Die Deutschen reisen bekanntlich viel und gerne. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung haben im vergangenen Jahr eine Reise von mehr als fünf Tagen unternommen. 40 Prozent waren sogar mindestens zweimal unterwegs. Dies sind die Ergebnisse einer Repräsentativbefragung unter 3000 Personen, die zwischen Dezember 2019 und Januar 2020 unternommen wurde (Stiftung für Zukunftsfragen, 2020). Besonders Fernreiseziele boomen. Niemals zuvor verbrachten mehr Bundesbürger ihren Haupturlaub außerhalb Europas (17 Prozent). Und auch die Anzahl der zurückgelegten Flugkilometer steigt kontinuierlich an. Laut einer aktuellen Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist für 2020 zwar mit einem leichten Rückgang bei den von Deutschland abgehenden Flüge in Richtung touristischer Destinationen zu rechnen (minus 1 Prozent, Berster et al., 2020, S. 2). Allerdings ist das Ausgangsniveau besonders hoch. 2019 war nach Angaben des Statistischen Bundesamts mit 101,3 Millionen Fluggästen, die von Deutschland aus Ziele im Ausland ansteuerten, ein echtes Rekordjahr (Statistisches Bundesamt, 2020). Und das Umfeld für weiteres Wachstum ist durch Coronavirus und Handelskonflikte von Unsicherheiten geprägt.
Insgesamt deuten alle Indikatoren des vergangenen Jahres darauf hin, dass es im Bereich des Flugtourismus keinen messbaren „Greta-Effekt“ gegeben hat. Zudem ist bis dato nicht deutlich erkennbar, dass sich die in den Medien vieldiskutierte „Flugscham“ in einem größeren Ausmaß im Verhalten der Bundesbürger niederschlagen würde. Also alles wie gehabt trotz Klimadebatte? Es wird weitergeurlaubt wie bisher? Nachhaltiges Reiseverhalten, Fehlanzeige? Die Initiatoren der Grundlagenstudie „Nachhaltige Urlaubsreisen: Bewusstseins- und Nachfrageentwicklung“ wollten es noch etwas genauer wissen. Sie fragten im Rahmen der seit 1971 jährlich durchgeführten „Reiseanalyse“ nach, in welchem Maße Möglichkeiten der CO2-Kompensation bei Touristinnen und Touristen hierzulande genutzt werden. Hier sind die Zahlen ernüchternd. Die Nutzung derartiger Möglichkeiten des CO2-Ausgleichs für Flugurlaubsreisen liegt bei sechs Prozent für Kurzreisen, bei Urlaubsreisen mit einer Dauer von über fünf Tagen sogar bei nur zwei Prozent. Achten die Reisenden vielleicht auf Umwelt- oder Nachhaltigkeitssiegel bei der Auswahl ihrer Unterkünfte? Hier treffen lediglich sechs Prozent (bei Reisen über fünf Tage) bzw. acht Prozent (bei Kurzreisen) ihre Auswahl zugunsten entsprechend ausgezeichneter Unterkünfte. Nachhaltigkeit ist nur einer Minderheit ausschlaggebend für die Urlaubsreise (vier bis acht Prozent). Für immerhin 23 Prozent bildet Nachhaltigkeit einen Entscheidungsfaktor unter mehreren.
Daher überrascht es, dass es trotz dieser geringen Zahlen bei 56 Prozent der Befragten eine positive Einstellung gegenüber Nachhaltigkeit bei Urlaubsreisen gibt, ja diese im Vergleich zu früheren Untersuchungen sogar gestiegen ist. Doch wie lässt sich diese enorme Kluft zwischen Einstellung und Verhalten erklären, dem sogenannten Attitude-Behaviour-Gap? Die Autoren der Grundlagenstudie erkennen, dass Urlaubsreisen in der Regel als „hedonistisch geprägte Freizeitprodukte mit Ausnahmecharakter“ betrachtet werden. Dies könnte zur einer Art „selbst erteilter Ausnahmegenehmigung“ führen. Bei Urlaubsreisen haben Vernunftargumente einen schweren Stand. Sie sind als High-Involvement-Produkte häufig mit gegenläufigen Attributen wie Risiko oder Freude verbunden.
