Frau Dr. Regenspurg, Herr Dr. Blöcher, Herr Prof. Dr. Huenges, Herr Thielke, Sie nutzen alte Bohrungen, die im Grunewald angelegt worden sind, um zur Versorgung West-Berlins im Untergrund Erdgas zu speichern. Diese Speicher werden gegenwärtig stillgelegt. Warum sind diese Bohrungen für Sie interessant?

Dr. Guido Blöcher: Kurz gesagt, wir möchten prüfen, ob sich diese Tiefen-Infrastruktur für neue Nutzungen eignet. In den Fokus rücken dabei Wärmegewinnung und Wärmespeicherung, also geothermische Nutzungen. Bevor man eine geothermische Nutzung konkret ins Auge fassen kann, geht es aber darum, mehr Wissen über den in Frage kommenden Untergrund zu gewinnen. Zunächst einmal versuchen wir also, „Daten zu fördern“. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht schon für sich genommen sinnvoll, weil man mehr über den Untergrund Berlins und der Region lernt.

Was wissen Sie bereits heute über den Berliner Untergrund, was möchten Sie herausfinden?

Dr. Guido Blöcher: In den oberen Zehnermetern des Berliner Untergrundes befinden sich die Berliner Grundwasserleiter. Diese sind für eine geothermische Nutzung generell tabu. Die Grundwasserleiter werden von den tieferen salinaren – also salzhaltigen – Schichten durch eine mächtige Tonlage, den sogenannten Rupelton, hydraulisch getrennt. Diese Schicht ist ungefähr 80 Meter mächtig. Die darunter liegenden salinaren Schichten bieten ein hohes Potential für geothermische Nutzung. Sie können als Wärmequelle dienen und eignen sich dabei potentiell für eine hydrothermale Nutzung. In ihnen ließe sich auch saisonal Wärme speichern. Allerdings gibt es in Berlin nur wenige Bohrungen, die diese tieferen Schichten erschließen. Es geht also darum, Wissen zu schaffen, das wir heute noch nicht haben.

Wo setzen Sie konkret mit Ihrer Forschungsarbeit in Berlin an?

Dr. Guido Blöcher: Im Bereich des Berliner Stadtgebiets stehen bislang lediglich drei Tiefbohrungen zur Verfügung. Es handelt sich um Bohrungen in Spandau, am Reichstag und in Wartenberg. Diese Bohrungen sind tief genug, um verlässliche Daten aus diesen Tiefen zu gewinnen. Daneben haben wir die Berliner Erdgasspeicherbohrungen. Hier gibt es Bohrungen im Mittleren Buntsandstein mit 17 Produktionsbohrungen. Diese reichen in eine Tiefe bis 1200 Meter. Zusätzlich gibt es vier sogenannte Hilfsbohrungen, die bis in eine Tiefe von 720 Meter reichen. Alle Bohrungen reichen bis beziehungsweise durchteufen die über dem Buntsandstein liegende Muschelkalkformation. Insgesamt bieten die Erdgasspeicherbohrungen eine Infrastruktur, um das Potential einer geothermischen Nutzung der Muschelkalkschichten zu erkunden. Damit werden erstmals unter dem Berliner Stadtgebiet Speichertechnologien im Karbonatgestein getestet.

Christoph Thielke: Man kann noch ergänzen, dass von den vier Hilfsbohrungen eine bis in das Röt-Salinar reicht. Und die anderen drei Hilfsbohrungen waren Versenkbohrungen und sind erst heute Beobachtungsbohrungen.

Warum sind diese Erkenntnisse wichtig?

Dr. Simona Regenspurg: Es gibt bisher keine Veröffentlichungen, die sich mit der Zusammensetzung des Muschelkalkfluids in der Region Berlin befassen, also der Hydrochemie des im Muschelkalk vorhandenen Grundwassers und der darin gelösten Inhaltsstoffe. Wir möchten wissen, ob die Wässer wirklich genauso alt sind, wie das umgebende Gestein. Oder stammen sie aus jüngeren oder gar älteren Schichten und sind hier „eingewandert“? Mit diesem Wissen kann man dann prognostizieren und auch berechnen, welche chemischen Reaktionen bei einem Speicherbetrieb zu erwarten sind.

