Die globale Vernetzung hat dazu geführt, dass sich das Virus in wenigen Monaten wie ein Flächenbrand um die ganze Welt verbreiten konnte. In allen Ländern wurden zur Eindämmung der Pandemie daher Maßnahmen zur Einschränkung von Mobilität und der Reduktion von Kontakten ergriffen. Diese haben in kürzester Zeit in einem zuvor kaum vorstellbaren Maß den Lebensalltag und die damit verbundenen Mobilitätsgewohnheiten der Menschen auf den Kopf gestellt. Nach Monaten des Ausnahmezustands ist bei vielen der Wunsch nach Normalität groß.
Eine Rückkehr zum „Wie davor“ wird es jedoch nicht mehr geben. Zu sehr haben sich Gewohnheiten und Aktivitäten der Menschen verändert. Dies ist gleichermaßen eine Chance, um festgefahrene Routinen zu verändern, aber auch ein Risiko, da auch neue, wenig nachhaltige Verhaltensweisen in der Krise über Monate eingeübt werden können.
Um die Pandemie-bedingten Veränderungen des Mobilitätsverhaltens messen und erklären zu können, hat das Institut für Verkehrsforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) eine Panelstudie konzipiert. Zu bislang drei Erhebungszeitpunkten (April 2020, Ende Juni/ Anfang Juli 2020 und Ende November/Anfang Dezember 2020) wurden dieselben Personen zu ihrer Verkehrsmittelnutzung vor und während der Krise, zu ihrer Mobilität in Zusammenhang mit Einkaufen, Arbeiten, Freizeit, privaten und dienstlichen Reisen sowie zu ihren Einstellungen und persönliche Strategien im Umgang mit der Krise befragt. Damit die Ergebnisse jeder Einzelerhebung repräsentativ für die in Deutschland lebende Bevölkerung ab 18 Jahre sind, wurde der Ausfall von wiederholt teilnehmenden Personen durch die Aufnahme neuer Probandinnen und Probanden ausgeglichen.
Welche Erkenntnisse können bislang aus der Krise gezogen werden?
Routinen sind auch in der Krise entscheidend
Während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ebenso wie beim zweiten Lockdown ab November 2020 erleben die individuell nutzbaren Verkehrsmittel großen Zuspruch. Jahreszeitenbedingt handelte es sich bei der Erhebung im April 2020 um das Fahrrad und das Auto, im November 2020 hat vor allem die Nutzung von privaten Pkw zugenommen. Der Bedeutungsgewinn der Verkehrsmittel mit geringem Ansteckungsrisiko findet dabei nicht gleichverteilt über die Bevölkerung statt. Entscheidend ist vielmehr das individuelle Set an Verkehrsmitteln, das bereits vor der Krise genutzt wurde.
Menschen lassen sich nach ihren Verkehrsmittelpräferenzen in sogenannten Modalgruppen einteilen. Dabei wird betrachtet, welche der drei Verkehrsmittel Auto, Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel Menschen im Verlauf einer Woche für das Zurücklegen ihrer Wege nutzen (Nobis, 2014). Der Zeitraum einer Woche ist eine geeignete Zeiteinheit, da sich viele Aktivitäten im Wochentakt rhythmisch wiederholen (Chlond & Lipps, 2000; Von der Ruhren et al., 2005).
In Summe gibt es drei monomodale Gruppen, die im Alltag jeweils nur eines der Verkehrsmittel nutzen, und vier multimodale Gruppen, die auf zwei oder alle drei der betrachteten Verkehrsmittel zurückgreifen. Die Modalgruppen weisen sowohl hinsichtlich ihrer soziodemographischen Zusammensetzung als auch ihres Verhaltens große Unterschiede auf (Nobis, 2014).
Die Zugehörigkeit zu den Modalgruppen hatte maßgeblichen Einfluss auf das Verhalten in der Krise. Während monomodale Autofahrende während des ersten Lockdowns zu 90 Prozent ausschließlich Auto gefahren sind, haben sich nur 36 Prozent der Multimodalen in der Krise eines Mix aus Verkehrsmitteln bedient. Mehr als die Hälfte der Multimodalen wurde in der Krise zu monomodalen Verkehrsteilnehmenden und hat zum großen Teil ausschließlich das Auto und zum kleineren Teil ausschließlich das Fahrrad genutzt. Wer im Alltag vor Corona auf den Öffentlichen Verkehr (ÖV) gesetzt hat, ist während des Lockdowns entweder weiter mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs gewesen oder hat keines der drei Verkehrsmittel Auto, Fahrrad und ÖV genutzt, war also entweder nur zu Fuß unterwegs oder nicht mobil.
