Die Länder Zentralasiens, zu denen Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan, Tadschikistan sowie große Teile des Nordwestens Chinas gehören, sind weitestgehend durch aride, kontinentale Klimabedingungen geprägt. Aufgrund dieser klimatischen Bedingungen stellen die großflächigen Gletscher der gewaltigen Gebirgszüge Zentralasiens die wichtigste Wasserreserve der Region dar. Da der gesellschaftliche Wohlstand in dieser ökologisch hochsensiblen Region in hohem Maß von Landwirtschaft und Landnutzung und somit von Wasserverfügbarkeit abhängt, ist das Verständnis der Auswirkungen des fortschreitenden Klimawandels auf den regionalen Wasserkreislauf und die in den Gletschern gespeicherten Wasserreserven von besonderer Bedeutung. Darüber hinaus stellt Zentralasien durch seine geographische Lage an der Schnittstelle zwischen dem Einflussbereich der Westwinde der mittleren Breiten und dem asiatischen Monsunsystem eine Schlüsselregion für das grundlegende Verständnis großräumiger Wechselbeziehung in der atmosphärischen Zirkulation und im globalen Klimageschehen dar.
Belastbare Aussagen über die zukünftige Klimaentwicklung, insbesondere in Anbetracht des durch den menschlichen Einfluss fortschreitenden Klimawandels sowie über Wechselwirkungen im globalen Klimasystem, sind aber nur mit ausreichender Kenntnis der natürlichen Klimavariabilität möglich. Da instrumentelle und historische Klimadaten und –aufzeichnungen aber nur relativ kurze Zeiträume abdecken (im besten Fall wenige hundert Jahre), lassen sich mit ihnen keine verlässlichen Aussagen über die volle Spannbreite der natürlichen Klimavariabilität vor der verstärkten Einflussnahme durch den Menschen treffen. Für ein umfassendes Verständnis der natürlichen Klimavariabilität müssen deshalb andere Klimaarchive erschlossen werden, die längere Zeiträume abdecken. Neben Gletschereis, Baumringen und Tropfsteinen aus Höhlen können im Gebiet Zentralasiens insbesondere Sedimentablagerungen aus Seen als natürliche Archive herangezogen werden. Hiermit werden Informationen zu Umwelt- und Klimaveränderungen in der Vergangenheit, weit über den zeitlichen Rahmen instrumenteller oder historischer Daten hinaus, gewonnen und die natürliche Klimavariabilität und ihre Ursachen besser verstanden.
Die in Seen abgelagerten Sedimente bestehen aus abgetragenem Gesteinsmaterial aus dem Einzugsgebiet, das durch Wind, Wasser oder Eis in den See transportiert und dort abgelagert wird, sowie aus direkt im See gebildetem Material wie z.B. gefälltem Karbonat, Pflanzenresten und Mikroorganismen. Über die Zeit konservieren die Sedimente so Informationen zu den zum Zeitpunkt der Ablagerung des Materials vorherrschenden Klima- und Umweltbedingungen. So hinterlassen Temperatur- und Niederschlagsänderungen, Hochwasserereignisse, Trockenperioden und Vulkanausbrüche ebenso ihre charakteristische Signatur in den Sedimenten wie Änderungen im Nährstoffangebot oder der Eintrag von Schadstoffen durch den Menschen. Die zeitliche Auflösung reicht dabei von nur Stunden oder Tagen dauernden Ereignissen (z.B. Hochwasser und Vulkanausbrüche) über Jahreszeiten bis hin zu langfristigen Klimaänderungen mit einer Dauer von hunderten oder tausenden von Jahren. Ein entscheidender Vorteil von Seesedimenten ist dabei, dass sie Klima- und Umweltveränderungen kontinuierlich über Zeiträume von hunderten, tausenden, zehntausenden oder mehr Jahren aufzeichnen. Sie erlauben damit die Analyse der regionalen Klimavariabilität auf unterschiedlichen Zeitskalen.
Mit speziellen Bohrgeräten lassen sich die Sedimente vom Grund eines Gewässers gewinnen. Die so gewonnenen Sedimentkerne können anschließend hinsichtlich ihrer mineralogischen, chemischen und isotopengeochemischen Zusammensetzung, des Gehalts an organischen Substanzen (Pflanzenreste, Muschelschalen, Diatomeen, Pollen) oder der Korngröße des Sediments untersucht werden. Eine präzise Alterseinstufung der Sedimente ist entweder über Radiokarbondatierungen an organischem Material oder die Auszählung von Jahreslagen (Abb. 1), die sich im Sediment ähnlich wie Baumringe durch die jahreszeitlich variable Ablagerung unterschiedlichen Materials bilden können, möglich.