Also sind die Bohrungen des ehemaligen Gasspeichers in dreifacher Hinsicht interessant: erstens für die geothermische Energiegewinnung, zweitens für die Energiespeicherung und drittens aus wissenschaftlichen Motiven heraus. Bleiben wir doch erst einmal bei den letzteren. Herr Professor Huenges, für welche wissenschaftlichen Fragestellungen sind die Bohrungen interessant?

Prof. Dr. Ernst Huenges: Die wissenschaftliche Fragestellung zielt auf eine Charakterisierung der tieferen Schichten und ihrer potentiellen geothermischen Nutzung ab. Mit den Bohrungen wurden die Schichten des Buntsandsteins und des Muschelkalks erschlossen. Wir versprechen uns Informationen über die Ergiebigkeit, die Hydrochemie, die Temperaturverteilung und die mikrobielle Aktivität insbesondere der Muschelkalkschichten. Es handelt sich hier um Parameter, mit denen Produktionsraten und Produktionstemperaturen und deren Nachhaltigkeit bei der Nutzung bewertet werden können. Durch die urbane Lage des Speichers bieten die neu gewonnenen Daten auch die Chance, Konzepte für die Weiternutzung der vorhandenen Infrastruktur zu entwickeln. Kosten und Zeit für geologische Erkundungsprogramme würden für den Standort dann nicht anfallen.

Für die Speicherung von Energie ist also insbesondere die Schicht aus Muschelkalk in etwa 500 Meter Tiefe interessant. Um was für eine Formation handelt es sich dabei? Wie ist sie entstanden?

PD Dr. Simona Regenspurg: Der Muschelkalk ist eine sogenannte lithostratigraphische Einheit. Das bedeutet, es handelt sich um eine geologische Formation, die sich in einem Zeitraum von vor etwa 229 bis vor 245 Millionen Jahren (Dauer = 16 Mill. Jahre) in Mitteleuropa abgelagert hat. Zu diesem Zeitpunkt befand sich dort, wo heute Berlin liegt, ein flaches Meer. In diesem Meer haben sich kalkreiche Sedimente abgelagert. Aufgrund der darin enthaltenen, zahlreichen Fossilien, darunter u.a. Muscheln, ergab sich für diese Formation der Name „Muschelkalk“. Der Muschelkalk tritt im Osten Berlins in Rüdersdorf zu Tage. Dort gibt es neben dem bekannten Zementwerk, in dem diese Gesteine abgebaut werden, auch ein Museum mit den spektakulärsten Fossilien aus dem Muschelkalk.

Dr. Guido Blöcher: Die geologische Geschichte ist wirklich interessant und es lohnt sich, hier genauer hinzuschauen. Die Region des heutigen Berlins lag während der Zeit des Muschelkalkes im Bereich des Mitteleuropäischen Beckens. Es handelte sich um ein ausgedehntes Flachmeer mit Schwellen, Becken, Rücken und Gräben. Wenn der Meeresspiegel fiel, lagen die flacheren Teile trocken. Andere Teile wurden durch Rücken vom offenen Meer und damit von den regionalen Meerwasserströmungen abgesperrt. Infolgedessen waren die Ablagerungsbereiche vielgestaltig (Schröder, 2015, Anm. d. Red.). In einem dieser flachmarinen Ablagerungsbereiche mit hoher kinetischer Energie (Wellen und Strömungen), kam es in der Zeit des unteren Muschelkalkes zur Bildung des sogenannten Schaumkalkes.

Was ist das Besondere an dem Schaumkalk?

