Fast jeder hat schon einmal von der berühmten logarithmischen Richterskala gehört, mit der heute die Energie, die von Erdbeben freigesetzt wird, angegeben wird. Die Magnituden-Skala geht zurück auf die Forschungsarbeit der amerikanischen Seismologen und Geologen Charles Francis Richter und Beno Gutenberg. Die beiden Wissenschaftler, die am California Institute of Technology arbeiteten, stellten in ihrer weiteren Forschung und durch lange Messreihen Mitte der 1940er Jahre in Kalifornien fest, dass die Anzahl kleiner Erdbeben nicht unabhängig von der Anzahl der großen Erdbeben ist. Da kleine Beben wesentlich häufiger als große auftreten, ist es zunächst einfacher umfangreiche Datensätze von kleineren Beben zusammenzustellen.
Mit Hilfe ihrer langen Messreihen konnten die Wissenschaftler damals einen statistischen Zusammenhang zwischen Erdbebenmagnitude und Häufigkeit des Auftretens von Erdbeben erkennen. Heute wird dieser Zusammenhang als 'Gutenberg-Richter-Gesetz' oder auch 'Gutenberg-Richter-Beziehung' bezeichnet. Das Gesetz gilt nicht nur für individuelle Regionen, einzelne Verwerfungszonen oder Verwerfungs-Segmente sondern dient auch zur Beschreibung von Magnituden-Häufigkeit-Beziehungen weltweit.
Ebenso lässt sich damit die Magnitudenverteilung von Nachbeben ermitteln. Selbst bei Beben auf dem Mond ließ sich das Gutenberg-Richter-Gesetz nachweisen. Eine mögliche Anwendung dieser Magnituden-Häufigkeit-Beziehung ist es, auf ein maximales zu erwartendes Erdbeben für eine Region über einen längeren Zeitraum zu schließen. Viele präzise Messungen sind dafür nötig. Es handelt sich demnach um ein empirisch zu ermittelndes Gesetz der Erdbebenstatistik.
Was besagt das Gutenberg-Richter-Gesetz?
Für eine bestimmte Region mit seismischer Aktivität lässt sich innerhalb eines festen, längeren Zeitintervalls feststellen, dass die Häufigkeit von Erdbeben der Beziehung log N(M)= a-b•M genügt. Dabei ist N(M) die Zahl der Beben mit einer empirisch untersuchten Magnitude. Die Magnitude ist das logarithmische Maß für die seismische Energie, die bei einem Erdbeben im Erdbebenherd freigesetzt wird.
Zur Bestimmung der Magnitude müssen möglichst viele Bodenbewegungen mit Seismometern erfasst werden. Es müssen also zahlreiche Messwerte bzw. ein umfangreicher Erdbebenkatalog vorliegen. Dabei werden verschiedene Magnitudenarten bestimmt, wobei heute vorrangig die Momentenmagnitude benutzt wird. Bei a und b in der Gleichung handelt es sich jeweils um Konstanten. Der a-Wert ist ein Maß für die Erdbebenaktivität und variiert deutlich zwischen Regionen. Die Konstante a gibt ungefähr die Stärke (Magnitude) des maximalen zu erwartenden Bebens innerhalb des gewählten Zeitintervalls (zumeist ein Jahr) an.
b-Wert
Die Schätzung des b-Werts ist für die Bewertung der Wahrscheinlichkeit eines Erdbebens von entscheidender Bedeutung. Der sogenannte b-Wert liegt für tektonische Verwerfungen in der Regel bei ungefähr eins. Liegt der b-Wert nahe eins so bedeutet dies beispielsweise, dass in dieser Region mit einer bestimmten Häufigkeit von Beben der Magnitude = 4,0, demnach zehnmal so viele Beben der Magnitude 3,0 und einhundertmal so viele Beben der Magnitude 2,0 auftreten können. Noch wichtiger ist in diesem Zusammenhang aber immer die Abschätzung seltener großer Beben mit Hilfe der häufigeren kleineren Beben.
