Die Oberflächentemperaturen des Nordatlantiks beeinflussen das Wetter- und Klimageschehen auch in vermeintlich entfernten Regionen. So werden nicht nur der Verlauf des Winters in Mitteleuropa, sondern auch die Stärke der Wirbelstürme in Mittel- und Nordostamerika oder die Niederschlagsmengen in Westafrika durch die Wassertemperatur des Nordatlantiks wesentlich mitbestimmt.
Meeresströmung und das Wetter- und Klimageschehen stehen in engem Zusammenhang
Am Äquator aufgewärmtes Wasser strömt nach Norden und kühlt sich in der polaren Region wieder ab. Da je nach Temperatur und Salzgehalt Meerwasser eine unterschiedliche Dichte hat, sinkt kaltes, salziges Wasser in die Tiefe, da es schwerer ist. Diese Austauschprozesse werden als Konvektion bezeichnet. Durch den Golfstrom und seine Ausläufer wie den Nordatlantikstrom wird deshalb warmes Wasser der Tropen quer über den Ozean transportiert. Dadurch bewirkt der Golfstrom in Europa eine Nordverlagerung der Klimazonen: Während sich in Europa auf 60° N die gemäßigte Klimazone befindet, ist an der nordamerikanischen Ostküste bereits die subpolare Klimazone. Der Wärmeaustausch und die Verdunstungsraten von Meerwasser, also Wechselwirkungen zwischen Luft (Atmosphäre) und Wasser (Hydrosphäre) entscheiden, ob es in Mitteleuropa stürmt oder die Sonne scheint. All diese Prozesse unterliegen jedoch natürlichen Schwankungen, die sich über Jahre, Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte abspielen. Da zu wenige Messdaten vorhanden sind, war bislang eine zuverlässige Vorhersage schwierig. Klimaforscher des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel beschreiben den Mechanismus dieser dekadischen Schwankungen der nordatlantischen Oberflächentemperaturen und zeigen, dass diese ein hohes Vorhersagepotenzial für Klimaänderungen besitzen.
Durch die Verknüpfung verschiedener beobachteter und modellierter Prozesse ist es den Wissenschaftlern gelungen, eine zuverlässige Simulation der Oberflächentemperaturen im Nordatlantik seit 1900 zu entwickeln. Ermöglicht werden hierdurch nun sogar Prognosen bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts.
Ausgangspunkt für die Arbeit der Wissenschaftler waren Schwankungen in den Luftdruckverhältnissen über dem Nordatlantik, die Fachleute mit Nordatlantischer Oszillation (NAO) umschreiben. Der NAO-Index beschreibt die Stärke des Druckunterschieds zwischen Azorenhoch (Hochdruckgebiet) und Islandtief (Tiefdruckgebiet), der prägend für die Wetterbedingungen in Nordeuropa sowie im Mittelmeerraum ist.
Mithilfe dieser Daten lassen sich die Schwankungen der von Temperaturunterschieden an der Oberfläche getriebenen Meeresströmungen in einem Klimamodell gut rekonstruieren und in bestimmten Rahmen auch für die Zukunft abschätzen. Der entscheidende Faktor für die Schwankungen dieser "Umwälzbewegung" ist die Menge an Wärme, die der Nordatlantik im Winter an die darüber liegende Atmosphäre abgibt. Diesen Prozess steuert maßgeblich die NAO. Die Koppelung an diese Zirkulation erlaubt nun eine zuverlässige Rekonstruktion der nordatlantischen Strömungen zwischen den Jahren 1900 bis 2010 zu erstellen. Da die Schwankungen der Strömungssysteme die der Oberflächentemperaturen maßgeblich bestimmen, lassen sich diese ebenfalls recht zuverlässig ableiten und sogar für Jahre im Voraus berechnen.
Die Wissenschaftler bestätigen, dass die Phase mit eher hohen Oberflächentemperaturen im Nordatlantik auch im kommenden Jahrzehnt anhalten wird, allerdings mit einem leicht negativen Trend. Insgesamt zeigt die Studie, dass dekadische Klimavorhersagen im nordatlantischen Raum prinzipiell möglich seien.
Der Meereswissenschaftler und Autor der Studie Milan Klöwer vom GEOMAR erläutert in einem Interview mit der Wissensplattform "Erde und Umwelt" die Bedeutung dieser Erkenntnisse.
Welchen Nutzen hat die Klimavorhersage für Jahre im Voraus im nordatlantischen Raum für uns in Deutschland?
