Im Interview mit der Wissensplattform "Erde und Umwelt" (ESKP) sprechen Daniela Franz und Katrin Kohnert vom GeoForschungsZentrum in Potsdam über ihre Arbeit in Sibirien. Ein Ziel: Wie viel von den Treibhausgasen Methan und Kohlenstoffdioxid aus dem Untergrund wird in die Atmosphäre freigesetzt und welche Prozesse sind daran beteiligt.

Ihre diesjährigen Messkampagnen haben sie in Sibirien durchgeführt. Wo arbeiten Sie dort genau?
Wir arbeiten im südlichen Teil des Lenadeltas bei etwa 72°N, also nördlich des Polarkreises. Während unserer Expeditionen, die immer in Kooperation mit dem Alfred-Wegener-Institut durchgeführt werden, sind wir auf der Insel Samoylov stationiert, wo wir eine moderne russische Forschungsstation nutzen, die seit 2013 die bisherige russisch-deutsche Station ersetzt. Unsere eigentliche Feldarbeit findet zum einen auf der Insel Kurungnakh, einer Nachbarinsel von Samoylov, statt. Zum anderen führen wir Helikopter-gestützte Messungen aus der Luft durch. Dabei steht das ganze Flussdelta im Fokus unserer Arbeit.

Wieso ist das Gebiet für Ihre Forschungsarbeiten interessant?
Das Lenadelta ist das größte Delta in der Arktis. Es besteht aus vielen Flussverzweigungen, Seen und Inseln und bietet damit eine große räumliche Vielfalt, was besonders für die Helikopter-gestützten Messungen sehr interessant ist, mit denen wir u.a. die räumliche Variabilität in den Wechselwirkungen zwischen Oberflächen und Atmosphäre untersuchen wollen. Außerdem ist Samoylov und die Umgebung im Delta bereits seit Ende der 1990er Jahre gut untersucht. Es bestehen vielseitige Forschungsergebnisse, die für die Interpretation der eigenen Ergebnisse mit herangezogen werden können sowie zahlreiche laufende Untersuchungen und Kooperationsmöglichkeiten. Die Forschungsinfrastruktur ist darüber hinaus sehr gut ausgebaut und bietet optimale Voraussetzungen - und nicht zuletzt überhaupt erst den Zugang zu einem spannenden Teil der ausgedehnten russischen Permafrostgebiete.

Welche Untersuchungen/Arbeiten nehmen Sie vor Ort vor?
Auf Samoylov und in der Umgebung werden unterschiedliche Messungen von verschiedenen Instituten und Forschungseinrichtungen aus Russland und dem Ausland durchgeführt. Unsere Nachwuchsforschergruppe TEAM hat dieses Jahr zwei Projekte. Mit beiden wollen wir neue Erkenntnisse darüber gewinnen, wie viel von den Treibhausgasen Methan und Kohlenstoffdioxid aus dem Untergrund in die Atmosphäre freigesetzt wird und welche Prozesse daran beteiligt sind. Mit dem ersten Projekt wird der Austausch von CO2 und CH4 zwischen einem arktischen See und der Atmosphäre untersucht. Dafür haben wir im Frühjahr zusammen mit Kollegen vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) eine schwimmende und mit allerlei Messinstrumenten ausgestattete Plattform auf den See gebracht, die bis zum Spätsommer dort verbleiben soll. Zusätzlich zu den Gasflüssen werden auch Wassertemperaturen und meteorologische Daten erfasst. Neben der reinen Quantifizierung sind wir vor allem an saisonalen Dynamiken der Gasflüsse sowie deren Steuerparametern interessiert.

Beim zweiten Projekt möchten wir herausfinden, ob es räumliche Unterschiede im Treibhausgasaustausch im Lenadelta gibt und wie groß diese sind. Das interessiert uns, weil das Lenadelta unterschiedliche Oberflächen hat, z.B. Seen, Flussarme, Tundra. Um große Strecken (ca. 100 km lange Abschnitte) abzudecken, mieten wir einen Hubschrauber, an den wir unser Messgerät, die Helikopterschleppsonde "Helipod" von der Technischen Universität Braunschweig, hängen. Mit dem Helipod messen wir Methan- und Kohlenstoffdioxidkonzentrationen, den Wind, verschiedene Temperaturen und die Position. Während des Fluges können wir auf dem Laptop diese Parameter live beobachten, bevor sich dann eine langwierige Verarbeitung der Daten anschließt.

Nehmen Sie Probenmaterial mit nach Deutschland und wenn ja, welche Analysen werden dann dort durchgeführt?
Das praktische an unserer Arbeit ist, dass wir keine Proben von zum Beispiel Luft oder Boden nehmen, sondern alle Messungen gleich vor Ort durchführen und den riesigen Berg an Daten zum Teil vor Ort, aber hauptsächlich in Deutschland auswerten.

Welche Erkenntnisse erwarten bzw. erhoffen Sie sich durch Ihren Geländeaufenthalt?
Wir erhoffen uns vollständige und lückenlose Datenreihen von der Seeplattform und den Helipodflügen, um fundierte Aussagen zur saisonalen und räumlichen Dynamik des Treibhausgasaustausches treffen zu können. Natürlich wird es besonders spannend, wenn man etwas Unerwartetes entdeckt. Aber schon allein gelungene Messungen sind von großer Bedeutung, da es bisher kaum Messreihen dieser Art in der Arktis gibt.

Wie lange dauert eine Expedition nach Sibirien?
In der Regel dauern unsere Expeditionen drei bis vier Wochen. Da die Durchführung der Helipodflüge niederschlagsfreies Wetter mit guten Sichtverhältnissen verlangt, kann es aber auch mal länger dauern, bis wir alle Messungen durchführen können.

Wie kommen Sie überhaupt von Potsdam ins Lena Delta und wie lange dauert die Anreise?
Wenn alles nach Plan läuft, kann man in zwei bis drei Tagen von Berlin aus auf Samoylov sein. Der erste Teil der Anreise ist der einfachste, weil wir mit dem Flugzeug von Berlin über Moskau und Jakutsk in die Hafenstadt Tiksi am östlichen Rand des Lenadeltas fliegen. Von dort geht es dann je nach Jahreszeit unterschiedlich weiter. Im April, als der Fluss Lena und die Tundra noch komplett gefroren waren, sind wir neun Stunden mit einem LKW über das Eis zur Insel gefahren. Das war ziemlich holprig, aber eine tolle Erfahrung! Beim zweiten Fahrtabschnitt Ende Mai war das Eis nicht mehr stabil genug, so dass wir mit dem Hubschrauber nach Samoylov geflogen sind. Das dauert dann nur 40 Minuten. Im Sommer, wenn wir zum dritten Mal ins Lenadelta reisen, werden wir die letzte Etappe mit dem Boot auf der Lena fahren. Die An- und Abreise und auch der Transport der Fracht werden vom Alfred-Wegener-Institut organisiert, wofür wir uns herzlich bedanken!

Von der aktuellen Expedition in der Arktis gibt es einen Blog.

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Die Fragen für die Wissensplattform "Erde und Umwelt" stellte Dr. Ute Münch.

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