PD Dr. Simona Regenspurg: Dieses Gestein besteht aus gut sortierten Körnern mit einer Größe von 0,2 bis 0,5 mm und maximal 2 mm. Dabei handelt es sich um sogenannte Ooide, wobei die meisten Komponenten als Lösungshohlräume erhalten sind. Ooide sind also kleine, kugelige Körper, um deren Kristallisationskeim sich lagenweise konzentrische Schichten zum Beispiel aus Kalk anlagern. Kristallisationskeime können Schalenbruchstücke sein oder auch Sandkörner. Wir stellen uns das so vor, dass diese Ooide in den Ablagerungsbereichen entstehen, weil sie von den Wellen des Flachmeeres immer hin und her bewegt werden. Details dazu kann man auch der Literatur entnehmen (z.B. Friedel, 1995, Anm. d. Red.).

Da die meisten Körner gelöst wurden, besitzt der Schaumkalk hohe Porositäten von durchschnittlich 20 Prozent. Deshalb heißt es auch „Schaumkalk“.  Das Besondere: Trotz der hohen Porosität ist die Gesteinsmatrix als hydraulisch undurchlässig einzustufen, da die Poren nicht verbunden sind. Das Wasser kann aber auf zahlreichen, natürlichen Klüften zirkulieren. Für uns als Wissenschaftler*innen stellt sich nun die Frage, wie gut das 32 Grad warme Wasser auf diesen Klüften am Standort zirkuliert und ob sich eine generelle Aussage zur geothermischen Nutzung des Schaumkalks treffen lassen kann.

Kommen wir noch einmal auf ein paar grundsätzliche Aspekte der Geothermie zu sprechen. Wie muss man sich den Prozess der Energiespeicherung eigentlich vorstellen?

Dr. Guido Blöcher: Neben der direkten Nutzung der Erdwärme wird bei der Wärmespeicherung die Speicherfähigkeit des Untergrundes insbesondere von wasserführenden Schichten genutzt. Hierbei kann sowohl Wärme als auch Kälte eingespeichert werden. Die Speicherkapazität eines Grundwasserleiters ist groß im Vergleich zu anderen thermischen Speichern, da ein großes Speichervolumen vorhanden ist. Untergrundspeicher, es handelt sich hierbei um Poren- und Kluftgrundwasserleiter, werden aus diesem Grund meist als saisonale Speicher oder Langzeitspeicher eingesetzt. Bei saisonalen Wärmespeichern kann beispielsweise im Sommer Wärme in diesen tiefen Gesteinsschichten gespeichert werden, um sie dann im Winter zur Wärmeversorgung zu nutzen.

Wie muss man sich solche Speichervorgänge vorstellen?

Dr. Guido Blöcher: Beim Beladen des Speichers wird aus der „kalten“ Bohrung Wasser gefördert und an der Oberfläche mit Wärme beladen. Das erwärmte Wasser wird dann in der „warmen“ Bohrung gespeichert. Die Beladung eines saisonalen Speichers findet im Sommer statt. Beim Entladen im Winter wird die Zirkulationsrichtung umgekehrt, es wird aus der „warmen“ Bohrung gefördert, die Wärme an der Oberfläche extrahiert und anschließend in die „kalte“ Bohrung injiziert. Beide Bohrungen müssen also zur Entnahme wie auch zur Injektion ausgebaut sein.

Warum ist diese Form der Energiespeicherung überhaupt sinnvoll?

Dr. Guido Blöcher: Die Integration geothermischer Wärmequellen und saisonaler thermischer Speicher in die Wärmeversorgung von Städten bietet ein hohes Potential für die nachhaltige Energieversorgung. Niedrige Betriebskosten, geringer Platzbedarf für Anlagen und nahezu keine Schadstoffemissionen machen den Betrieb geothermischer Anlagen gerade in Großstädten wie Berlin interessant.

Die direkte Nutzung der Geothermie als Wärmequelle ist eine weitere Option, die Sie ins Auge fassen. Wieso ist es unter der Erde eigentlich wärmer und wie kann man diese Wärme nutzen?