In der Krise beginnen die Menschen damit nicht, neue Verkehrsmittel in ihren Alltag einzubauen, sondern vielmehr bestehende Routinen zu variieren. Es handelt sich somit nicht um eine grundlegend neue Verhaltensweise, sondern nur um angepasstes Verhalten innerhalb eines bereits bestehenden Verkehrsmittelsets. Im Ergebnis gewinnt mit der monomodalen Autonutzung eine ohnehin bereits stark ausgeprägte, wenig nachhaltige Verkehrsmittelnutzung an Bedeutung. Zwar ist der CO2-Fußabdruck nicht jeder Person, die im Alltag ausschließlich mit dem Auto unterwegs ist, größer als der von multimodalen Personen. Im Gruppendurchschnitt zeigt sich aber: Auch Multimodale legen weite Tagesdistanzen zurück, aber die absolute Anzahl der auf den Pkw entfallenden Kilometer fällt kleiner aus als bei den monomodalen Autofahrenden.
Kurz: Im Großen und Ganzen ist der CO2-Fußabdruck von Personen mit multimodalem Mobilitätsverhalten geringer als der von Personen, die ausschließlich Auto fahren. Letztere werden in der Pandemie aber wieder mehr.
Der öffentliche Verkehr ist der große Verlierer
Egal ob im Nah- oder Fernbereich, der Öffentliche Verkehr ist der große Verlierer in Zeiten der Pandemie. Konnte der ÖV bereits vor der Krise angesichts eines kontinuierlich wachsenden Pkw-Bestands und einer zunehmenden Pkw-Verfügbarkeit der Bevölkerung seiner Rolle als Rückgrat der Verkehrswende nicht gerecht werden, wird er nochmals deutlich geschwächt.
Öffentliche Verkehrsmittel werden nicht nur weniger genutzt, sie werden auch mit einem ausgeprägten Unwohlsein verbunden. Knapp zwei Drittel der Befragten gaben in der ersten DLR-Erhebung im April 2020 an, sich bei der Nutzung oder der Vorstellung der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) deutlich unwohler oder unwohler zu fühlen als vor der Pandemie. Mehr als ein Drittel hat dabei die stärkere der beiden Kategorien (deutlich unwohler) gewählt. Nach einem leichten Rückgang im Sommer ist das Unwohlsein im Herbst 2020 wieder angestiegen, liegt mit knapp über der Hälfte aller Befragten jedoch etwas unter dem Niveau des ersten Lockdowns. Wurde der ÖPNV bereits vor der Krise weniger gerne genutzt als andere Verkehrsmittel – allen voran den aktiven Verkehrsmodi zu Fuß und Fahrrad (Nobis & Kuhnimhof, 2018) – wird die „emotionale Lücke“ zwischen den Verkehrsmitteln während der Pandemie noch größer.
Wunsch nach mehr Masken-Kontrolle im ÖPNV
Trotz Einnahmeverlusten sollten sich öffentliche Verkehrsbetriebe neben der Aufrechterhaltung oder sogar Erweiterung der normalen Taktfrequenz, damit die Fahrgäste Abstand wahren können, zusätzlich um vertrauensbildende Maßnahmen kümmern. Der Einhaltung der Maskenpflicht kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Zwei Drittel der Befragten, die vor der Krise mindestens ein bis drei Mal im Monat mit dem ÖPNV gefahren sind, geben an, immer wieder Personen zu sehen, die Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht oder nicht richtig tragen. Drei Viertel der Befragten fühlen sich durch nicht richtiges Tragen von Masken gestört und wünschen sich mehr Kontrollen.
Wie wichtig das Aufgreifen dieser Wünsche für die Zukunft des ÖPNV ist, zeigt die Selbsteinschätzung der langfristigen Nutzungshäufigkeit des ÖPNV im Vergleich zu der Zeit vor Corona: 35 Prozent aller Befragten gehen davon aus, langfristig viel seltener oder seltener öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Werden nur Personen befragt, die den ÖPNV vor der Krise auch tatsächlich genutzt haben, dann geben 22 Prozent ihn seltener und drei Prozent ihn gar nicht mehr zu nutzen an. Auch unter Abzug der Personen, die zukünftig von einer häufigeren Nutzung ausgehen, verbleibt eine Reduktion bei 13 bis 19 Prozent.
