Mit detaillierten Informationen zur Landbedeckung lässt sich das Verständnis unserer Umwelt verbessern – etwa wenn es um wichtige Ökosystemleistungen geht wie die Bestäubung von Pflanzen oder auch Nitrat- und Nährstoffeinträge in Gewässer. Diese Informationen werden zunehmend aus hochaufgelösten Satellitenbildern gewonnen. Allerdings wird der Blick aus dem Orbit auf die Erdoberfläche häufig durch Wolken behindert. Mit Hilfe von Methoden des dynamischen maschinellen Lernens können diese Lücken, die in der Satelliten-Beobachtung zwangsläufig auftreten, geschlossen werden. Wir sprechen dazu mit Sebastian Preidl vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig (UFZ).

Herr Preidl, welchen Nutzen bringt die Satellitenbeobachtung von landwirtschaftlichen Flächen für die Gesellschaft? Was lässt sich damit beobachten?

Sebastian Preidl: Satellitenbeobachtungen wurden schon in der Vergangenheit häufig dazu genutzt, die Landbedeckung zu erfassen und in Klassen wie landwirtschaftliche Flächen, Waldgebiete, urbane Räume, Wasserflächen etc. einzuteilen. Mit neueren Satelliten ist es nun möglich, einzelne Klassen thematisch weiter auszudifferenzieren. In unserer Studie haben wir 19 landwirtschaftliche Kulturen innerhalb Deutschlands unterschieden. Damit konnte eine Karte erzeugt werden, die unterschiedliche Getreidesorten, aber z.B. auch Gebiete des Weinanbaus, Obstplantagen, Raps und Grünland ausweist.

Mit solch einer Karte ist es möglich, ein detaillierteres Gesamtbild der Landschaft zu erzeugen. Wenn wir hiermit die Lebensräume für Flora und Fauna besser bestimmen können, lassen sich auch ökologische Fragestellungen zur Biodiversität oder zu der Bestäubungsleistung von Wildbienen genauer beantworten. Nimmt man die räumliche Verteilung landwirtschaftlicher Kulturen in wissenschaftliche Modelle mit auf, kann der Nährstoffeintrag – zum Beispiel von Stickstoff – in Boden und Gewässer besser abgeschätzt werden. Zudem stößt – unter anderem im Zusammenhang mit EU-Agrarsubventionen – ein flächendeckendes Monitoring der Agrarlandschaft auch auf politischer Ebene auf großes Interesse.

Zunächst haben wir die Klassifikation für das Jahr 2016 durchgeführt. Zukünftig wollen wir aber auch daran arbeiten, kurz- und langfristige Veränderungen in der Landbedeckung zu dokumentieren. Im Zuge des Klimawandels werden sich Jahre großer Trockenheit, wie wir sie in den letzten zwei Jahren erlebt haben, häufen. Um konkrete Maßnahmen ergreifen zu können, brauchen wir Informationen darüber, in welchen Regionen welche Feldfrüchte oder Baumarten am stärksten von Dürreschäden betroffen sind. Hierbei spielt also auch die Bestimmung der Vitalität von Pflanzen mit Hilfe von Satellitenbeobachtungen eine Rolle.

Welche Satelliten nutzen Sie für Ihre Forschung? Warum gerade diese? In welchem Orbit befinden sich diese Satelliten?

Sebastian Preidl: Für unsere Studie haben wir Daten des Sentinel-2 Satelliten des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus genutzt. Diese umkreisen die Erde polumlaufend in knapp 790 Kilometer Höhe. Diese Satelliten erzeugen hochaufgelöste Bilder, bei denen die Kantenlänge eines Pixels 10 bzw. 20 Meter beträgt. Neben der räumlichen spricht auch die zeitliche Auflösung für die Verwendung des Sentinel-2. Über Deutschland wird derselbe Bildausschnitt in unterschiedlichen Spektralbereichen alle zwei bis drei Tage aufgenommen. Für unsere Studie haben wir uns für die 20 Meter räumliche Auflösung entschieden, um bei der Bildanalyse auf 9 Spektralbänder zurückgreifen zu können. Es ist demnach die Kombination von hoher räumlicher, zeitlicher und spektraler Auflösung, die den Sentinel-2 Satelliten für die Beobachtung dynamischer Prozesse der Landoberfläche attraktiv macht.

Mit welchen Problemen haben Sie bei der Fernbeobachtung aus dem Orbit zu kämpfen?

