Welchen wirtschaftlichen Wert haben Ökosysteme für Deutschland? Was kostet es, wenn Ökosysteme geschwächt werden oder sogar wegfallen? Lohnt sich der Schutz biologischer Vielfalt? Was bringt Naturschutz wirtschaftlich? Dies waren für den Umweltökonomen Prof. Bernd Hansjürgens vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig die zentralen Fragen bei der Erarbeitung der nationalen TEEB-Studie „Naturkapital Deutschland“ (TEBB: The Economics of Ecosystems and Biodiversity). Die Ergebnisse der nun vorgelegten Studie zeigen: Intakte Ökosysteme haben für Deutschland einen großen wirtschaftlichen Wert und ihre Beeinträchtigung verursacht enorme volkswirtschaftliche Kosten. Dazu liefert „Naturkapital Deutschland“ anschauliche Beispiele.
Kosten durch intensive Landwirtschaft höher als Erträge
Die übermäßigen Stickstoffeinträge in Luft, Böden, Gewässer und Meere werden zu circa 80 Prozent durch eine intensive Landwirtschaft verursacht. Die Einträge führen zu einer Belastung des Grundwassers, erhöhten Kosten für die Trinkwasserbereitstellung, einem Rückgang der biologischen Vielfalt und einer Belastung der Meere und sind zum Teil unmittelbar schädlich für die menschliche Gesundheit. Der Einsatz synthetischer Stickstoffdünger führt in der Europäischen Union (EU-27) zu gesellschaftlichen Kosten durch gesundheitliche Schäden, Klimaschäden und Schäden an Ökosystemen von jährlich circa 20–150 Milliarden Euro. Die zusätzlichen Erträge werden dagegen auf nur 20–80 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Eine naturschonende Bewirtschaftung kann erhebliche Kosten sparen. Für Leipzig wurde errechnet, dass die Minderung der Nitratkonzentration durch Umstellung der Flächenbewirtschaftung im Anstrombereich der Grundwasserbrunnen auf gewässerschonende Verfahren, z.B. ökologischen Landbau, etwa siebenmal kostengünstiger ist als die technische Aufbereitung belasteten Rohwassers.
Insekten leisten geldwerten Beitrag durch Bestäubung
Vielfalt und Häufigkeit bestäubender Insekten sind durch die Intensivierung der Landnutzung und Landschaftsveränderungen stark zurückgegangen. Untersuchungen an Standorten in deutschen Schutzgebieten ergaben einen Rückgang der Biomasse an Insekten in den vergangenen 27 Jahren um 75 Prozent. Die überwiegende Mehrheit der heimischen Nutz- und Wildpflanzen ist auf Insektenbestäubung angewiesen. Allein bei einer ausbleibenden Bestäubung durch Honigbienen würde die Ertragsminderung für einzelne Kulturarten mehr als 90 Prozent betragen. Neue Untersuchungen zeigen die hohe Bedeutung von Wildbienen und anderen Insekten für die Bestäubung. Für manche Kulturpflanzen sind ausschließlich Wildbienen als Bestäuber geeignet, bei vielen anderen können Wildbienen den Bestäubungsanteil wesentlich erhöhen. Der wirtschaftliche Wert der Produkte, die von Bestäubungsleistungen abhängen, wird in Deutschland auf 1,1 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.
Grünflächen in der Stadt senken Gesundheitskosten
Die Grünflächen in der Stadthaben erhebliche, auch monetär quantifizierbare Wirkungen auf Gesundheit und Wohlbefinden. Sie mindern städtische Wärmeinseln, die in Hitzeperioden erhebliche Auswirkungen auf Erkrankungen des Herz-Kreislauf- und Atmungssystems haben können. Während einer dreiwöchigen Hitzewelle in Brandenburg und Berlin im Jahr 1994 war die Sterberate an einigen Tagen 10–30 Prozent und in einigen Bezirken Berlins 50 Prozent höher als in der Jahreszeit sonst üblich. Die Belastung mit Feinstaub verursacht in Deutschland pro Jahr ca. 47.000 vorzeitige Todesfälle. Straßenbäume, Grünflächen und Fassadenbegrünungen können erhebliche Mengen an Feinstaub und Stickoxiden aus der Luft ausfiltern.