Homeoffice hat das Potenzial für eine langfristige Veränderungen von Pendelwegen
Eine Aktivität, die sich durch Corona ebenfalls erheblich verändert hat, ist das Arbeiten. Dies gilt zumindest für Berufe, die mit nach Hause verlagerbaren Tätigkeiten verbunden sind. Durch die Corona-Pandemie haben viele Personen, die bislang nicht oder kaum mobil gearbeitet haben, Erfahrungen im Homeoffice gesammelt. Parallel dazu wird die gesetzliche Grundlage für Homeoffice überarbeitet. Zwar soll es keinen Rechtsanspruch auf Homeoffice wie bspw. in den Niederlanden geben. Über eine gesetzliche Erörterungspflicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer soll es in Zukunft jedoch einfacher sein, Vereinbarungen zum Homeoffice zu treffen.
Die DLR-Erhebungen zeigen: Der Anteil der Beschäftigten, die im Homeoffice arbeiten, ist von 32 Prozent im April auf 38 Prozent im Sommer und schließlich 40 Prozent im Herbst angestiegen. Zu Beginn der Pandemie arbeiteten jedoch mit 26 Prozent mehr Menschen ausschließlich im Homeoffice als im Sommer und Herbst mit jeweils 17 Prozent. Die hybride Form eines nur teilweisen Arbeitens im Homeoffice hat mit der Zeit an Bedeutung gewonnen. Im Zuge der härteren Maßnahmen ab Januar 2021 zur Bekämpfung der Pandemie mag sich dies zugunsten eines ausschließlichen Arbeitens im Homeoffice geändert haben.
Bedeutend ist der Umstand, dass der Großteil der Beschäftigten das Arbeiten im Homeoffice positiv bewertet. Zwei Drittel der Befragten waren zufrieden und können sich vorstellen, langfristig im Homeoffice zu arbeiten. Zwar lagen diese Werte im Sommer bei rund drei Viertel der Befragten. Ob Homeoffice auf Dauer tatsächlich schlechter bewertet wird oder ob das Ergebnis auf die Rahmenbedingungen während des zweiten Lockdowns und die Jahreszeit zurückzuführen sind, wird sich zeigen. Die zum Zeitpunkt der dritten DLR-Erhebung geltenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens und die begrenzten Möglichkeiten, Aktivitäten aufgrund des geringeren Ansteckungsrisikos nach draußen zu verlagern und einen Ausgleich zum Homeoffice zu schaffen, können die Wahrnehmung von Homeoffice durchaus beeinträchtigt haben.
Welches enorme Potenzial Homeoffice für die Entwicklung der Verkehrsnachfrage hat, zeigen folgende Werte: Nach der Studie Mobilität in Deutschland aus dem Jahr 2017 handelt es sich bei 16 Prozent aller zurückgelegten Wege um Wege von oder zur Arbeit. Aufgrund der überproportionalen Nutzung des Autos und der hohen durchschnittlichen Länge von Arbeitswegen verursacht der Pendelverkehr jedoch ein Drittel der gesamten Pkw-Fahrleistung (Nobis & Kuhnimhof, 2018). Der Rückgang von Arbeitswegen würde nicht nur zur Entlastung von Straßen, sondern auch zur Abschwächung der morgendlichen Spitzenlasten des öffentlichen Verkehrs in den Städten beitragen.
Online-Shopping hat einen enormen Schub erhalten
Auch das Einkaufen hat sich durch die Pandemie geändert. In der Zeit vor Corona haben 49 Prozent der Befragten mindesteins einmal in vier Wochen Produkte über das Internet gekauft. Durch die Pandemie hat diese Verhaltensweise einen deutlichen Schub erhalten. Bei der dritten DLR-Erhebung im Herbst 2020 berichteten 86 Prozent der Befragten mindestens einen Online-Einkauf in den letzten vier Wochen getätigt zu haben, 36 Prozent haben ein bis mehrmals pro Woche online eingekauft. Im Vergleich zur Erhebung im Sommer hat sich Anteil der auf vier Wochen bezogenen Online-Shopper damit nur geringfügig erhöht, die Einkaufsfrequenz ist dagegen – teilweise sicherlich durch das Weihnachtsgeschäft – stark angestiegen.