Sebastian Preidl: Bei optischen Satelliten haben wir das Problem, dass diese nicht durch Wolken hindurchschauen können. Die bereits angesprochene hohe zeitliche Auflösung des Sentinel-2 ist hier von entscheidendem Vorteil, weil so die Wahrscheinlichkeit erhöht wird, eine wolkenfreie Sicht auf die Erdoberfläche zu erhalten. Allerdings werden durch die vielen Aufnahmen enorme Datenmengen erzeugt. Damit galt es einen Klassifikationsalgorithmus zu entwickeln, der die unterschiedliche Wolkenbedeckung in zahlreichen Satellitenbildern unter Berücksichtigung verfügbarer Trainingsdaten einbezieht.

Sie verknüpfen nun Satellitenaufnahmen mit Methoden des dynamischen maschinellen Lernens? Wie kann man sich das genau vorstellen? Was ist das Neue daran?

Sebastian Preidl: Als Klassifikator haben wir eine klassische Methode des maschinellen Lernens verwendet. Das Neue liegt in der dynamischen Anwendung einer Vielzahl an Vorhersagemodellen. Zunächst muss der Klassifikator lernen, welche spektralen Eigenschaften für eine Feldfrucht charakteristisch sind. Es bedarf also Trainingsdaten, mit denen für einige Bildpixel eine landwirtschaftliche Kultur eindeutig zugewiesen werden kann. In einem ersten Schritt definiert unser Algorithmus nun Zeiträume, für die ausreichend wolkenfreie Trainingspixel zur Verfügung stehen. Dieser Prozess ist dynamisch gestaltet und kann sich aufgrund unterschiedlicher Witterungsbedingungen von Region zu Region unterscheiden.

In einem zweiten Schritt schaut sich der Algorithmus an, zu welchen Zeiträumen die zu klassifizierenden Pixel wolkenfrei vorliegen. Da wir Millionen von Pixel klassifizieren, ergeben sich hierbei viele Kombinationsmöglichkeiten. Um die Generierung künstlicher Daten durch Interpolation zu umgehen, wird für jede Kombination ein neues Vorhersagemodell berechnet. Neu ist demnach, dass wir einen regionalisierten Ansatz gewählt haben, bei dem ausschließlich auf vorhandene Satellitendaten innerhalb dynamisch generierter Zeiträume zurückgegriffen wird. Schließlich werden individuelle Vorhersagemodelle verwendet, um jedem Pixel eine Feldfrucht zuzuweisen.

Wie genau ist diese neue Methode?

Sebastian Preidl: Wir haben in unserer Studie eine Gesamtgenauigkeit von ca. 88 Prozent erreicht. Ein gutes Ergebnis vor allem, weil wir für die verbreitetsten Feldfrüchte in Deutschland, wie z.B. Weizen, Raps, Zuckerrübe und Mais, oftmals eine noch höhere Genauigkeit erzielt haben. Andere Feldfrüchte, für die weniger Trainingsdaten zur Verfügung standen oder deren spektrale Signatur sich nicht eindeutig von denen anderer Kulturen unterscheidet, wurden hingegen mit geringerer Genauigkeit klassifiziert. Es ist zu untersuchen, inwiefern sich die Klassifikationsgenauigkeit insbesondere für Dinkel und einigen Arten des Sommergetreides weiter steigern lässt.

Welche Vorteile hat diese Methode, etwa wenn es um Wildbienenbestände geht oder den Eintrag von Nitrat in Gewässer?

Sebastian Preidl: Mit der vorgestellten Methode klassifizieren wir zunächst die Landbedeckung. Unsere Studie hat gezeigt, welcher thematischer Detailgrad mit den neuen Satellitendaten erreicht werden kann. Das eröffnet neue Möglichkeiten in der räumlichen Analyse und der wissenschaftlichen Modellierung. Wenn wir Kenntnis darüber haben, wo düngeintensive Pflanzen angebaut werden, lassen sich Auswirkungen von Landbewirtschaftungspraktiken und damit die Nitratbelastung im Boden und anliegenden Gewässer besser quantifizieren. Die Ausweisung von Grünlandflächen oder landwirtschaftlicher Kulturen, die für Wildbienenbestände als Nektarquelle dienen können, ist nicht minder wichtig. Erst über die Bestimmung der Größe, räumliche Verteilung und Anordnung solcher Flächen kann untersucht werden, ob das Nahrungsangebot für die Bienen ausreicht und die Flugdistanzen nicht zu groß sind. Die erstellte Landbedeckungskarte kann als Grundlage für die Beantwortung solch drängender ökologischer Fragen dienen

Sie haben jetzt eine Deutschlandkarte der landwirtschaftlich genutzten Flächen erstellt. Wie kann man diese Landkarte nutzen?

Sebastian Preidl: Die Karte, die zunächst für das Jahr 2016 erstellt wurde, kann unter www.ufz.de/land-cover-classification in einem WebGIS betrachtet werden. Es besteht auch die Möglichkeit die Karte von der Datenplatform PANGAEA herunterzuladen und unter der angegebenen Lizenz für eigene Auswertungen zu nutzen. 

