Seit dem frühen 19. Jahrhundert haben peruanische Fischer immer wieder von einem dramatischen Einbruch ihrer Fangzahlen und Hungernöten berichtet. Dies ging einher mit ungewöhnlich warmen Wassertemperaturen. Dem häufigen Auftreten im Dezember hat dieses Phänomen den Namen „El Niño“, spanisch für „der Junge“ oder „das Christkind“, zu verdanken.
In Indien blieb im Jahr 1899 der Monsun vollständig aus, was Sir Gilbert Walker, den damaligen Chef des indischen Meteorologischen Dienstes veranlasste, nach einer Methode zur Monsunvorhersage zu suchen. Dies führte einige Jahre später zu der Entdeckung einer „Luftdruck-Wippe“ zwischen dem „maritimen Kontinent“, dem westlichen Pazifik rund um Indonesien, und dem östlichen Pazifik. Wenn der Druck auf der westlichen Seite des Pazifiks hoch ist, ist er über dem Ostpazifik niedrig und umgekehrt. Walker taufte diese Beziehung die „Südliche Oszillation“. Die Luftströmung, die diese beiden Regionen verbinden, wird heute Walker-Zirkulation genannt.
Es sollte noch einmal fast siebzig Jahre dauern bis Wissenschaftler entdeckten, dass diese beiden Erscheinungen Teil ein und desselben Phänomens sind: einer instabilen Wechselwirkung von Atmosphäre und Ozean, die jetzt als ENSO (El Niño – Southern Oscillation) bezeichnet wird.
Ein El Niño gab es auch im Winter 2015/16. Erste Anzeichen dafür waren die Erwärmung von Teilen des tropischen Pazifiks um zwei Grad Celsius über dem Durchschnitt und die Verschiebung von Niederschlagsgebieten in ebendiesem bereits im September 2015. Die Auswirkungen könnten ähnlich wie beim letzten starken El Niño 1997/98 weite Teile der Erde klimatisch beeinflussen.
In „normalen“ Jahren in denen im äquatorialen Pazifik weder El Niño- noch La Niña-Bedingungen herrschen, wehen die Passatwinde nördlich des Äquators aus Nordosten, südlich davon aus Südosten, also etwa von Amerika in Richtung Asien. Diese Winde sorgen unter anderem dafür, dass vor den amerikanischen Küsten von Kalifornien bis Peru kaltes, nährstoffreiches Wasser von der Tiefe an die Oberfläche transportiert wird und dort für gute Bedingungen für Fischwachstum sorgt. Am Westende des Pazifiks sammelt sich dagegen warmes Wasser an; der tropische Westpazifik ist um einige Grad wärmer als der Ostpazifik. Über dem warmen Wasser im maritimen Kontinent kommt es zu aufsteigenden Luftbewegungen, Wolkenbildung und kräftigen Niederschlägen. Der zentrale und östliche tropische Pazifik ist dagegen eher niederschlagsarm.
In unregelmäßigen Abständen (im Schnitt alle vier Jahre) verändert sich dieses System dramatisch: die Passatwinde lassen nach oder hören vollständig auf zu wehen. Dadurch werden keine kalten Tiefenwasser mehr an die Oberfläche vor der amerikanischen Küste gebracht – das Phänomen, welches die peruanischen Fischer beobachteten. Gleichzeitig beginnt das im Westen angestaute Wasser ostwärts zu fließen. Im zentralen und östlichen Pazifik wird die Meeresoberfläche ungewöhnlich warm und es kommt zu Niederschlägen, während diese im Westen ausbleiben. Bei La Niña-Ereignissen passiert das Umgekehrte: La Niñas sind letztendlich verstärkte Normalbedingungen.
Was ENSO für Wissenschaftler, wie auch für Menschen weltweit interessant macht, sind die spürbaren Auswirkungen fast überall auf der Erde. Je näher Menschen am äquatorialen Pazifik wohnen, desto stärker sind sie betroffen. So zeichnen sich El Niño Jahre oft durch extreme Trockenheit und Dürre in Australien aus. Hingegen könnte der 2015 im Entstehen befindliche El Niño Kalifornien helfen, indem er den Jetstream (ein sich windendes Band an dem die Hoch- und Tiefdrucksysteme mittlerer Breiten entlang wandern) so verschiebt, dass der Dürre-geplagte Staat kräftige Regenfälle bekommt. Während des starken El Niños der Jahre 1982/83 kam es dort allerdings zu heftigen Überschwemmungen. Auch in vielen anderen Weltregionen (siehe Karte) kann das Wetter während El Niños und La Niñas verrücktspielen, von Dürren zu Überflutungen, von Hitzewellen zu Kälteperioden.
Für Wissenschaftler gibt es immer noch viele ungeklärte Fragen im Zusammenhang mit ENSO, seiner verschiedenen Spielarten und seiner Unregelmäßigkeit. Zumindest können heute El Niños ein paar Monate im Voraus vorhergesagt und damit den betroffenen Menschen und ihren Regierungen Zeit zum Reagieren gegeben werden. Damit peruanische Fischer nicht mehr hungern müssen, wenn das „Christkind“ mal wieder eine böse Überraschung bringt.