All dies hat enorme Folgen für den Einzelhandel und Logistik des Wirtschaftsverkehrs. Aber da ein Großteil des Einkaufsverkehrs auf Wege für den täglichen Bedarf entfallen, ein Bereich der im Online-Shopping bislang eine deutlich untergeordnete Rolle spielt, wird die Bedeutung von Einkaufswegen während der Pandemie nur zum Teil geschmälert.
Schlussfolgerungen
Im öffentlichen Diskurs wurde teilweise die Hoffnung geäußert, dass die Pandemie die Verkehrswende beschleunigen würde. Grundlage für diese Annahme sind die geänderten Rahmenbedingungen individuellen Mobilitätsverhaltens. Hierzu gehören neben Homeoffice und Online-Shopping auch die Pandemie-bedingte Entschleunigung des Lebensalltags, die durch Reisewarnungen unterstützte Besinnung auf den Nahraum sowie die kurzfristig möglichen Veränderungen der Infrastruktur, insbesondere des Radverkehrs durch die Umsetzung von Pop-Up-Radwegen.
Die Ergebnisse der DLR-Studie zeigen jedoch, dass zu weiten Teilen kein grundlegender Wandel des Mobilitätsverhaltens stattfindet, sondern eine Variation bereits zuvor bestehender Mobilitätsroutinen. Hierbei kommt es vor allem zur Verfestigung einseitig auf das Auto ausgerichteter Verhaltensweisen. Der ÖPNV, dem bei der Verkehrswende eine zentrale Rolle zukommt, wird maßgeblich geschwächt. Waren die Rahmenbedingungen für die Verkehrswende angesichts einer stetig wachsenden Pkw-Flotte und einer in der Vergangenheit stark auf das Auto ausgerichteten Verkehrspolitik bereits vor Corona nicht einfach, sind sie durch die Krise nicht besser geworden.
Wenn die Pandemie eines zeigt: Wir sind kurzfristig in der Lage unser Verhalten in einem zuvor nicht erahnten Ausmaß zu verändern. So gesehen gleicht die durch die Pandemie gegebene Situation einem großen Verhaltensexperiment, aus dem auch für die Verkehrswende Lehren gezogen werden können.
Text: Dr. Claudia Nobis (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt | DLR, Institut für Verkehrsforschung)
Referenzen
Chlond, B., Lipps, O. (2000). Multimodalität im Personenverkehr im intrapersonellen Längsschnitt. Stadt Land Region, 69, 171-182.
DLR-Verkehr. (2020, 05. Mai). DLR-Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität? [verkehrsforschung.dlr.de]. Aufgerufen am 26.01.2021.
DLR-Verkehr. (2020, 28. September). Zweite DLR-Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität? [verkehrsforschung.dlr.de]. Aufgerufen am 26.01.2021.
DLR-Verkehr. (2020, 22. Dezember). Dritte DLR-Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität? [verkehrsforschung.dlr.de]. Aufgerufen am 26.01.2021.
Nobis, C. (2014). Multimodale Vielfalt: Quantitative Analyse multimodalen Verkehrshandelns (Dissertation, Geographie). Berlin: Humboldt-Universität zu Berlin. doi:10.18452/17194
Nobis, C. & Kuhnimhof, T. (2018). Mobilität in Deutschland – MiD Ergebnisbericht. Studie von infas, DLR, IVT und infas 360 im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (FE-Nr. 70.904/15) [www.mobilitaet-in-deutschland.de]. Bonn/Berlin.
Von der Ruhren, S., Rindsfüser, G., Beckmann, K. J., Kuhnimhof, T., Chlond, B. & Zumkeller, D. (2005). Bestimmung multimodaler Personengruppen [Projektbericht, Schlussbericht FE-Nr. 70.724/2003, Forschungsprogramm zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden]. Aachen, Karlsruhe: Institut für Stadtbauwesen und Stadtverkehr der RWTH Aachen (ISB), Institut für Verkehrswesen der Universität Karlsruhe (ifv).
Weiterführende Informationen
DOI
https://doi.org/10.48440/eskp.065
Veröffentlicht: 01.02.2021, 8. Jahrgang
Zitierhinweis: Nobis, C. (2021, 01. Februar). Covid-19: Veränderungen des Mobilitätsverhaltens. Earth System Knowledge Platform [eskp.de], 8. doi:10.48440/eskp.065