Seit den 1970er Jahren ist die Aquakultur der am schnellsten wachsende Zweig der Lebensmittelproduktion. Miesmuscheln gehören seit langem zum Speiseplan der Europäer. Sie sind vergleichsweise einfach zu produzieren. Bereits im 13. Jahrhundert wurden sie im Südwesten von Frankreich an sogenannten Bouchots, einer Art Holzpfahl im Meer, kultiviert. Jeder dieser Bouchots wirft heutzutage annähernd 60 Kilo Muscheln pro Jahr ab. Die Züchtung an langen Leinen unter Wasser ist eine neuere Technik. Sie ist weniger anfällig bei Stürmen oder hohem Wellengang. Große Player im europäischen Markt sind Frankreich und die Niederlande. Auch Großbritannien, Norwegen, Schweden, Dänemark und Irland mischen als Produzenten mit. Genauso wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Mit einer Jahresproduktion von 11.000 Tonnen ist die Menge der hier produzierten Muscheln sogar höher als die von Schweden, Dänemark oder Norwegen. Die Nachfrage nach Fisch und Muscheln ist jedoch enorm. Global stammt bereits jeder zweite Fisch aus Aquakulturen. Der Anteil der Zucht auf hoher See und an Küsten macht 36 Prozent der Gesamtproduktion aus. Grund genug darüber nachzudenken, wie sich die Aquakultur mit dem Klimawandel verändern könnte und welche Herausforderungen sie in Europa bewältigen muss.
Temperaturanstieg, Wetterextreme und Aquakultur
Die zusätzliche Wärme, die durch den menschengemachten Treibhauseffekt entsteht, wird fast komplett vom Ozean aufgenommen. Der Anstieg der Wassertemperatur zeichnet sich beispielsweise an der Station Helgoland des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in allen Jahreszeiten ab. Seit dem Jahr 1962 ist die Wassertemperatur im Mittel um 1,67 Grad Celsius gestiegen. Neun der zehn wärmsten Jahre traten nach dem Jahr 1988 auf. Und in der Deutschen Bucht erwärmte sich das Wasser stärker als in anderen Regionen der Nordsee. Einige zugewanderte Arten werden unter diesen veränderten Bedingungen eher überleben als traditionell hier beheimatete Arten. So konnte sich die Pazifische Felsenauster (Crassostrea gigas) erst durch die Erwärmung unerwartet stark vermehren. Sie ist allerdings nicht eingewandert, sondern bewusst eingeführt worden: Als die Industrie die Nachfrage nach der beliebten Europäischen Auster (Ostrea edulis) nicht mehr decken konnte, wurde die Pazifische Felsenauster explizit für den europäischen Markt eingeführt und kultiviert. Seit Mitte der 1980er Jahre wird sie bei Sylt in Austernfarmen gezüchtet. Damals ging man davon aus, dass die Minimumwassertemperatur von 18 °C, die diese Art zur natürlichen Fortpflanzung braucht, nie erreicht wird. Eine dauerhafte Ansiedlung oder Verdrängung anderer Arten durch die Pazifische Felsenauster sollte so ausgeschlossen werden. Doch es kam anders. Allein im Zeitraum von 2007 bis 2013 stieg die Wassertemperatur an durchschnittlich acht Tagen pro Sommer über diese 18 °C. Der daraus resultierende Fortpflanzungserfolg dieses wenig anspruchsvollen Generalisten ist im Nationalpark Wattenmeer gut zu beobachten. Folgen hat das auch für die Biodiversität. So ist im Fall der Pazifischen Felsenauster die Biodiversität in den von ihr gebildeten Riffen geringer als in den Miesmuschelbänken. Die Miesmuschel findet in den Auster-Riffen zudem kaum Platz, um sich anzusiedeln. Als Folge wird sie aus ihrem angestammten Lebensraum verdrängt. Planktongemeinschaften werden mit dem Temperaturanstieg biodiverser.
