Ein Erdbeben. Plötzlich sprudeln kleine Fontänen aus dem Boden, der Boden wabbelt wie Brei und Schlick wird massenweise mit dem Bodenwasser an die Oberfläche befördert. Mancherorts sacken daraufhin Gebäude – meist ungleichmäßig – ab, Autos versinken, Menschen waten durch den Morast. Selbst im erdbebenerfahrenen Neuseeland wurden bei den Beben 2010* und 2011* nahe Christchurch viele Anwohner von dem Phänomen völlig überrascht. Sie wussten nichts über die Ursachen der Bodenverflüssigung. „Liquefaction“ ist der englische Begriff, dessen Eingabe in Suchmaschinen beeindruckende Bilder zutage fördert.

In welchen Regionen kann es zu diesem Naturphänomen kommen? Die Frage ist zunächst, wie locker und feucht der Boden in einem Erdbebengebiet ist. In welcher Tiefe steht Grundwasser an, ist es oberflächennah? Kann zudem das Wasser in dieser Schicht nur schwer entweichen, ist der Grundwasserspiegel also gespannt? Küstengebiete mit den typischen Schwemmböden erfüllen diese Kriterien häufig. Prädestiniert sind Böden mit einer sehr gleichmäßigen Kornstruktur, insbesondere Sande wie sie in Deltas zu finden sind oder Löss- und Lehmböden. Diese „jüngst“, also in den letzten 10.000 - 15.000 Jahren abgelagerten, wassergesättigten Sedimente können sich, sofern sie den Druckwellen eines oberflächennahen Hochfrequenz-Erdbebens ausgesetzt sind, verflüssigen. Denn locker gelagerte Böden bleiben nur durch den Kontakt und Reibung jedes einzelnen Sandkorns mit einem anderen stabil und verhältnismäßig fest. Durch die Druckwelle eines Erdbebens muss sich der Boden jedoch verdichten, wird plötzlich zusammengepresst. Das Wasser in den Poren stemmt dagegen, der Porendruck steigt, das Grundwasser der wassergesättigten Schicht wird empor gedrückt. Die einzelnen Sandkörner verlieren in der Folge vollständig den Kontakt. Daraufhin zerfällt das Korngerüst und der Boden verhält sich ohne Scherkräfte selbst wie eine Flüssigkeit. Innerhalb kürzester Zeit wird der Boden zu einer breiartigen Masse und verliert jeden Reibungswiderstand.

Sandiges Wasser bahnt sich dann den Weg entlang des geringsten Widerstandes. Es kann in einigen Gebieten am leichtesten an der Erdoberfläche austreten. Dadurch baut sich der entstandene Druck ab. Wasser tritt aus dem Boden und es sprudeln mancherorts regelrecht kleine Fontänen aus dem Boden. Sie hinterlassen Formen, die an Miniaturvulkane erinnern. Mancherorts bilden sich durch entweichendes Bodenwasser massenweise Schlamm und Schlick. Nach den großen Beben von 2011 nahe Christchurch beispielsweise fanden sich in den Straßen dicker Schlamm und Morast. Über 500.000 Tonnen Schlick mussten nach dem Erdbeben in Neuseelands zweitgrößter Stadt entfernt werden. Gebäude kippten oder sackten in der Folge ab. Durch die Bodenverflüssigung sinkt die mechanische Stabilität der Bodenschichten und damit auch die Tragfestigkeit der Böden. Die seitliche Verschiebung und Verlagerung von großen Bodenblöcken – meist in Gebieten mit leicht abfallenden Hängen – führt dazu, dass viele wichtige Infrastrukturen betroffen sein können. Dann können vor allem Pipelines und Straßen schwer in Mitleidenschaft gezogen werden. Bei dem Großen Alaska-Beben von 1964, dem größten Einzelbeben in der Geschichte der USA, kam es zu massiven Landverschiebungen.