Dr. Guido Blöcher: Oberflächennah wird die Temperatur in der Erde stark durch das Klima beeinflusst. Dies bedeutet, dass es im Sommer wärmer wird und im Winter dementsprechend kühler. Gerade in urbanen Räumen kommt noch ein sogenannter anthropogener Faktor hinzu, also von Menschen beeinflusst: Die starke Bebauung und die damit einhergehende Versieglung des Untergrundes. Durch die globale Klimaerwärmung wird dieser Prozess zusätzlich noch verstärkt. Bereits heute ist im Zentrum von Berlin eine Temperaturzunahme des Grundwassers von mehr als 4°C gegenüber den dünner besiedelten Randbereichen der Stadt zu beobachten.

Aber die Prozesse, die durch Sonneneinstrahlung, menschengemachte Einflüsse und Klimaerwärmung stattfinden, beeinflussen maßgeblich die Temperaturen im oberflächennahen Bereich. Wir sprechen etwa von 15 bis 20 Meter Tiefe (SenUVK, Anm. der Red.). Die Temperatur in dieser Tiefe entspricht dann ca. der Jahresmitteltemperatur, die für Berlin ca. 12°C ist. Noch interessanter wird es unter energetischen Gesichtspunkten, wenn wir tiefer in den Untergrund schauen.

In welcher Hinsicht?

Dr. Guido Blöcher: Die Temperaturen hier sind maßgeblich durch den terrestrischen Wärmestrom beeinflusst. Vielleicht darf ich das kurz erklären. Der terrestrische Wärmestrom beschreibt den nach oben gerichteten Wärmetransport aus dem Erdinneren. Im Erdinneren ist der Zerfall von radioaktiven Isotopen und das damit verbundene Freiwerden von Energie die Hauptursache der Temperaturzunahme. Das führt etwa in Berlin und seinem Umland dazu, dass pro 100 Meter Tiefe die Temperatur durchschnittlich um etwa 3°C zunimmt. Man nennt das in der Sprache der Wissenschaft den sogenannten „geothermischen Gradienten“. Somit lassen sich in Berlin und Umland für den Muschelkalk in 550 Meter Tiefe schon Temperaturen von bis zu 32°C nutzen.

Wird bei der Nutzung von Erdwärme nur warmes Wasser entnommen oder wird für die geothermische Energiegewinnung auch Wasser in den Boden verpresst?

Dr. Guido Blöcher: Egal ob bei der direkten hydrothermalen Nutzung oder beim Speicherbetrieb – in der Regel werden immer zwei Bohrungen benötigt. Bei der hydrothermalen Nutzung wird aus der einen Bohrung warmes Wasser entnommen, an der Oberfläche wird Wärme extrahiert und über die zweite Bohrung das abgekühlte Wasser wieder rückgeführt oder injiziert. Beim Speicherbetrieb sieht es ja ganz ähnlich aus.

Von welcher Energiemenge sprechen wir hier eigentlich? Wie soll sie genutzt werden?

Dr. Guido Blöcher: Die zu erwartende Energiemenge hängt sehr stark von den möglichen Massenströmen des Grundwassers ab, aber auch von der Temperaturdifferenz zwischen Förder- und Injektionsbohrung sowie den Betriebsstunden. Jetzt wird es etwas mathematisch. Beim Betrieb einer sogenannten hydrothermalen Dublette, das ist der Grundbaustein einer Geothermie-Anlage, bei der das Thermalwasser an einer Förderbohrung entnommen und entsprechend an einer Injektionsbohrung wieder in den Untergrund eingebracht wird, kann für den Standort mit Massenströmen von 5 kg/s gerechnet werden. Aus dem 32°C warmen Wasser können ca. 15 Kelvin extrahiert werden. Der Betrieb eines solchen hydrothermalen Systems erfolgt kontinuierlich und die thermische Leistung entspricht ca. 300 kW. In der Summe steht auf diese Weise thermische Energie in Höhe von ca. 2,75 GWh pro Jahr zur Verfügung. Wenn eine Familie mit drei Personen ca. 2750 Kilowattstunden pro Jahr verbraucht, lassen sich damit in einem Jahr eintausend Haushalte versorgen. Für die Gesamtrechnung muss allerdings auch die elektrische Hilfsenergie für Wärmepumpe und Brunnenpumpe mitberücksichtigt werden. Uns interessiert, ob die geothermische Wärmequelle auch zur Versorgung von Fernwärmenetzen genutzt werden kann.

