CoastMap ist das marine Geoportal des Instituts für Küstenforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht. Es bündelt anschaulich Analysen und Modelldaten für die Nordsee. In coastMap fließen die gesammelten Messdaten des Meeresgrundes, der darüber liegenden Wassersäule und Atmosphäre ein. Alle Daten der Forschungsexpeditionen werden auf diese Weise zentral systematisiert und Ergebnisse und Erkenntnisse insbesondere auch für Laien verständlich aufbereitet. Ein wichtiger Baustein des Portals ist die coastMap-App. Die Webapplikation lädt alle Wissenschaftsinteressierten zur Entdeckungsreise ein – von der Elbmündung, über Helgoland bis an den Rand der Doggerbank. Das coastMap-Portal stellt die Einflüsse des Menschen auf die Meeresumwelt, so zum Beispiel die räumliche Verteilung von organischen Schadstoffen sowie die chemischen Belastungen, dar. Mit den umfangreichen Modelldaten der coastMap können realitätsnah extreme und mittlere Verhältnisse in der Nordsee für jeden Ort und für lange Zeiträume abgebildet werden. Bald könnte es sogar möglich werden, die Eintragsregion von Schadstoffen genau zurückzuverfolgen, wodurch wiederum die Verursacher von Verschmutzungen noch besser identifiziert werden könnten.
Herr Prof. Dr. Emeis: Angenommen Sie wären nicht Leiter des Instituts für Biogeochemie am Helmholtz-Zentrum Geesthacht, sondern einfacher Küstenanrainer an der Nordsee. Welche Informationen des coastMap Portals würden Sie sich als erstes ansehen? Was ist besonders spannend?
Prof. Dr. Emeis: In coastMap haben wir eine Rubrik, die heißt „Schlaglichter“. Hier stellen wir die Daten und Modellergebnisse in den Kontext von bestimmten Fragenkomplexen. So beispielsweise zum Wattenmeer, zu unserer Strömungsforschung, die wiederum für die Ausbreitung von Schadstoffen relevant ist, oder zu Schiffsabgasen. Dabei sind Themen auch für Laien aufbereitet. Beispielsweise enthält die coastMap interaktive Karten oder gut verständliche Erklärtexte, sodass man sie auf verschiedenen Ebenen selbst erkunden kann. In unserem nächsten Schlaglicht dreht sich übrigens alles um das große Thema Eutrophierung, also den übermäßigen Nährstoffeintrag in die Nordsee.
Was macht Ihr Datenportal, d.h. die Kampagnendaten, für Wissenschaftler so interessant?
Prof. Dr. Emeis: Die Kampagnen-Datenbank erfüllt drei Zwecke. Zum einen soll sie Messdaten erfassen und abrufbar vorhalten. Das gehört einfach zum selbstverständlichen Arbeitsprinzip jedes Forschers, jeder Forscherin. Hier haben wir eine Prozedur entwickelt, um diejenigen, die Daten liefern, zu belohnen. So vergeben wir gemeinsam mit dem Weltdaten-Center PANGAEA einen sogenannten Digital Object Identifyer (DOI). Das ist dann wie eine Veröffentlichung zu werten und bringt jedem einzelnen Forscher notwendige Punkte im wissenschaftlichen Umfeld. Zum anderen sind momentan viele ältere Daten, die teils nur als Tabellen vorliegen, entweder noch verteilt oder ruhen irgendwo ungenutzt. Im schlechtesten Fall gehen sie verloren. Das wollen wir unbedingt verhindern und diese Schätze nach und nach aufarbeiten. Auch lassen sich die Daten nun besser teilen. Die Kampagnen-Datenbank ist mit anderen Datenbanken durch standardisierte, international akzeptierte Formate und Dienste verbunden. Es gilt das Prinzip "auffindbar, zugänglich, kompatibel und wiederverwendbar" unserer Forschungsdateninfrastruktur. Das ist eine nationale Aufgabe. Die großen Datenmengen werden insgesamt händelbarer, weil sie gut durchsucht werden können.