Verlässliche Klimavorhersagen sind eine Entscheidungshilfe in vielen Bereichen von Hochwasserschutz über Energiepolitik bis hin zur Landwirtschaft. Geht es allerdings um Zeiträume, die mitunter starke jährliche oder dekadische Schwankungen beinhalten sind die Unsicherheiten viel größer, als wir es von der Wettervorhersage der nächsten Tage her gewohnt sind - das limitiert leider den effektiven Nutzen. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass die Forschung an Klimavorhersagen für Jahre oder Jahrzehnte große Fortschritte machen wird und dementsprechend wir über das Klima Deutschlands in 10 Jahren genauere Aussagen treffen können; zusätzlich zu einem langfristigen Klimatrend, der ja bereits jetzt schon prognostiziert werden kann.
Können auch Rückschlüsse auf das Wetter in Mitteleuropa für die kommenden Sommer und Winter gezogen werden?
Das ist deutlich schwieriger zu realisieren. Die Wechselwirkung von Ozean und Atmosphäre, auf denen die in der Studie vorgestellte Klimavorhersage beruht, schwankt über Jahrzehnte.
Darüber hinaus gibt es ausgeprägte jährliche Schwankungen, die dem ganzen überlagert sind und besonders lokal oder regional großen Einfluss haben können: ein ungewöhnlich kalter Winter in Europa gibt einem leicht das trügerische Gefühl weltweit gehe der Temperaturtrend in die andere Richtung. Konkretes Wettergeschehen ist und bleibt chaotisch, weshalb man Vorhersagen, die weiter als eine Woche in der Zukunft reichen, mit Skepsis betrachten muss. Auch hier gibt es regional Unterschiede, einige Regionen lassen sich besser vorhersagen, auch über Monate, als andere.
Wie wird die Wassertemperatur eigentlich gemessen über einen so großen Bereich wie den Nordatlantik?
Hier gibt es inzwischen viele Möglichkeiten: Satelliten liefern weltweit regelmäßig Daten wie etwa die Temperaturverteilung – jedoch nur von der Oberfläche. Ein global Netzwerk von etwa 3.500 Tiefseedriftern (Argo array) vermisst alle 10 Tage autonom die Temperaturentwicklung der oberen 2.000 m des Ozeans - bei einer mittleren Ausflösung von etwa 300 x 300 km. In Schlüsselregionen sind verankerte Sensoren installiert die kontinuierlich Daten erfassen. Forschungsschiffe ermöglichen Messungen komplexer Natur an nahezu beliebigen Orten zu erfassen. Autonome operierende Roboter vermessen kontrolliert den oberen, sehr variablen Teil des Ozeans. Viele Daten, insbesondere der Oberflächentemperatur die wir für unsere Studie nutzten, wurden und werden auch von Handelsschiffen gesammelt - nur so ist es möglich die Temperatur der Oberfläche vor der Zeit der Satelliten zu bestimmen.
Es ist letzlich die Kombination all dieser Daten die uns ein mehr oder weniger komplettes Bild des Ozeans liefert - zumindest wenn es um so etwas wie den Wärmeinhalt geht.
Eine große Herausforderung besteht insbesondere darin die Datenströme sicher zu stellen und die Daten, auch unter Berücksichtigung ihrer Qualität, zu verknüpfen um sinnvolle Beschreibungen des Ozeans zu erstellen.
Wichtig scheinen für die Austauschprozesse zwischen Oberflächen- und Tiefenwasser Unterschiede des Salzgehaltes und der Temperatur. Wird die ganze Wassersäule, also von der Oberfläche bis an den Ozeanboden vermessen?
Zum Einen ist das bereits erwähnte Argo Netzwerk, jedoch nur für Regionen bis zu 2.000 m Wassertiefe, ein wichtiges Standbein. Für Tiefen unterhalb von 2.000 m stehen zum einen Forschungsschiffe zur Verfügung von denen aus die Messinstrumente abgesenkt werden. Hier gibt es aber Einschränkungen - die Beprobung der gesamten Wassersäule ist beispielsweise in den Gebieten des Nord Atlantiks interessant, wo das sogenannte "Tiefenwasser" durch Absinken von abgekühltem Oberflächenwasser gebildet wird. Das geschieht in den kalten und windigen Wintermonaten, etwa in der Labrador See oder der Grönland See, und genau dann ist der Einsatz von Forschungsschiffe nicht möglich. Hier spielen dann Verankerungen, also Messgeräte die an einem Seil aufrecht im Wasser stehend montiert sind, eine wichtige Rolle (z. B. Verankerungen). Die Ketten werden dann nach ein bis zwei Jahren Standzeit ausgewechselt und die Daten der gesamten Wassersäule an einem Ort können dann analysiert werden.
Literaturhinweis
Klöwer, M., M. Latif, H. Ding, R. J. Greatbatch, W. Park (2014): Atlantic meridional overturning circulation and the prediction of North Atlantic sea surface temperature. Earth and Planetary Science Letters, 406, 1-6, http://dx.doi.org/10.1016/j.epsl.2014.09.001
Das Interview führte Dr. Ute Münch, Wissensplattform "Erde und Umwelt"