Reisende, die an Nachhaltigkeit interessiert sind, ziehen auf verschiedene Art und Weise einen Nutzen daraus: einem höheren Prestige, der mit dieser Art des Reisens verbunden ist, einem höheren Genuss oder dem Gefühl, etwas Richtiges getan zu haben. Diese Nutzenaspekte stehen jedoch in harter Konkurrenz zu anderen Motivlagen. Zum Beispiel kann ein Prestigenutzen auch mit einem exotischen Reiseziel oder einer besonders teuren Reise verbunden sein. Auch die Erwartung höherer Kosten bei einer nachhaltigen Unterkunft könnte auf die Akzeptanz drücken. Die Autoren kommen zu dem Fazit: „Je höher das Involvement und der ‚Ausnahmecharakter‘ des Konsums, desto eher scheint die positive Nachhaltigkeitseinstellung von anderen Aspekten überlagert zu werden: Konsumenten erlauben sich in dieser Situation etwas, was gegen ihre Einstellung spricht.“
So zeige sich, dass Einstellungsveränderungen nicht ausreichen, um zu einer Verhaltensänderung zu kommen. Eine Schlussfolgerung könnte daher lauten, den Preisabstand zwischen nachhaltigeren und weniger nachhaltigen (umwelt- und sozialschädlichen) Urlaubsreisen zu verringern, beispielsweise indem es zu einer ausreichend hohen CO2-Bepreisung im Verkehrssektor kommt. Dass der Preis eine sensible Rolle spielt, zeigt der Umstand, dass die höchste Einkommensgruppe in der durch die Reiseanalyse erfassten Personen (4000 Euro und mehr) bis zu 36 Prozent der Verkehrsleistung erzeugt, aber nur 20 Prozent der Bevölkerung repräsentiert.
Ein etwas positiveres Bild zeigt sich bei Geschäftsreisen. Hier wird nach Angaben der Umfrage RA Business mittlerweile für 12 Prozent der Reisen eine CO2-Kompensation entrichtet. Und der Anteil der Geschäftsreisen, bei denen ein Angebot mit Umweltzeichen oder Nachhaltigkeitslabeln genutzt werden, liegt bei 14 Prozent. Bei Incentivereisen wird sogar für fast jede dritte Reise (30 Prozent) ein Umweltzeichen oder Nachhaltigkeitslabel aktiv berichtet.
Text: Oliver Jorzik (Earth System Knowledge Platform | ESKP)
Referenzen
Berster, P., Gelhausen, M., Pabst, H. & Wilken, D. (2020, 2. März). Luftverkehr – Touristik – Ausblick Sommer 2020 [www.dlr.de]. Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt – DLR.
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt – DLR. (2020, 17. März). DLR Global Aviation Monitor. Deutlicher Einbruch im weltweiten und insbesondere im deutschen Luftverkehr mit Ausblick auf Erholung [Pressemitteilung, www.dlr.de]. Aufgerufen am 17.03.2020.
Reinhardt, U. (2020). Tourismusanalyse 2020. Hamburg: Stiftung für Zukunftsfragen, Eine Initiative von British American Tobacco.
Schmücker, D., Sonntag, U. & Günther, W. (2019). Nachhaltige Urlaubsreisen: Bewusstseins- und Nachfrageentwicklung. Grundlagenstudie auf Basis von Daten der Reiseanalyse 2019. Kiel: NIT Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa GmbH.
Sonntag, U., Reif, J., Schmücker, D. & Eisenstein, B. (2019). RA Business. Erste Ergebnisse zu den Übernachtungsgeschäftsreisen der Deutschen 2019. Institut für Management und Tourismus (IMT) der FH Westküste, Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT), Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR).
Statistisches Bundesamt. (2020, 18. Februar). Weiteres Rekordjahr: 124,4 Millionen Fluggäste starteten 2019 von deutschen Flughäfen. [Pressemitteilung, www.destatis.de]. Aufgerufen am 05.03.2020.
Stiftung für Zukunftsfragen. (2020, 12. Februar). Tourismusanalyse 2020 – Fernreiseboom in Zeiten des Klimawandels [www.tourismusanalyse.de]. Aufgerufen am 4.3.2020.
DOI
https://doi.org/10.2312/eskp.003
Veröffentlicht: 05.03.2020, 7. Jahrgang
Zitiervorschlag: Jorzik, O. (2020, 5. März). Flugreisen und Klimadebatte. Earth System Knowledge Platform [www.eskp.de], 7. doi:10.2312/eskp.003