Die Werte von a und b hängen von der Region ab, im Allgemeinen liegt b jedoch im Intervall zwischen 0,8 und 1,5. Schwankungen von bis zu 30 Prozent um diesen typischen b-Wert wurden in Abhängigkeit vom Erdbebenkatalog und der Schätzmethode beobachtet. Abweichungen von der Konstante b ≈ 1 werden insbesondere für Intraplatten-Beben und für nicht-tektonische Beben gefunden, wie z.B. für Schwarmbeben im Zusammenhang mit Vulkanismus oder für Mikrobeben und -risse im Bergbau, die durch äußere Belastungen hervorgerufen werden. Mithilfe der durchschnittlich gemessenen Magnitude lassen sich diese b-Werte errechnen (Maximum Likelihood Estimation, Aki 1965). Ein kleinerer b-Wert für Hauptbeben erhöht die Wahrscheinlichkeit für große Ereignisse, was wiederum wichtige Konsequenzen für die Bewertung des seismischen Risikos hat.
Weltweit ergibt sich momentan basierend auf dem Gutenberg-Richter-Gesetz circa ein Beben pro Jahr mit einer Momenten-Magnitude von mindestens 8 oder größer. Für das Jahr 2018 traf diese statistische Vorhersage zu: Ein einziges dieser starken Beben ereignete sich, allerdings in sehr großer Tiefe (600km) zwischen den Inseln Fidschi und Tonga. Des Weiteren ergeben sich mit Hilfe der Messungen mit dem seismischen Netzwerk des Deutschen GeoForschungsZentrums GEOFONstatistisch etwa zehn Beben mit einer Stärke (MW) von mindestens 7 aber bereits einhundert Erdbeben mit einer Momenten-Magnitude von mindestens 6.
Für welchen Magnitudenbereich ist das Gutenberg-Richter-Gesetz besonders verlässlich?
Weltweit gilt: Die Verlässlichkeit und Übereinstimmung mit der theoretischen Kurve ist für weltweit gemessene Erdbeben zwischen MW = 5,0 und 7,5 besonders gut (siehe Abbildung). Für kleinere Erdbeben sind die Kataloge häufig noch unvollständig, während Schwankungen und Abweichungen für die stärksten Beben schwierig zu interpretieren sind, da die Anzahl der Starkbeben sehr gering ist. Die genaue Magnitude der Erdbeben bleibt unvorhersehbar, da die Bruchausbreitung von Erdbeben entscheidend von kleineren Details der Erdkruste abhängt.
Ein Beispiel aus der Praxis: Ableitung des b-Wertes während der Beben 2009 bei L’Aquila (Italien)
Bei der verheerenden seismischen Abruzzen-Sequenz in Mittelitalien trat der Hauptschock am 6. April 2009 um 01:32 UTC auf und hatte eine Magnitude Mw 6,3. Das Hypozentrum lag in der Nähe von L'Aquila in nur 9,5 Kilometern Tiefe. Mehr 300 Menschen verloren damals ihr Leben. Die Sequenz begann bereits etwa fünf Monate vor dem Hauptschock mit etwa eintausend gemessenen kleineren Ereignissen und setzte sich mit mehr als zehntausend Nachbeben bis September 2010 fort.
Die nebenstehende Abbildung zeigt die zeitliche Entwicklung der Erdbebenmagnituden vom 1. September 2007 bis zum 18. Mai 2010 innerhalb eines Bereiches von 80 Kilometern um das Epizentrum des L’Aquila-Hauptschocks. Die vielen Messungen halfen bei der Bestimmung des wichtigen b-Wertes. Relative Änderungen der b-Werte in Raum und Zeit werden oft als eine Änderung der Spannungen innerhalb der seismisch aktiven Erdkruste interpretiert.
Text: ESKP (Jana Kandarr), Ergänzungen und fachliche Prüfung: Dr. Joachim Saul (GFZ) und Priv. Doz. Dr. Sebastian Hainzl (GFZ)
Quellen
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