Wissenschaftler sind oft unterwegs auf Messkampagnen. Wie unterstützt sie coastMap hier?
Prof. Dr. Emeis: Die Datenbank erleichtert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Expeditionsbuchhaltung. So werden Positionen, Zeit, Bilder, Notizen und ähnliches direkt und internetbasiert erfasst. Das verhindert Übertragungsfehler und stellt von Anfang an sicher, dass wertvolle Information in einer langen Reihe von Schritten wie Probennahme, Probenvorbereitung, Messung, Auswertung und dann schlussendlich Veröffentlichung zusammengeführt werden können. Die Daten sollen verlässlich und abrufbar gespeichert sein, auch wenn keine eigene Dateninfrastruktur vorhanden ist, wie dies manchmal an Universitäten der Fall ist. Unis haben praktisch leider fast nie disziplinübergreifend Datenmanager, auch weil sie thematisch zu divers aufgestellt sind.
Werden Modelldaten besser zugänglich?
Prof. Dr. Emeis: Wissen Sie, es ist so: In der Wissenschaft arbeitet jemand entweder im Labor oder aber die Forscher beschäftigen sich explizit mit Modellen an Rechnern. Die beiden Welten haben nicht viel miteinander zu tun. Mit coastMap jedoch werden diese beiden Arbeitswelten auf sehr innovative Art und Weise zusammengeführt. Modelldaten sind häufig außerordentlich umfangreiche Datenmengen in Raum und Zeit. Die sind für Nicht-Modellierer praktisch nicht zu handhaben. Wenn ich beispielsweise wissen will, wie die mittlere Temperatur oder die Bewegungsenergie am Boden der Nordsee in einem bestimmten Gebiet sich über die letzten Jahrzehnte verändert hat, was minimale oder maximale Temperaturen in einem Zeitraum waren, dann kann ich das mit einfachen Mitteln in unserem Modellanalysetool ersehen. Ich selber habe immer bedauert, nicht mit Modellen weiterarbeiten zu können, denn moderne Modelle sind leistungsstarke Werkzeuge mit Terabytes von Daten, die nun besser verfügbar sind.
Erleichtert coastMap die interdisziplinäre Arbeit?
Prof. Dr. Emeis: Ja, in der Tat. Häufig arbeiten die Wissenschaftler in ihren Projekten in Gruppen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen. Dabei fallen viele Beobachtungs- und Messdaten an. In vielen Fällen haben diese Daten Beziehungen zueinander. So ist beispielsweise die Konzentration von organischen Schadstoffen abhängig von der Korngröße und den Konzentrationen an organischem Material. Um diese Beziehungen erkennen zu können, sollten alle Messdaten an einer Probe abrufbar sein, um sie statistisch auszuwerten. Nehmen wir die Nordsee: Hier ist ein gutes Beispiel die Verbreitung von typischen Gemeinschaften bodenlebender Organismen. Ihre Verbreitung wird bestimmt durch ihre Präferenzen unter anderem in Bezug auf Temperatur und Salzgehalt, Bodenbeschaffenheit, Nahrungsangebot bzw. der Energie am Boden durch Wellen und Strömung. Diese Information kann man durch Messungen zur Zeit der Probennahme mit Schiffen nicht ablesen – sie schwanken häufig stark. Da hilft die Analyse von Modelldaten, die extreme und mittlere Verhältnisse realitätsnah für jeden Ort und lange Zeiten abbilden.
Wo decken sich Modelle und Daten aus der Beobachtung direkt in der Nordsee besonders gut?
