Herr Professor Schwarze, es zeichnet sich ab, dass Joe Biden der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird. Biden hat bereits angekündigt, bei einem Wahlsieg dem Pariser Klimaschutzabkommen wieder beizutreten. Wie beurteilen Sie dieses Vorhaben?
Prof. Dr. Reimund Schwarze: Es ist in der Wahlberichterstattung etwas untergegangen, aber die USA sind am 4. November 2020 rechtswirksam aus dem Pariser Klimaschutzabkommen ausgetreten. Da die USA der zweitgrößte Emittent weltweit für klimaschädliche Treibhausgase ist, ist es wichtig, dass die neue US-Regierung diesem Abkommen wieder beitritt. Hier hat der designierte Präsident Joe Biden ermutigende Signale gesendet, dass er sich alsbald einen Wiedereintritt wünscht.
Geht das denn so einfach?
Schwarze: Den Wiederbeitritt können die USA ziemlich formlos vollziehen. Aber sie müssen dreißig Tage danach die sogenannten „Nationally Determined Contributions", kurz NDC, erklären, denn die nationalen Klimaziele der USA unter Obama erlischen mit dem Austritt. Sie müssen daher intern neu verhandelt, verbindlich formuliert und rechtswirksam verabschiedet werden. Wenn nach der Inauguration Joe Bidens am 20. Januar 2021 alles gut geht, wäre mit einem rechtswirksamen Wiedereintritt frühestens Ende Februar zu rechnen. Aber auf dem Weg dahin lauern Unabwägbarkeiten, die sich zu echten Hürden aufbauen können.
Welche wären das?
Schwarze: Eine zentrale Hürde sind die Mehrheitsverhältnisse im Senat. Alles was weitreichende budgetäre Folgen für die USA hat, muss auch vom Senat verabschiedet werden. Hier wissen wir erst am 5. Januar Bescheid, wie die endgültigen Mehrheitsverhältnisse im US-Senat aussehen werden. Es wird auf jeden Fall sehr knapp werden. Joe Biden muss selbst im Falle einer Mehrheit im Senat erst einmal Überzeugungsarbeit leisten, um weitreichende Klimaschutzprogramme versprechen zu können.
Was kann Joe Biden tun, um bei negativen Mehrheitsverhältnissen im Senat die Klimavorhaben trotzdem zu sichern?
Schwarze: Hier kommt der Biden-Plan ins Spiel. Joe Biden hat mit seinen klimapolitischen Ankündigungen realistisch antizipiert, dass große haushaltspolitische Programme nicht durchsetzbar sind. Die klimapolitischen Schritte, die er angekündigt hat, wurden sehr vorsichtig formuliert. Er hat intern dafür einige Kritik einstecken müssen. Die Parteilinke Alexandria Ocasio-Cortez hatte ein Klimaprogramm in Höhe von 10 Billionen US-Dollar gefordert. Ein großer Green-Deal also. Das Programm von Biden und Harris nimmt sich dagegen mit einer Höhe von 1,7 Billionen Dollar eher bescheiden aus. Aber das war eine durchaus klug durchdachte Strategie.
Warum halten Sie das für eine kluge Strategie?
Schwarze: Mit der vorsichtigen Formulierung nimmt er Kritikern sowohl bei Republikanern als auch in der eigenen demokratischen Partei einiges an Wind aus den Segeln. Der Rahmen orientiert sich ungefähr an dem, was die EU größenmäßig ebenfalls festgelegt hat, er geht sogar darüber hinaus. Joe Biden hat zudem Ausgestaltungswege für sein Klimaprogramm formuliert, die auch unter das Dach des Corona-Wiederaufbauprogramms fallen können. Damit wären sie einer fiskalischen Blockade des Senats entzogen.
Welche Maßnahmen hat man sich beim Biden-Programm vorzustellen?
Schwarze: Bekannt sind bislang zwei konkrete Ziele. Zum einen will er 500.000 Ladestationen für E-Mobilität aufbauen. Zum anderen soll der Bau von 1,5 Mio. Energiesparhäusern gefördert werden. Es geht bei beiden Maßnahmenbereichen auch darum, privates Kapital zu aktivieren, um entsprechende Hebeleffekte zu schaffen. Gemessen an den riesigen Dimensionen in den USA sind das natürlich bescheidene Ziele. Aber man muss es immer wieder positiv betonen, dafür handelt es sich um realistische Ziele.