Stadtgrün wirkt sich auch quantifizierbar auf die Lebenszufriedenheit aus. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung misst regelmäßig die Lebenszufriedenheit der Bevölkerung. Sie korreliert unter anderem mit dem Einkommen. Eine Untersuchung in deutschen Ballungsräumen ergab, dass der Anteil an Grünflächen im 1-km-Umkreis um den Wohnort ebenfalls signifikante Wirkungen auf die Lebenszufriedenheit hat. Mithilfe der Beziehung zum Einkommen kann man hieraus auch einen ökonomischen Wert abschätzen. An einer Fläche aus Berlin wurde gezeigt, dass ihr ökonomischer Wert als Grünfläche ihren Immobilienwert deutlich übersteigt.
Wiedervernässte Moore verringern Kohlendioxid-Emissionen in Deutschland erheblich
In Deutschland wurden 95 Prozent der ehemaligen Moore bzw. Moorböden(1,8 Millionen Hektar) entwässert und land- und forstwirtschaftlich sowie für den Torfabbau genutzt. Entwässerte Moorböden tragen heute mit einer Freisetzung von ca. 41 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr zu knapp 40 Prozent der gesamten Klimagas-Emissionen aus der deutschen Landwirtschaft bzw. zu ca. 4,4 Prozent der jährlichen deutschen Brutto-Gesamtemissionen bei, obwohl diese Böden nur rund 5 Prozent der Fläche Deutschlands bzw. 8 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche ausmachen. Die zukünftigen Schadenskosten und die langfristigen Vermeidungskosten dieser CO2-Emissionen sind weit höher als die landwirtschaftlichen Erträge. Die Wiedervernässung von Moorböden ist unter Berücksichtigung der verschiedenen Ökosystemleistungen gesellschaftlich deutlich wirtschaftlicher als ihre landwirtschaftliche Nutzung und sie ist eine kostengünstige Maßnahme zur Einsparung von Klimagasen.
Politische Schlussfolgerungen
Um wertvolle Ökosystemleistungen zu erhalten und Potenziale zu realisieren, die sich aus Nutzungsformen ergeben, die auf eine einseitige Maximierung verzichten und gezielt die Vielfalt der Leistungen der Natur nutzen – der sogenannten „ökosystembasierte Lösungen“ –, ist laut Studie wichtig, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in folgenden zentralen Punkten zu ändern:
Informationsgrundlagen verbessern: Die Studie empfiehlt, bestehende Ansätze zur Erfassung von Auswirkungen auf Umwelt und Natur um das Konzept der Ökosystemleistungen zu erweitern und dort, wo es sinnvoll erscheint, um ökonomische Bewertungen zu ergänzen. Dies gilt für übergreifende Monitoring- und Berichtssysteme einschließlich der Umweltgesamtrechnung ebenso wie für Planungen und Entscheidungen auf regionaler und lokaler Ebene. Unternehmerische Management- und Rechnungssysteme sind um Wirkungen auf Ökosystemleistungen und Naturkapital zu erweitern.
Kooperationen und Politikintegration: Um die Leistungen der Natur ausreichend würdigen zu können, muss man ihre Vielfalt betrachten. Erst dann wird deutlich, dass naturbasierte Lösungen (z.B. Hochwasserschutz durch Auenrenaturierung, Wiedervernässung von Moorböden) auch ökonomisch gesehen vorteilhaft sind. Eine einseitige, sektorale, nur auf einzelne Nutzungsziele gerichtete Betrachtung kann die ökonomischen Potenziale der Natur nicht erkennen. Kooperation und Politikintegration sind deshalb gezielt im Hinblick auf eine umfassende Berücksichtigung von Ökosystemleistungen zu fördern, unter anderem durch eine entsprechende Ausrichtung sektoral übergreifender Förderprogramme.
Staatliche Regeln und Anreize: Zur Erhaltung von Ökosystemleistungen sind staatliche Regeln und Anreize notwendig. Regulierung verhindert hierbei nicht wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand, sondern kann sie, ganz im Gegenteil, fördern. Defizite gibt es insbesondere im Bereich der Agrarpolitik, die gegenwärtig mit rund 40 Prozent des gesamten EU-Haushaltes gefördert wird. Der Anteil der Förderung zugunsten von Umwelt und Natur ist im Vergleich zu den Umweltbelastungen durch die Landwirtschaft relativ gering. Er muss deutlich erhöht werden. Zusätzlich sind die Auflagen insbesondere für den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln so zu gestalten, dass erhebliche Beeinträchtigungen von Ökosystemleistungen wie beispielsweise sauberem Grundwasser vermieden werden.