Prof. Dr. Emeis: Unsere Paradebeispiele sind die Verteilung von Öl bei Unfällen sowie Schiffsemissionen. Hier sind wir schon sehr gut, auch weil diese Modelle für einen bestimmten Zweck gemacht wurden. Darüber hinaus stehen die hydrodynamischen Modelle, Strömungsmodelle und unsere Temperatur- und Salzmodelle in sehr guter Übereinstimmung mit den verfügbaren Beobachtungen. Es gibt aber nie ein Modell, welches alle Aspekte von so komplexen Dingen wie einem Küstenökosystem perfekt abbildet. Was spezifische Dinge angeht, kann man die Modelle zwar so konzipieren, dass sie den Beobachtungen sehr gut entsprechen. Das bedeutet aber nicht, dass das Modell in einer anderen Situation ganz genauso funktioniert. Unser Anliegen ist also, aus der Kombination von Modellen und Daten, die beide für sich genommen nicht perfekt sein können und uns die Realität nie ganz umfassend abbilden können, einen besseres, räumlich und zeitlich umfassenderes Produkt zu schaffen.
Welche Informationen sind aus Ihrer Sicht insbesondere für die Politik sehr aufschlussreich? Was würden Sie aktuell besonders genau beobachten?
Prof. Dr. Emeis: Wir arbeiten gerade daran, die spezifischen chemischen und isotopischen Fingerabdrücke einzelner Flüsse und Einzugsgebiete zu erfassen. Wenn die Wässer und Partikel aus den Flüssen in die Nordsee gelangen, werden sie dort intensiv vermischt und über weite Strecken transportiert. Wir hoffen, dass wir durch die Kombination von Messungen und Transportmodellierung die Herkunft neuartiger organischer Schadstoffe oder anorganischer Stoffe rekonstruieren können. Das ist ein erster, sehr wichtiger Schritt zur Regulierung möglicher problematischer Einleitungen. In weiteren Arbeiten schauen wir uns spezifische Emissionen von Windparks an. So untersuchen wir, ob ein Gefährdungspotential durch die Freisetzung von Metallen oder problematischen organischen Substanzen besteht. Wir schauen, ob wir diese spezifische Quelle, das heißt die Windparks, in den Messungen erkennen.
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Könnten Sie die Windpark-Thematik noch etwas genauer beleuchten?
Prof. Dr. Emeis: Nach Fukushima kam die 180-Grad-Wende in der Energiepolitik praktisch über Nacht. Als damals die "Ausschließliche Wirtschaftszone", welche in der Obhut des Bundes ist, für Windparks auserkoren wurde, ging alles sehr schnell. Die Norddeutschen Bundesländer waren über diese Industrie froh. Keiner hatte sich Gedanken gemacht, was das überhaupt für unsere anderen Ziele wie die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und den Vogel- und Naturschutz bedeutet oder die Nordsee als Ökosystem, die wir eigentlich so erhalten wollen. Erst jetzt fängt man an das zu untersuchen. Am Helmholtz-Zentrum Geesthacht beschäftigen wir uns auf vielen Ebenen mit dem Thema. Abwasserfahnen der Windparks werden auf Chemikalien untersucht. Wir müssen mögliche neue Quellen im Auge behalten. So gibt es Opferanoden aus Aluminium, die edlere Metalle am Windrad vor dem Rosten bewahren, oder auch Plastik in den Sandsäcken. Eine noch ungelöste Frage ist auch, was mit einer Millionen Tonnen Metall - dem Fundament der Windräder - geschieht, wenn diese außer Betrieb sind. Trotz dieser neuen Fragestellungen kann ich sagen, dass die Tendenzen in der Nordsee durchweg positiv zu bewerten sind. Momentan werden alle Grenzwerte unterschritten.
Herr Prof. Dr. Emeis, wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Jana Kandarr (ESKP).
Teil 2 des Interviews finden Sie hier.
Weiterführende Informationen
coastMap Portal
coastMap-App
Biogeochemie im Küstenmeer: Institut für Küstenforschung, Helmholtz-Zentrum Geesthacht (HZG)
Resonator Forschungspodcast „Nordseebiogeochemie“ der Helmholtz-Gemeinschaft. Prof. Dr. Kay-Christian Emeis (HZG) im Gespräch.