Wäre es denkbar, dieses Verfahren auch andernorts in der Region anzuwenden?

Dr. Guido Blöcher: Generell kann dieses Verfahren auf andere Standorte mit ähnlichen hydrothermischen, geochemischen und mikrobiologischen Parametern übertragen werden. Ein Teil des Projekts besteht darin, basierend auf den Ergebnissen der Untersuchungen in Spandau und Rüdersdorf sowie der Analyse von existierenden Bohrdaten des Muschelkalks, die Ausbreitung des Schaumkalks unterhalb Berlins zu bestimmen. Auf diese Weise möchten wir ein Modell des Berliner Untergrunds erstellen. Dieses Modell dient zur Abschätzung des generellen Potentials der Schaumkalkformation als Wärmequelle bzw. Wärmespeicher im Vergleich zu anderen Aquiferen, also wasserführender Schichten im Untergrund. Dabei berücksichtigen wir die ökonomischen, technischen, geologischen und rechtlichen Gegebenheiten. Ziel ist unter anderem die Erstellung eines geothermischen Atlas, der eine erste Abschätzung zukünftiger Aquiferspeicher-Projekte in Berlin ermöglicht.

Welche technischen Hürden müssen gemeistert werden? Wo liegt die Herausforderung für die Ingenieur*Innen?

Dr. Guido Blöcher: Durch den ehemaligen Betrieb als Gasspeicherbohrungen erwarten uns zahlreiche ingenieurtechnische Herausforderungen. Die Bohrung muss zwischen Verrohrung und Gebirge gas- und flüssigkeitsdicht sein. Im Bereich des Muschelkalkes wurde die Bohrung durchlöchert (perforiert), um einen Anschluss an die wasserführenden Schichten zu erhalten. Dabei müssen die Stahlrohre und die Zementation der Bohrung durchgehend perforiert werden. 

Auch hat das Fluid mit seinem hohen Salzgehalt und möglicher mikrobieller Aktivität ein hohes Korrosionspotential. Dies kann die Nachhaltigkeit eines Geothermiebetriebes beeinträchtigen. Dies ist auch der Grund, warum dieses Projekt gemeinschaftlich mit der Energiewirtschaft stattfindet, um genau diese Prozesse zu untersuchen und ingenieurwissenschaftliche Antworten zu liefern.

Bestehen Risiken, die mit der Nutzung von 500 bis 1000 Meter tiefen Bohrungen in den Berliner Untergrund verbunden sind und wie kann man ihnen begegnen?

PD Dr. Simona Regenspurg: Hier müssen wir noch einmal auf den Rupelton zurückkommen, über den wir bereits kurz gesprochen haben. Die Rupeltonschicht ist eine mächtige Tonlage. Sie dichtet die Berliner Grundwasserleiter gegenüber den tieferen salinaren Schichten hydraulisch ab. Bei jedem Geothermieprojekt, welches unter den Rupelton führt, muss diese Tonlage durchbohrt werden. Hier besteht ein potentielles Risiko, dass die Süßwasserschichten durch das salzhaltige Grundwasser verunreinigt werden. Dafür gibt es aber Lösungen. Eine solche Bohrung wird so ausgebaut, dass keine Umläufigkeiten oder Durchlässigkeiten entstehen können.

Und wie verhält es sich mit den Mikroorganismen?

PD Dr. Simona Regenspurg: Bei der Förderung von warmem Thermalwasser kommt es zu einer lokalen Erhöhung der Temperatur um die Bohrung herum. Zum Beispiel muss das 32°C warme Wasser aus dem Muschelkalk über die Bohrung durch die 12,5°C warmen Trinkwasserleiter geführt werden. Diese lokale Temperaturerhöhung bietet das Potential zu einer gesteigerten mikrobiellen Aktivität.

