden können. Zum anderen wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler genauer verstehen, wie die Klimaveränderungen an den Polen das Wetter in den mittleren Breiten beeinflussen. Gleichzeitig werden Sozialwissenschaftler untersuchen, auf welche Weise Vorhersagen zur Wetter-, Eis- und Klimaentwicklung in den Polarregionen besser in politische und wirtschaftliche Entscheidungsprozesse einfließen können und welche Informationen Entscheidungsträger in der Politik sowie im Transport- und Tourismussektor benötigen, um die Unfallgefahr zu minimieren.
Weiterführende Informationen:
Die Ergebnisse des zweiten Treffens der Arbeitsgruppe “Societal and Economic Research and Application” (PPP-SERA) im April 2016 an der Universität Canterbury in Neuseeland wurden kürzlich im Fachjournal ‘Bulletin of the American Meteorological Society’ publiziert: Thoman Jr., R., J. Dawson, D. Liggett, M. Lamers, E. Stewart, G. Ljubicic, M. Knol, and W. Hoke, 2016: Second Polar Prediction Project (PPP) Societal and Economic Research and Applications (SERA) Meeting focused on end user use of weather and climate information. Bull. Amer. Meteor. Soc. doi:10.1175/BAMS-D-16-0195.1, in press.