Die dezentrale Energiewende ist Realität und geht in Deutschland flächendeckend voran. Wasserkraft, Wind, Sonne und Biomasse lieferten 2015 etwa 35 Prozent des Stroms. Doch regional klaffen große Unterschiede. Diese identifizierten Prof. Dr.-Ing. Daniela Thrän, die am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung das Referat Bioenergie leitet, und Sebastian Rauner, der Erstautor der Studie, mit der ersten Detailstudie zur räumlichen Struktur der deutschen Stromversorgung.
Mit allen bis Mitte 2015 verfügbaren Daten zur dezentralen Stromerzeugung und zum Stromverbrauch entstand die erste wirklich detaillierte Energiewende-Landkarte. Sie stellt Vorreiter und Nachzügler unter allen 12.066 deutschen Gemeinden klar heraus. Weit vorne rangieren Gemeinden an der Westküste Schleswig-Holsteins mit zahlreichen Windparks und Biogasanlagen. Stark bei der regenerativen Stromerzeugung aus Wind, Sonne und Biomasse sind auch weite Gebiete in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Nachholbedarf haben dagegen Großstädte wie Berlin oder industrielle Ballungszentren in Hessen und Baden-Württemberg. Hier sticht deutlich eine räumliche Dissonanz zwischen Verbrauch und Erzeugung heraus. Ländliche Regionen mit viel Platz für Wind- und Solarparks bei zugleich dünner Besiedelung erreichen so eine gute Position. Verdichtungsräume mit hohem Industrieanteil haben dagegen noch größere Aufgaben zu bewältigen. Mit der Landkarte der deutschen Energiewende wird es jedem möglich, den Fortschritt seiner Heimatgemeinde bei der CO2 neutralen bzw. CO2-freien Stromversorgung nachzuverfolgen.
Regenerative Stromerzeugung in Zahlen
In Deutschland steht die geballte Stromerzeugung der 770 konventionellen Kohle-, Gas- und Kernkraftwerke den jeweils geringeren Strommengen der mehr als 1,5 Millionen im ganzen Land verstreuten Solar-, Biogas- und Windanlagen gegenüber. Produziert wurden je nach Produktionscharakteristik 75 Terawattstunden (TWh) dargebotsabhängiger Strom (Wind, Photovoltaik), 6 TWh dargebotsunabhängiger (Geothermie, Laufwasser) und 40 TWh flexibler Strom (Bioenergie). Die Stromerzeugung setzten die Forscher in Bezug zum regionalen Stromverbrauch. Durchschnittlich betrug der regionale Stromverbrauch im Jahr 1,32 Kilowattstunden pro Quadratmeter.
Entwicklung eines Energiewende-Indikators
Für die Bewertung der einzelnen Gemeinden ist das Zusammenspiel der regenerativen Stromerzeuger besonders wichtig. Wind- und Solarparks mit einer wetterabhängig schwankenden Stromerzeugung sollten im Idealfall mit flexiblen Kraftwerken, die etwa Biomasse oder Wasserkraft nutzen, kombiniert werden. Denn erst im Verbund ergibt sich eine hohe Versorgungssicherheit rund um die Uhr und über das gesamte Jahr.
Auf der Grundlage dieser relevanten Aspekte entwickelten die Forscher einen Energiewende-Indikator (Smart Renewable Power Provision Indicator, SREPP), der nicht nur die schiere Strommenge, sondern auch die Flexibilität eines dezentralen Kraftwerkensembles berücksichtigt. Der SREPP verknüpft zwei Indikatoren und gibt Auskunft über den Grad des Fortschritts der Energiewende. Ein Indikator bildet das Verhältnis zwischen erneuerbarer und konventioneller Stromerzeugung ab (Carbon Emission Mitigation, CEM) und der Zweite gibt Auskunft über die Eignung der Erzeugungscharakteristik zur Integration in ein von erneuerbaren Energien dominiertes Stromsystem (System Integration Friendliness, SIF). Zum Beispiel besagt also ein SREPP Indikatorwert von 1, dass der jährliche Strombedarf potentiell bilanziell durch erneuerbare Energien gedeckt ist und dabei ein ausgewogenes Verhältnis von flexiblen zu dargebotsabhängigen Erzeugungstechnologien herrscht.
Stromnachfrage in Ballungszentren bedienen
Die Auswertung zeigt, dass die deutsche Energiewende auf einem guten Weg ist. Doch in der nun einsetzenden Phase müssten die räumlichen Unterschiede verringert werden. Eine Herausforderung dabei: erneuerbare Energien werden sehr dezentral bereitgestellt während die Nachfrage sich jedoch stark in Ballungszentren konzentriert. Die Anreizprämien für bisher wenig entwickelte Gebiete könnten ein wichtiger Aspekt im Hinblick auf kommende Reformen des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) sein. Mit einer stärkeren räumlichen Planung seien auch die ehrgeizigen Klimaziele Deutschlands, gekoppelt mit effektiver Absicherung gegen Blackouts und begrenztem Ausbau der Stromnetze, weiterhin erreichbar.
Nächste Energiewende-Landkarte in Planung
Für 2017 ist die nächste Energiewende-Landkarte am Helmholtz Zentrum für Umweltforschung geplant. Dann werden auch Daten zu Stromverbrauch und Stromerzeugung über das Jahr 2014 hinaus einfließen - wie etwa die Ausbeute der ersten Offshore-Windkraftwerke in Nord- und Ostsee. Auch die Akzeptanz der Bürger wollen die Wissenschaftler genauer ins Auge fassen, denn die ist für die Energiewende ein weiterer wichtiger, aber schwer zu messender Aspekt.
Literaturhinweise
Rauner et al. (2016):The spatial dimension of the power system: Investigating hot spots of Smart Renewable Power Provision. Appl Energy (2016). Die Publikation enthält zahlreiche, detaillierte Landkarten zur dezentralen Energiewende.Pressemitteilung des Helmholtz Zentrum für Umweltforschung UFZ.