Was könnte das bedeuten?

PD Dr. Simona Regenspurg: Mikroorganismen kommen fast überall in der Natur vor. Weitaus weniger bekannt ist, dass sie auch in relativ großen Tiefen vorkommen. Solange sie nicht verstärkt wachsen, stellen sie kein Risiko für einen Betrieb oder die Umwelt dar. Unterschiedliche Umweltfaktoren können das Wachstum der Mikroben jedoch beeinflussen. So besitzt jeder Organismus ein Temperaturoptimum, bei dem er bevorzugt wachsen kann. Bestimmte Mikroorganismen vermehren sich bevorzugt bei erhöhten Temperaturen. Allerdings benötigen sie zum Wachstum organischen Kohlenstoff als Nahrung. Nur wenn dieser ausreichend und in verwertbarer Form vorhanden ist, kann es zu einem Wachstum kommen. In dem Rohrsystem einer Geothermie-Anlage können solche Mikroorganismen Korrosionsprozesse beschleunigen oder Ablagerungen und Biofilme bilden.

Gibt es dafür Gegenmittel?

PD Dr. Simona Regenspurg: Es gibt zahlreiche Maßnahmen, die sich in der Praxis bei bestehenden Geothermie-Anlagen bereits bewährt haben. Beispielsweise lässt sich das Risiko des Wachstums von Mikroorganismen schon durch eine entsprechende Materialauswahl der Rohre beeinflussen. Gut geeignet gegen Korrosion sind zum Beispiel glasfaserverstärkte Kunststoffrohre, sogenannte GFK-Rohre. 

Um gegebenenfalls vorhandene Mikroorganismen abzutöten, eignet sich auch ein kurzzeitiges Aufheizen der Rohre als umweltfreundliche Methode. Insgesamt schätzen wir die Risiken als gering ein, da ihnen mit ingenieurtechnischem Know-how begegnet werden kann.

Wie sieht es mit der Gefahr von Mikrobeben aus? Könnten sie durch geothermische Bohrungen ausgelöst werden?

Prof. Dr. Ernst Huenges: Grundsätzlich lässt sich sagen: Die Möglichkeit seismischer Ereignisse aufgrund geothermischer Nutzung hängt von den tektonischen Verhältnissen an den jeweiligen Standorten ab. Für den norddeutschen Raum, dazu zählt auch Berlin mit dem Grunewald, können größere seismische Ereignisse, die durch Bau und Betrieb von geothermischen Anlagen ausgelöst werden, weitgehend ausgeschlossen werden. Aus bisherigen Messungen wissen wir, dass eventuell auftretende Mikrobeben in ihren Auswirkungen sehr viel kleiner sind als zum Beispiel vom Straßenverkehr verursachte Erschütterungen. Bei unserem laufenden Projekt sind selbst Mikrobeben ausgeschlossen, weil weder gebohrt noch die Lagerstätte übermäßig mechanisch belastet wird.

Nur so aus weiterführendem Interesse: Was wird bei neuen geothermischen Bohrungen alles beobachtet?

Prof. Dr. Ernst Huenges: Der Betrieb moderner Anlagen muss überwacht werden, um zum Beispiel technische Fehlfunktionen sofort zu erkennen. Unverzichtbar ist außerdem eine Überwachung der Einwirkungen auf die Umwelt, z.B. mit Lärmmessungen, Aufzeichnungen möglicher Bodenbewegungen und Sicherstellung, dass keine Leckagen auftreten. Dazu gehört die Kontrolle der Bohrlochintegrität, d.h., dass die Verrohrung im Bohrloch und ihre Zementierung in jeder Phase des Ausbaus und Betriebes intakt und damit dicht ist. Damit wird ausgeschlossen, dass sich zwei verschiedene Grundwasserleiter vertikal vermischen können. Und natürlich müssen kontinuierlich die Fließgewässer sowie die Grundwasserleiter beobachtet werden. Es fallen also eine Menge Daten an. Diese Daten werden so zusammengeführt, dass eine laufende Neueinschätzung von ökologischen und ökonomischen Risiken in kürzester Zeit vorgenommen werden kann. Damit wird in transparenter Form für jeden Prozess eine Bewertungsgrundlage bereitgestellt. Das dient dem Ziel, die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhalten und zu fördern.