Die bei der Analyse von Seesedimenten mit verschiedensten sedimentologischen, biologischen, geochemischen und physikalischen Methoden gewonnenen Daten sind jedoch keine realen Klimadaten, sondern sogenannte Proxydaten, die reale Klimaparameter wie z. B. Temperatur oder Niederschlagsmenge nur indirekt abbilden. Zum Verständnis der in einem See ablaufenden komplexen Transport- und Sedimentbildungsprozesse – und letztendlich zur Rekonstruktion realer Klimadaten – müssen die aus den Sedimenten gewonnenen Proxydaten mit realen Messdaten aus einem Umwelt- und Klimamonitoring abgeglichen werden. Über den Vergleich der Zusammensetzung der unter bestimmten Klimabedingungen gebildeten Sedimente mit realen Messwerten (z.B. Niederschlag, Temperatur) können dann Transferfunktionen entwickelt werden. Anhand derer können für Zeitabschnitte, für die keine instrumentellen Daten verfügbar sind, proxybasierte Klimarekonstruktionen durchgeführt werden.
Die Länder Zentralasiens sind relativ dünn besiedelt und zudem durch eine komplexe Topographie und eine entsprechend hohe räumliche Variabilität der klimatischen Bedingungen geprägt. Da meteorologische Daten von Wetterstationen in direkter Nähe zu den untersuchten Seen nur begrenzt verfügbar sind, ist der Aufbau eines eigenen Messnetzes zur Erfassung der klimatischen Bedingungen unabdingbar. Seit dem Sommer 2011 führt das Deutsche GeoForschungsZentrum (GFZ) im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten Projekts CADY (Central Asian Climate Dynamics) umfangreiche Studien zur Paläoklimaentwicklung im zentralasiatischen Kirgistan durch (s. Karte). Neben Baumringen und Tropfsteinen werden dabei vor allem Seesedimente als Klimaarchive genutzt. Die Arbeiten sind in die Forschungsplattform Global Change Observatory Central Asia (GCO-CA) des GFZ integriert und werden durch das Zentralasiatische Institut für Angewandte Geowissenschaften (ZAIAG) in der kirgisischen Hauptstadt Bishkek unterstützt.
Seesedimente aus dem Son Kul: Verstärkte Winterniederschläge durch Westwinde gesteuert
Das Hauptaugenmerk der bisherigen Arbeiten lag dabei auf der Untersuchung der Sedimente des Sees Son Kul, welcher in über 3000 m Höhe im zentralkirgisischen Tian Shan liegt (Abb. 2, 3). So zeigen die Ergebnisse umfassender sedimentologisch-geochemischer Analysen an einem Sedimentbohrkern aus dem Son Kul deutliche, teils zyklische Veränderungen verschiedener Proxyparameter, die wahrscheinlich in direktem Zusammenhang mit Klimaveränderungen stehen. Anhand biogeochemischer Analysen konnte ein relativ moderater Rückgang der Sommerniederschläge in der Region während der letzten etwa 6.000 Jahre mit kurzen zwischenzeitlichen Trockenphasen vor ca. 5.000 bis 4.000 Jahren und etwa 1.500 Jahren nachgewiesen werden (Lauterbach et al., 2014). Dies steht im Gegensatz zum eher deutlichen Aridisierungstrend in der asiatischen Monsunregion (z.B. in Tibet) und lässt sich auf den signifikanten Einfluss der Westwindzirkulation auf das Klima im ariden Teil Zentralasiens zurückführen.
Darüber hinaus finden sich in den Sedimenten des Son Kul mehrere periodisch wiederkehrende Phasen erhöhten Eintrags von Bodenmaterial aus dem Einzugsgebiet in den See. Diese treten sowohl während feuchter als auch trockener Episoden auf und sind somit nicht an die Intensität der mittels der biogeochemischen Daten rekonstruierten Sommerniederschläge gekoppelt sondern auf eine verstärkte Schneeschmelze zurückzuführen und spiegeln somit Phasen erhöhter Winterniederschlagsintensität wider. Interessanterweise zeigen die Phasen erhöhter Winterniederschlagsintensität in Kirgistan eine gute zeitliche Übereinstimmung mit dem Auftreten feuchterer und stürmischerer Winter im Nordatlantikraum und trockenerer Winter im Bereich des westlichen Mittelmeers (Abb. 4). Dieses klimatische Muster ist charakteristisch für den positiven Modus der Nordatlantischen Oszillation (NAO). Die gute zeitliche Übereinstimmung der Daten aus Zentralasien und dem Nordatlantikraum deutet demzufolge auf eine großräumige klimatische Verbindung zwischen beiden Regionen mit einem auch während der Wintermonate signifikanten Einfluss der Westwindzirkulation auf das Klimageschehen in Zentralasien hin. Verstärkte Winterniederschläge in Zentralasien scheinen entsprechend vorrangig während positiver NAO-Phasen aufzutreten (Lauterbach et al., 2014). Trotz dieser Erkenntnisse sind die genauen Mechanismen hinter der großräumigen klimatischen Verbindung zwischen den beiden Regionen über die atmosphärische Zirkulation und insbesondere auch hinter der beobachteten Periodizität der Phasen erhöhter Winterniederschlagsintensität noch unklar sind und bedürfen weiterer Untersuchungen.