Würden diese Maßnahmen für einen Wiedereinritt in das Pariser Klimaschutzabkommen reichen?
Schwarze: Es wurde darüber hinaus bereits eine CO2-Neutralität bei der Stromproduktion bis 2035 angekündigt. Zudem soll es eine Verpflichtung zu Netto-Null-Emissionen bei CO2 bis 2050 geben. Dies würde insgesamt wahrscheinlich für eine Wiederaufnahme in das Pariser Klimaschutzabkommen reichen. Aber schon hier steckt parteiintern für die Demokraten eine Menge Brisanz drin. Man muss sich nur einmal betrachten, in welchen US-Bundesstaaten das meiste Fracking betrieben wird, das mit den Klimazielen auf dem Prüfstand stehen wird. Das sind interessanterweise alles demokratische Bundesstaaten: Colorado, Pennsylvania, New Mexico. Da steckt eine Menge Brisanz für die neue Regierung drinnen. Hier sind wir wieder bei den Senatswahlen. Selbst bei einer demokratischen Mehrheit ist mit einem Durchwinken höchst ambitionierter NDCs kaum zu rechnen.
Was wird noch passieren? Donald Trump hat ja auch zahlreiche Erlasse unterschrieben, die umwelt- und klimapolitische Auswirkungen hatten.
Schwarze: Mit hoher Wahrscheinlichkeit können wir damit rechnen, dass Joe Biden versuchen wird, den institutionellen Schaden zu heilen, den Donald Trump angerichtet hat. Das betrifft insbesondere die amerikanische Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency, Anm. der Redaktion). Sie wurde unter Trump massiv geschwächt und zu einer wirtschaftsfreundlichen Organisation umgebaut, die sich heute eher um die Deregulierung von Umweltstandards kümmert, denn um Umweltschutz. Viele sehr gute Wissenschaftler haben die EPA verlassen oder wurden gegangen. Hier geht es darum, wieder wissenschaftliches Know-how aufzubauen, für eine völlige Neuausrichtung der EPA zu sorgen und dafür die nötigen Strukturen zu schaffen. Das wird ein schweres Stück Arbeit. Insgesamt rechne ich jedoch damit, dass die internationalen Auswirkungen größer sein werden als die nationalen.
Könnten Sie uns das zum Abschluss des Gesprächs noch kurz erläutern?
Schwarze: Ich gehe davon aus, dass wir eine Stärkung der internationalen Rolle der USA sehen werden, die über das Pariser Klimaschutzabkommen deutlich hinausgeht. Interessant könnte hier die Personalie John Kerry sein, der als Kabinettsminister für Klimaschutz mit außenpolitischer Strahlkraft gehandelt wird (Anm. der Redaktion: John Kerry war von 2013 bis 2017 bereits Außenminister der USA). Er wird in jedem Fall im Klimarat der Regierung vertreten sein. Egal in welcher Funktion, er wird die klimapolitischen Ziele der Regierung auf internationaler Bühne offensiv vertreten. Ein wichtiges Handlungsfeld wird dabei die Frage von Strafzöllen für Länder sein, die sich dem CO2-Null-Emissionsziel verweigern. Dies betrifft insbesondere Australien oder Brasilien. Hier kann es bei der Frage von Strafzöllen für dieser Länder zu einer spannenden Kooperation mit der EU kommen. In Brüssel wird das Thema – auch unter Wettbewerbsgesichtspunkten – schon länger intensiv diskutiert. Gemeinsam mit den USA könnte hier tatsächlich etwas in Bewegung geraten, was die EU alleine nicht schaffen würde.
Herr Prof. Schwarze, wir danken Ihnen für diese ersten Einschätzungen.
Das Interview führte Oliver Jorzik (Earth System Knowledge Platform | ESKP).
Weiterführende Informationen
Schwarz, S. (2020, 29. Oktober). „Biden kann den Paris-Austritt nicht ungeschehen machen“ [Interview mit Reimund Schwarze]. Klimareporter [www.klimareporter.de]. Aufgerufen am 30.10.2020.
DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.044
Veröffentlicht: 11.11.2020, 7. Jahrgang
Zitierhinweis: Schwarze, R. (2020, 11. November). Möglicher Wahlsieg Joe Bidens: Wandel in der US-Klimapolitik? Earth System Knowledge Platform [www.eskp.de], 7. doi:10.2312/eskp.044