Das klingt nach einem aufwändigen Datenmanagement?

Prof. Dr. Ernst Huenges: Das ist es. Aber erst dieses Datenmanagement liefert die Voraussetzungen, um immer schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen. Es handelt sich also um eine notwendige Risikovorsorge, wie wir sie bei vielen wissenschaftlichen Projekten immer miteinplanen. Diese Daten wollen wir öffentlich zugänglich machen, damit Entscheidungen nachvollziehbar sind. Eine besondere Herausforderung für das Monitoring in einer urbanen Umgebung wie Berlin ist, dass eine Großstadt ein verstärktes Rauschen im Untergrund erzeugt. Das macht einerseits  die Messverfahren aufwändiger, weil wir im Rauschen die negativ auslösenden Ereignisse identifizieren müssen. Andererseits arbeiten wir daran, dieses Rauschen als Quelle zu nutzen, um im Untergrund Strukturen abzubilden.

Man kann sich gut vorstellen, dass das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse, wirtschaftliche Nutzungsinteressen und politische sowie rechtliche Rahmenbedingungen bei so einem Projekt nicht immer ganz harmonisieren. Wie gestaltet sich das Wechselspiel zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik?

Christoph Thielke: Das Zusammenspiel zwischen dem technisch Möglichen, politisch Gewollten und wirtschaftlich Vertretbaren ist in der Tat komplex. Die Grundlinie ist jedoch bei allen Akteuren gleich. Alle wollen regenerative Lösungen, welche die Umwelt möglichst wenig belasten. Die Wissenschaft liefert die Grundlagen. Die Politik muss Anreize schaffen und Hürden beseitigen, während die Wirtschaft tragbare Geschäftsmodelle entwickelt. Ohne Veränderungsbereitschaft und einem gewissen Pioniergeist werden solche Projekte schwierig umzusetzen sein. Wichtig sind eine offene Kommunikation und der Wille, auf andere Perspektiven einzugehen.

Nachhaltigkeit, Energiewende und Reduzierung von klimawirksamen Emissionen stehen ganz oben auf der politischen Agenda. Würden Sie sagen, dass über wirtschaftliche und wissenschaftliche Interessen hinaus auch eine gewisse ethische Verpflichtung besteht, den Untergrund und seine natürlichen Potentiale zu nutzen?

Christoph Thielke: Die Ursachen und Folgen des Klimawandels sind in der breiten Öffentlichkeit unumstritten. Die Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken, müssen sowohl auf internationaler als auch auf nationaler und lokaler Ebene ambitioniert sein. War in den letzten Jahren die Energiewende in Deutschland hauptsächlich auf den Stromsektor und Mobilitätssektor fokussiert, rückt nun auch der Wärmesektor in den Vordergrund. Um den ambitionierten Zielvorgaben gerecht zu werden, darf meiner Ansicht nach keine Lösung ausgeschlossen werden. Das bedeutet: Jede regenerative Form der Energie muss betrachtet und in ein wirtschaftlich, sozial und gesellschaftlich ausgewogenes System eingebettet werden. Daher gibt es definitiv auch eine ethische Verpflichtung, die Geothermie mit zu betrachten.

Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview führten PD Dr. Dierk Spreen und Oliver Jorzik (Earth System Knowledge Platform | ESKP)

Projektsteckbrief

Vorrangiges Ziel des Projektes ist es zum einen, die Eignung der Kabonatgesteine des Muschelkalkes für die geothermische Nutzung zu überprüfen. Zum anderen soll ein Konzept zur Erkundung, Erschließung sowie für den Betrieb eines Wärmespeichers mit Hilfe von Feld- und Laboruntersuchungen sowie durch Modellierung entwickelt werden. Da bereits ausreichend tiefe Bohrungen am Standort des ehemaligen Berliner Erdgasspeichers in Berlin-Spandau vorhanden sind, bietet sich hier die einzigartige Möglichkeit den Zielhorizont hydraulisch zu testen und diese Tests durch ein thermisches, mikrobielles und chemisches Monitoring zu begleiten. Die im Rahmen des Projektes entwickelten Konzepte sollen umfassend validiert und die Anwendbarkeit und Übertragbarkeit der Erkenntnisse auf das Berliner Umland gezeigt werden. Im Detail sollen folgende Ziele erreicht werden:

  1. Quantifizierung der hydraulischen und thermischen Eigenschaften des Zielhorizontes (Muschelkalkformation).
  2. Die strukturgeologische Charakterisierung des Horizontes in Kombination mit der Bestimmung der thermisch-hydraulischen Eigenschaften und existierenden Bohrungsdaten.
  3. Ermittlung der chemisch-mikrobiologischen Prozesse im Zielhorizont mit denen bei einer Wärmespeicherung (Temperaturveränderung und Fluidfluss) zu rechnen ist.
  4. Langzeitprognose der thermisch, hydraulisch, chemisch, mikrobiologischen Prozesse, mit denen bei einem Speicherbetrieb zu rechnen ist.

Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen (1-4) wird letztlich ein Erschließungskonzept speziell für die geothermische Nutzung und der damit verbundenen Prozesse entwickelt. Dieses soll eine Basis für die Entwicklung von Geothermiesystemen darstellen, die auch auf andere Standorte übertragen werden kann. Zusätzlich erfolgt eine hydrothermale Potentialabschätzung des Muschelkalkes (Rüdersdorfer Schaumkalkes) am Standort.

Projektpartner: Berliner Erdgasspeicher GmbH (C. Thielke)
Zuwendungsgeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie – BMWi, FKZ 03EE4013
Projektlaufzeit: 01.03.2020 bis 31.12.2022

Referenzen

  Friedel, C.-H. (1995). Stylolithen im Rüdersdorfer Schaumkalk – Wechselwirkungen zwischen sedimentärem Gefüge und Spannung. In J. H. Schroeder (Hrsg.), Fortschritte in der Geologie von Rüdersdorf (Berliner Geowissenschaftliche Abhandlungen, Reihe A, Bd. 168) (S. 191-218). Berlin: Fachbereich Geowiss. der FU.

  Huenges, E., Jorzik. O. & Kandarr, J. (2017, 21 Januar). Geothermie in deutschen Großstädten. Earth System Knowledge Platform [eskp.de], 4. doi:10.48440/eskp.061

  Kallmeyer, J., Liebner, S. & Wagner, D. (2020). Grenzen des Lebens kennen. Das größte Ökosystem der Erde: die Tiefe Biosphäre. In J. Kandarr, P. Klinghammer, O. Jorzik & D. Spreen (Hrsg.), ESKP-Themenspezial Biodiversität im Meer und an Land: vom Wert biologischer Vielfalt (S. 58-63). Potsdam: Helmholtz-Zentrum Potsdam, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ. doi:10.2312/eskp.2020.1.2.5

  Schroeder, J. H. (2015). Der Kalkstein-Tagebau von Rüdersdorf – Geo-Glanzpunkt bei Berlin. Berlin: Selbstverlag Geowissenschaftler in Berlin und Brandenburg e.V.

  Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz – SenUVK. (o.D.). Geothermie [www.berlin.de]. Aufgerufen am 12.10.2020.

DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.047

Veröffentlicht: 25.11.2020, 7. Jahrgang

Zitierhinweis: Blöcher, G., Huenges, E., Regenspurg, S., Thielke, C., Spreen, D. & Jorzik, O. (2020, 25. November). Erdwärme aus dem Grunewald. Earth System Knowledge Platform [www.eskp.de], 7. doi:10.2312/eskp.047

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