Gibt es für die neue Beobachtungs- und Auswertungsmethode noch weitere Einsatzmöglichkeiten, etwa in der Waldwirtschaft oder im Wein- und Hopfenanbau?

Sebastian Preidl: Ja, die entwickelte Methode kam am UFZ auch schon anderweitig zum Einsatz. Das Bundesamt für Naturschutz war daran interessiert, Wälder maßgeblich auf Basis von Fernerkundungsdaten naturschutzfachlich zu bewerten. Somit habe ich die Methode zur Klassifikation der Hauptbaumarten in Deutschland angewendet. Grundsätzlich lässt sich der Ansatz auf jede Art der Landbedeckung anwenden. Entscheidend dabei ist, dass ein möglichst umfangreicher Trainingsdatensatz vorliegt. Manchmal ist es dennoch so, dass Pflanzenarten aufgrund ihrer ähnlichen Physiologie und Struktur spektral kaum zu unterscheiden sind.

Wir steuern dieses Jahr möglicherweise auf eine Multi-Hazard-Situation zu. Covid-19-Krise und ein weiterer Dürresommer können sich überschneiden. Einerseits hätten wir dann unterbrochene überregionale Lieferketten, andererseits Probleme bei der Nahrungsmittelproduktion im Inland. Sehen Sie Einsatzmöglichkeiten Ihrer Methode, um rechtzeitig belastbare Prognosen zur Versorgungslage zu erstellen?

Sebastian Preidl: Für die Klassifikation wurden die gesamten Sentinel-2 Aufnahmen eines Jahres verwandt. Somit konnten entsprechend des individuellen Wachstumsverhalten artspezifische Reflektanzprofile erstellt werden. Bei Verwendung kürzerer Zeitreihen, was für die angesprochene Situation Voraussetzung wäre, erwarte ich höhere Ungenauigkeiten bei der Unterscheidung von einzelnen Feldfrüchten. Für eine Prognose der Versorgungslage wären wohl auch Ertragsabschätzungen nötig, die wir in unserer Studie aber nicht vorgenommen haben.

Jedoch kann der Klimawandel die Versorgungslage einzelner Nahrungsmittel langfristig beeinträchtigen. So sollte nun frühzeitig untersucht werden, wie stark landwirtschaftliche Kulturen entsprechend ihres Anbaugebietes auf eine anhaltende Trockenheit reagieren. Hinzu kommt, dass unter der Trockenheit der letzten Jahre auch zunehmend der Wald leidet. Die geschwächten Bäume können im Folgejahr Pilzerkrankungen oder dem Borkenkäfer kaum standhalten. Forschung zu diesen Themen wollen wir am UFZ gerne weiterverfolgen. Ein eingereichtes Projekt hat zum Ziel, Veränderungen in der Landwirtschaft und im Wald zu dokumentieren. Für die Auswertung sollen auch andere Ansätze der künstlichen Intelligenz, nämlich Deep-Learning-Methoden, zum Einsatz kommen. Ein enger Austausch mit Umwelt- und Naturschutzbehörden, sowie land- und forstwirtschaftlicher Interessensgruppen wird hierbei angestrebt.

Herr Preidl, vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellten Oliver Jorzik und Dierk Spreen (Earth System Knowledge Platform | ESKP)

Referenzen

  Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ. (2020, 21. April). Flurschau aus dem Weltall. Methoden des maschinellen Lernens liefern detaillierte Informationen zur Landbedeckung [Pressemitteilung, www.ufz.de]. Aufgerufen am 21.04.2020.

  Lausch, A., Pause, M., Doktor, D., Preidl, S. & Schulz, K. (2013). Monitoring and assessing of landscape heterogeneity at different scales. Environmental Monitoring and Assessment, 185(11), 9419-9434. doi:10.1007/s10661-013-3262-8

  Preidl, S., Lange, M. & Doktor, D. (2020). Introducing APiC for regionalised land cover mapping on the national scale using Sentinel-2A imagery. Remote Sensing of Environment, 240:111673. doi:10.1016/j.rse.2020.111673

DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.021

Veröffentlicht: 29.04.2020, Jahrgang 7

Zitierhinweis: Preidl, S. (2020, 29. April). Aus dem All ein genaues Bild der Landschaft erzeugen (Interview). Earth System Knowledge Platform [www.eskp.de], 7. doi:10.2312/eskp.021

Text, Fotos und Grafiken soweit nicht andere Lizenzen betroffen: eskp.de | CC BY 4.0
eskp.de | Earth System Knowledge Platform – die Wissensplattform des Forschungsbereichs Erde und Umwelt der Helmholtz-Gemeinschaft