Unternehmerische Verantwortung wahrnehmen: Mittlerweile gibt es eine Reihe von Ansätzen zur Erfassung und Evaluierung der Wechselwirkungen zwischen Unternehmensaktivitäten und dem Naturkapital. Das ‚Natural Capital Protocol‘ verfolgt beispielsweise die Zielsetzung, die Abhängigkeit von Unternehmen vom Naturkapital aufzuzeigen und in die unternehmerische Kontrollrechnung zu integrieren. Die Erhaltung von Naturkapital und Ökosystemleistungen muss in Zukunft ein selbstverständlicher Teil der unternehmerischen Verantwortung werden.
Deutschlands ökologischen Fußabdruck reduzieren: Es reicht nicht aus, die Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Naturkapital allein im nationalen Rahmen zu analysieren. Deutschland muss verstärkt auch Verantwortung für den Erhalt des Naturkapitals und die nachhaltige Nutzung von Ökosystemleistungen im internationalen Rahmen übernehmen. Der hohe Fleischkonsum in Deutschland und das Produktionsmodell einer industrialisierten Tierhaltung, die zu einem hohen Anteil auf ausländischen Futtermitteln basiert, gefährden Naturkapital in den Exportländern.
Die Ergebnisse des Projekts "Naturkapital Deutschland" liefern ökonomische Argumente für wichtige umweltpolitische Prozesse: für das geplante "Aktionsprogramm Insektenschutz", den "Masterplan Stadtnatur" und für eine ökologischere Ausrichtung der EU-Agrarpolitik. Die Forderung nach Erfassung und Bewertung von Ökosystemen und ihren Ökosystemleistungen ist inzwischen Teil der internationalen Vereinbarungen im Rahmen der Konvention für die biologische Vielfalt, der Europäischen Biodiversitätsstrategie und der Sustainable Development Goals.
Im Laufe des Jahres 2019 wird Deutschland einen ersten umfassenden Bericht zum Stand und zur Entwicklung von Naturkapital und Ökosystemleistungen an die Europäische Kommission senden. "Naturkapital Deutschland" stellt hierfür wesentliche Grundlagen dar. Weiterhin werden erste Schritte unternommen, um Naturkapital und Ökosystemleistungen im Rahmen der Umweltgesamtrechnung nicht nur an Beispielen, wie im vorliegenden Bericht, sondern flächendeckend und möglichst umfassend zu bewerten. Hierfür gibt die Studie wichtige Impulse.
Über die Studie
„Naturkapital Deutschland – TEEB DE“ ist die deutsche Nachfolgestudie der internationalen TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity), die unter dem Dach der Vereinten Nationen von 2007 bis 2009 durchgeführt wurde. Seit 2012 befassen sich Forscher*innen und Praktiker*innen unter Leitung des Helmholtz Zentrum für Umweltforschung Leipzig (UFZ) im Projekt Naturkapital Deutschland mit dem Zusammenhang zwischen den Leistungen der Natur – den sogenannten Ökosystemleistungen –, der Wertschöpfung der Wirtschaft und dem menschlichen Wohlergehen auf nationaler Ebene.
Prof. Dr. Bernd Hansjürgens koordinierte mit seinem Team am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig (UFZ) die Arbeit an den verschiedenen Berichten von „Naturkapital Deutschland“ als Studienleiter. Für die Veröffentlichungen zu Ökosystemleistungen und Klima, städtischen Ökosystemleistungen und Ökosystemleistungen im ländlichen Raum wurden zusätzlich Berichtsleitungen eingeworben, die mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und speziellem Know-How Einzelthemen bearbeiteten. Insgesamt waren mehr als 300 Personen aus Wissenschaft und Praxis an den Berichten als Autoren, Gutachter oder in zwei unabhängigen Beratungsgremien beteiligt. Finanziert wurde das Projekt "Naturkapital Deutschland – TEEB DE" vom Bundesumweltministerium über das Bundesamt für Naturschutz.
Text: Dr. Burkhard Schweppe-Kraft (BfN) und Susanne Hufe (UFZ)
Referenzen
Naturkapital Deutschland – TEEB DE (2018).Werte der Natur aufzeigen und in Entscheidungen integrieren – eine Synthese. Leipzig: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ.
Weiterführende Informationen
Veröffentlicht: 01.10.2018, 5. Jahrgang
Zitiervorschlag: Schweppe-Kraft, B. & Hufe, S. (2018, 01. Oktober). Naturerhalt rechnet sich. Earth System Knowledge Platform [eskp.de], 5. https://www.eskp.de/klimawandel/naturerhalt-rechnet-sich-9351008/