Mit Hilfe eines selbstentwickelten Infrarot-Spektrometers ist es Forschern des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) erstmals gelungen, die Verteilung und Entwicklung von Schwefeldioxid in der oberen Atmosphäre (Stratosphäre) über 10 Jahre hinweg zu erfassen und abzubilden.
In einer Höhe von 20-30 km wird die Erde von einer Schicht aus Schwefelsäure-Tröpfchen (H2SO4) umgeben. Diese nach ihrem Entdecker benannte Junge-Schicht wirkt sich kühlend auf das Klima der Erde aus, da die Tröpfchen (Aerosole) einen Teil der eingehenden Sonnenstrahlung direkt zurück ins Weltall streuen. Darüber hinaus wird von der Erde emittierte Wärmestrahlung in der Junge-Schicht absorbiert, was zu einer Erwärmung der oberen Atmosphäre führt. Die Menge und Beschaffenheit der Aerosole bestimmen den Grad der Abkühlung bzw. Erwärmung und beeinflussen den Ablauf wichtiger chemischer Prozesse in der Junge-Schicht.
Die Aerosole der Junge-Schicht gelangen im Wesentlichen nicht auf direktem Weg aus der Troposphäre, der untersten Schicht der Atmosphäre, in die Stratosphäre, sondern bilden sich erst dort aus schwefelhaltigen Gasen. Dabei spielt Schwefeldioxid (SO2) neben Carbonylsulfid (COS) die wichtigste Rolle. Es entsteht in der Stratosphäre als Zwischenprodukt beim Abbau von COS hin zu Schwefelsäure oder gelangt in den niedrigen Breiten (Tropen) durch die Tropopause in die Stratosphäre.
Vulkanausbrüche als Schwefeldioxid-Quelle
Eine weitere sehr wichtige SO2-Quelle sind hochreichende Vulkanausbrüche, deren schwefelhaltige Gaswolken bis in die untere Stratosphäre reichen. Dort wird das in der Gaswolke enthaltene Schwefeldioxid-Gas zu Schwefelsäuretröpfchen umgewandelt. Diese in die Stratosphäre eingebrachten Partikelwolken haben relativ lange (>1 Jahr) Verweilzeiten und somit einen direkten langanhaltenden Einfluss auf den Strahlungshaushalt der Erde. Eine Auswirkung auf das Klima konnte beispielsweise für zwei der bedeutendsten Vulkaneruptionen nachgewiesen werden: Die verheerenden Auswirkungen des Tambora 1815 wurden gefolgt vom so genannten ‚Jahr ohne Sommer‘ mit Ernteausfällen und Hungersnöten in Europa.1 Infolge des Pinatubo-Ausbruchs 1991 wurde eine globale Abkühlung der unteren Troposphäre um ca. 0,5 °C bestimmt2.
Modelle belegen, dass die klimatischen Auswirkungen in den Sommermonaten (nördliche Hemisphere) eine direkte Folge der veränderten Strahlungsbilanz sind. Für die Wintermonate jedoch ergibt sich ein komplexes Bild, indem stratosphärische Prozesse eine Rolle spielen. Detaillierte Messungen und die Quantifizierung von Schwefeldioxid in der Stratosphäre sind daher für die Modellbewertung und zum Prozessverständnis unerlässlich und besonders wichtig im Hinblick auf die Diskussion um ein mögliches Eingreifen des Menschen in das Klimasystem, sogenannte Climate Engineering Massnahmen.
Bisher gab es nur vereinzelte Messungen von SO2 im Höhenbereich von 30 bis 50 km und keinerlei Beobachtungen in Höhen von 20-30 km – ein wesentliches Defizit im Verständnis des stratosphärischen Schwefelbudgets. Am KIT ist es nun erstmals gelungen, eine 10-jährige global aufgelöste Messreihe der atmosphärischen SO2 Konzentration im Höhenbereich von 15-45 km aus Daten des satellitengetragenen MIPAS Infrarot-Spektrometers abzuleiten. MIPAS wurde am Institut für Meteorologie und Klimaforschung des KIT entwickelt und war eines der Hauptinstrumente an Bord des europäischen Umweltsatelliten Envisat, der von 2002-2012 Daten lieferte. Das Gerät misst gleichzeitig Vertikalprofile der Temperatur und von mehr als 30 atmosphärischen Spurengasen. Da MIPAS die von den Molekülen emittierte Infrarotstrahlung (Wärmestrahlung) analysiert, kann es sowohl bei Tag als auch bei Nacht Spektren aufnehmen.
Anhand dieses Datensatzes können nun wesentliche Stufen der Entwicklung des Schwefelbudgets in der Stratosphäre direkt analysiert und quantifiziert werden4: der Eintrag durch Vulkane (Abbildung), die Produktion aus COS in 25-30 km Höhe sowie die Bildung von SO2 oberhalb 30 km. Da MIPAS auch in der Polarnacht Messungen ermöglichte, konnte erstmals das Absinken der Luftmassen in hohen Breiten beobachtet und als eine Senke von SO2 bestätigt werden. Auch konnte beobachtet werden, wie im Frühjahr bei Sonnenaufgang über den Polargebieten SO2 in Schwefelsäure-Tröpfchen umgewandelt wird, einen Prozess den man als Erklärung für die sogenannte ‚Aerosolexplosion‘ in Höhen von 25-30 km im Frühjahr genannt hatte und jetzt zum ersten Mal beobachten und bestätigen konnte.
Diese neuen und einzigartigen Messdaten werden es erlauben, den stratosphärischen Schwefelhaushalt und die damit verbundenen Prozesse besser zu quantifizieren. Zudem können die Quellen und Senken der einzelnen Komponenten bestimmt und somit eine verbesserte Behandlung der schwefelhaltigen Substanzen in Atmosphärenmodellen erreicht werden. Dies ist besonders wichtig, da solche Modelle unter anderem dazu benutzt werden, die möglichen Auswirkungen von 'Climate Engineering Maßnahmen', z.B. durch das gezielte Einbringen von Schwefel in die Stratosphäre abzuschätzen. Die MIPAS-Daten gehen in die Arbeitsgruppe SSiRC (Stratospheric Sulfur and it’s Role in Climate) ein. Diese hat zum Ziel, SO2-Mengen in der Stratosphäre zu quantifizieren, SO2-Emissionen in Abhängigkeit der Dauer und Höhe von Vulkaneruptionen und die damit verbundenen klimatischen Auswirkunken zu untersuchen. Zudem werden anthropogene Eintragsquellen verifiziert und für die Modellierung von Klima und Luftqualität bereitgestellt. SSiRC ist Teil der Forschungsinitiative Sparc (Stratosphere-troposphere Processes And their Role in Climate) des Weltklima-Forschungsprogramms WCRP (World Climate Research Programme).
Fachliteratur
1)Stommel H, Stommel E. 1983: Volcano Weather: The Story of 1816, The Year without a Summer. Seven Seas Press: Newport, RI.
2)McCormick et al., 1995: Atmosperic effects of the Mt Pinatubo eruption. Nature 373, 399-404
3)Shindell, et al., 2004: Dynamic winter climate response to large tropical volcanic eruptions since 1600. J. Geophys. Res., 109, D05104. doi:10.1029/2003JD004151
4)Höpfner et al., 2013: Sulfur dioxide (SO2) as observed by MIPAS/Envisat: temporal development and spatial distribution at 15–45 km altitude. Atmos. Chem. Phys., 13, 10405-10423, 2013. doi:10.5194/acpd-13-12389-2013 (http://www.atmos-chem-phys.net/13/10405/2013/acp-13-10405-2013.html)