Versauerung und Aquakultur
Kohlendioxid aus industriellen Verbrennungsprozessen landet nicht nur in der Atmosphäre. Ein Teil davon wird von Pflanzen und von den Ozeanen wieder aufgenommen. Im Meerwasser gelöst wird es zu Kohlensäure. So ändert sich der pH-Wert des Wassers im Nachkommastellenbereich allmählich, das Meer versauert. Kleine Unterschiede mit großem Effekt. Wieviel Kohlendioxid das Meer aufnehmen kann, variiert. Je kühler das Wasser desto größer ist seine Kapazität, CO2 zu lösen. Momentan lösen sich circa 26 % des von Menschen emittierten Kohlendioxids im Meer. Das hat Folgen für alle Schalentiere. Sie brauchen für den Aufbau ihrer Schale Karbonat-Ionen, die normalerweise in ausreichendem Maße in den oberen Schichten zur Verfügung stehen. Nicht jedoch wenn große Mengen Kohlensäure eingetragen werden. Dies könnte sich negativ auf Aquakulturen auswirken. Bei einem Temperaturanstieg von 1 °C ist ein Rückgang der Miesmuschelproduktion von bis zu 50 % möglich. Bei Austern wurde bisher beobachtet, dass in saureren Milieus ihre Schale nicht leidet und die gleiche Stärke aufweist. Jedoch ist der Energieaufwand für das Schalenwachstum hoch, sodass die Austern nicht mehr genauso groß werden würden. Möglicherweise jedoch wird dieser negative Effekt durch ein höheres Nahrungsangebot, in diesem Fall Phytoplankton, ausgeglichen. Die im Meer schwebende pflanzliche Nahrung gedeiht besser aufgrund des unnatürlich hohen Nährstoffeintrages (Eutrophierung) aus den umliegenden Flüssen. In Kombination mit höheren Wassertemperaturen sorgt dies für eine verstärkte Phytoplankton-Produktion. Den negativen Effekten für Aquakulturen stünden demnach ausgleichende Positiv-Effekte gegenüber.
Anstieg des Meeresspiegels und Aquakultur
Aquakulturen in der Nähe der Küsten oder im Gezeitenbereich werden mit dem steigenden Meeresspiegel wandern oder sich neue Gebiete suchen müssen. Ist dies nicht möglich, muss der Betrieb aufgegeben werden. Käfige und Leinen müssen bei verstärktem Wellenschlag und vermehrten und intensiveren Stürmen angepasst werden. Das Material erfährt eine höhere Beanspruchung.
Süßwassereintrag und Aquakultur
Die meisten in Europa genutzten Arten sind relativ tolerant in Bezug auf Salinität, d.h. den Salzgehalt des Wassers. Aus dieser Sicht besteht kein Problem, wenn sich der Salzgehalt des Meeres beispielsweise durch mehr Niederschlag verändert. Ein größeres Problem im Zusammenhang mit vermehrtem Niederschlag stellt der Eintrag von Schadstoffen, wie z.B. Schwermetallen über die Flüsse, dar. Gleichzeitig kann wie bereits beschrieben der erhöhte Nährstoffeintrag auch ein Vorteil für die Bildung von Phytoplankton sein.
Fazit
Besonders wichtig scheinen kurz- bis mittelfristig die Auswirkungen von gehäuft vorkommenden extremen Wetterereignissen für Fischerei und Aquakultur relevante Arten. Dazu zählen extreme Hitze im Sommer und strengere Winter sowie die steigende Beeinträchtigung und Schädigung der Infrastruktur (Schiffe, Muschelleinen, Netze) durch häufigere und intensivere Stürme. In Zukunft werden eine flexible Anpassung der Meeresnutzung und eine Kooperation aller Beteiligten von großer Bedeutung sein. Es müssen regionale Lösungen für ein lokales/globales Problem gefunden werden.