Eine Flensburger Werft nutzt Wetterdaten der Vergangenheit, um Fährschiffe von morgen zu bauen. Die Wettermodelle im Datensatz coastDat lassen Rückschlüsse auf das Seegangsverhalten von Schiffen zu, bevor diese gebaut werden. Küstenforscher Dr. Ralf Weiße, Abteilungsleiter im Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG), hat den Datensatz mitentwickelt.
Der Einsatz und die Sicherheit eines Schiffes hängen wesentlich von den zu erwartenden Wetterbedingungen auf der Schiffsroute ab. Die Analyse von Wetterdaten bildet daher einen wichtigen Aspekt während des Schiffsentwurfs. Die Flensburger Werft setzt dazu die Daten der Küstenforscher in ihrer Simulationssoftware ein: Die Software berechnet auf Basis der coastDat-Daten die zu erwartenden Schiffsbewegungen für eine Route.
„Die Daten für den Schiffbau sind eher ein Nebenprodukt, ursprünglich wollten wir wissen, wie sich Sturmfluten oder extreme Seegänge in der Nordsee über lange Zeiträume ändern. Die Aufgabe war eine verbesserte Datenlage zur Bewertung langfristiger Veränderungen in den marinen Umweltbedingungen zu schaffen“, sagt Weise.
Generell ist die Datenlage dünn: Es gibt gelegentlich Daten von Messbojen oder Stationen auf See, aber keine kontinuierlichen Messreihen über Jahrzehnte, die mit immer der gleichen Methodik erfasst werden. Das kann zu Fehlinterpretationen führen. Ändert sich zum Beispiel die Messmethodik, können Trends vorgetäuscht werden, die in der Realität nicht existieren. Zusätzlich gibt es über Zeiträume von 40 oder 50 Jahren natürliche Klimaschwankungen, die eben keine Tendenz in die eine oder andere Richtung zeigen.
Virtuelle Nordsee der vergangenen 50 bis 60 Jahre
Wissenschaftler weltweit haben deshalb Methoden entwickelt, um möglichst genaue Aussagen für Regionen zu erhalten, für die kaum Messungen existieren. Die Technik beruht darauf, die Modelle mit den vorhandenen Messdaten zu verbinden. Auch der coastdat-Datensatz nutzt diesen Ansatz. Ausgehend von globalen Modellrechnungen, in die vorhandene Messungen integriert wurden, entwickeln die HZG-Forscher mit den von ihnen produzierten numerischen Modellsimulationen Aussagen an Stellen, für die keine realen Messungen existieren.
Und das erfolgreich: Der coastDat-Datensatz kann das Seegangsklima von 1958 bis heute abbilden, es entsteht eine virtuelle Nordsee für die vergangenen 50 bis 60 Jahre.
„Eine wichtige Erkenntnis, die wir aus diesen Daten ableiten ist, dass die Sturmaktivität über Jahrzehnte hin beträchtlichen Schwankungen unterworfen ist. Langfristig ist aber kein Trend zu erkennen“, sagt Weiße. Trotzdem laufen Sturmfluten heute etwa 20 Zentimeter höher auf als noch vor 100 Jahren. Dies führen die Wissenschaftler auf den Anstieg des mittleren Meeresspiegels zurück, durch den das Ausgangsniveau von Sturmfluten heute generell höher liegt.
Weiterer Einsatz der Daten ist denkbar: Mit coastDat lassen sich nicht nur die Klimaänderungen der marinen Umwelt bewerten und das Schiffsdesign anpassen, auch für die Planung und die Logistik von Offshore-Windparks oder für Risikobewertungen sind die Statistiken interessant.
Weiterführende Informationen
Der coastDat-Datensatz mit weiteren Beispielen
Die Abteilung Systemanalyse und Modellierung im Institut für Küstenforschung