See- und Klimamonitoring in Kirgistan
Um aber z. B. die qualitativen biogeochemischen Daten zur Sommerniederschlagsmenge aus den Sedimenten des Son Kul letztendlich quantitativ interpretieren zu können, ist der Abgleich der rezenten Sedimentzusammensetzung mit den Ergebnissen eines Umwelt- und Klimamonitorings unerlässlich. Zu diesem Zweck wurde im Sommer 2011 mit der Installation eines Monitoringnetzwerks am Son Kul, bestehend aus Sedimentfallen, Luft- und Wassertemperaturloggern sowie Staubsammlern begonnen, das in den Folgejahren ausgebaut werden sollte. Allerdings wurde das aufgebaute Netzwerk durch widrige Witterungsbedingungen (Strömungen und Eisgang verschleppten und zerstörten die im See installierten Monitoringsysteme) und Vandalismus behindert und musste 2012 aufgegeben werden. Auch aus diesem Grund wurde die Suche nach weiteren Seen, die als Klimaarchive geeignet sind, fortgesetzt. Im Laufe dieser Bemühungen konnten im Herbst 2013 mehrere Sedimentkerne aus dem mehr als 220 m tiefen Bergsee Sary Chelek im Westen Kirgistans (Abb. 1, 5) gewonnen werden.
Da die Seesedimente in den obersten Abschnitten wahrscheinlich jahreszeitlich laminiert sind, eröffnet die detaillierte (saisonale) Erfassung der Sedimentationsbedingungen im See bei gleichzeitiger Aufzeichnung der vorherrschenden Klimabedingungen und limnologischen Veränderungen die Möglichkeit, aus den Sedimenten gewonnene Proxydaten gegen reale Klimadaten zu kalibrieren. Aus diesem Grund wurden im Sary Chelek zwei Moorings (am Seeboden verankerte und mittels Auftriebskörpern senkrecht im Wasser gehaltene Seile mit daran befestigten Sensoren bzw. Sedimentfallen) mit Temperaturloggern, ein Mooring mit Leitfähigkeits- und Sauerstoffloggern sowie eine automatische Sedimentfalle (Abb. 6) installiert, um saisonale Veränderungen der Sedimentation und grundlegender limnologischen Paramater aufzuzeichnen. Ein Monitoring mit ähnlicher Konfiguration (eine Sedimentfalle, Moorings mit Temperatur-, Leitfähigkeits- und Sauerstoffloggern, ein Drucksensor für die Erfassung von Seespiegeländerungen) wurde auch im benachbarten See Aram Köl installiert. Zur Aufzeichnung von Wetterdaten wurde am Ufer des Sary Chelek eine Wetterstation aufgebaut, die neben Luftdruck, Lufttemperatur, Niederschlag, relativer Luftfeuchtigkeit, Windrichtung und Windgeschwindigkeit auch die Globalstrahlung und die sogenannte photosynthetisch aktive Strahlung misst. Darüber hinaus wurden auf dem Gelände der Wetterstation noch zwei Staubsammler aufgestellt, deren Proben monatlich gewonnen werden. Neben den automatisch laufenden Langzeitmessungen, für die einmal jährlich zum Auslesen der Daten sowie zum Wechsel der Probenbehälter und Batterien alle Moorings gehoben werden müssen, werden während jeder Feldsaison mit Sonden Profile diverser chemischer und physikalischer Parameter an verschiedenen Stellen des Sees über die gesamte Wassersäule gemessen. Mittels einer Driftboje können außerdem die Oberflächenströmungen des Sees untersucht werden. Basierend auf diesen Daten sollen die in den Sedimenten indirekt als Proxydaten überlieferten Klimaänderungen dann letztendlich in reale Klimadaten transferiert werden, um die regionale Klimaentwicklung in der Vergangenheit besser zu verstehen und Zukunftsprognosen zu verbessern.
Literatur:
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