Im Anschluss an die verheerenden Erdbeben von 2011, haben die Neuseeländer nun entsprechende Gefahrenzonen für Bodenverflüssigung in Karten ausgewiesen. Für Christchurch sind dies Zonen, in denen Sande, also der Boden vor Ort, circa zwei bis 10 Meter mächtig ist und sich eine Grundwasserschicht in nur ein bis anderthalb Meter daran anschließt. Hier muss mit Bodenverflüssigung gerechnet werden. Die höchste Neigung zur Verflüssigung haben generell sandige Böden; junge, lockere Sedimente in Tiefen bis maximal 25 m. Grobkörniges Material hingegen, wie z.B. Schotter im Boden, ermöglicht es dem Wasser schnell zu entweichen. Der Abbau des Porenwasserüberdrucks geht hier schnell und Bodenverflüssigung spielt normalerweise keine Rolle.

Erdbeben, die mit großflächiger Bodenverflüssigung einhergingen, sind neben den Christchurch-Erdbeben 2011, beispielsweise das Erdbeben in Haiti 2010, das Loma-Prieta-Erdbeben in San Francisco von 1989 oder das verheerende Tangshan Erdbeben im Jahre 1976 in China. Nachgewiesen wurde die Bodenverflüssigung auch für mehr 1200 km2 im Schwemmland der Po-Ebene in Norditalien nach dem zwei Hauptbeben am 20. Mai 2012 (Mw ~ 6.1) und am 29. Mai 2012 (Mw ~ 6.0). Grundsätzlich müssen in jedem Erdbebengebiet, welches sandige und wassergesättigte Böden aufweist, nähere Untersuchungen zur Gefährdung folgen. Ein wichtiger Anhaltspunkt sind historische Informationen.

* Canterbury Sequenz: 4. September 2010  (Mw = 7.1) / 22. Februar 2011 (Mw = 6.2) / 13. Juni 2011 (Mw = 5.3 um 13 Uhr und Mw = 6.0 um 14:20 Uhr ) / 23. Dezember 2011 (Mw = 5.8 um 13:58 Uhr und Mw = 5.9 um 15:18 Uhr).
Alle Angaben in Ortszeit.


Text:  Jana Kandarr, Earth System Knowledge Platform | ESKP
Fachliche Prüfung: Dr. Massimiliano Pittore

Referenzen

  Amorosi, A., Bruno, L., Facciorusso, J., Piccind, A., & Sammartino, I. (2016). Stratigraphic control on earthquake-induced liquefaction: A case study from the Central Po Plain (Italy). Sedimentary Geology, 345, 42-53. doi:10.1016/j.sedgeo.2016.09.002

  Jaimes, M. A., Niño, M. & Reinoso, E. (2015). Regional map of earthquake-induced liquefaction hazard using the lateral spreading displacement index DLL. Natural Hazards, 77(3), 1595-1618. doi:10.1007/s11069-015-1666-1

  Morgenroth, J., Hughes, M. W. & Cubrinovski, M. (2016). Object-based image analysis for mapping earthquake-induced liquefaction ejecta in Christchurch, New Zealand. Natural Hazards, 82(2), 763-775. doi:10.1007/s11069-016-2217-0

  Oommen, T., Baise, L. G., Gens, R., Prakash, A. & Gupta, R. P. (2013). Documenting Earthquake-Induced Liquefaction Using Satellite Remote Sensing Image Transformations. Environmental & Engineering Geoscience, 19(4), 303-318. doi:10.2113/gseegeosci.19.4.303

  Pohl, M. (2008). Einfluss des Grundwassers auf die Schadenswirkung von Erdbeben [TU Bergakademie Freiberg, Institut für Geologie, Haupseminar 2008].

Weiterführende Informationen

  Kandarr, J. (2018). Smarte technische Textilien schützen Häuser bei Erdbeben. ESKP-Themenspezial Metropolen unter Druck. So werden Städte zukunftsfähiger [themenspezial.eskp.de]. Aufgerufen am 13.04.2021.

  Pittore, M. (2018). Gegenwart und Zukunft von Frühwarnsystemen für Erdbeben. ESKP-Themenspezial Metropolen unter Druck. So werden Städte zukunftsfähiger [themenspezial.eskp.de]. Aufgerufen am 13.04.2021.

Veröffentlicht: 18.10.2017, 4. Jahrgang

Zitierhinweis: Kandarr, J. (2017, 18. Oktober). Wenn sich plötzlich der Boden verflüssigt. Earth System Knowledge Platform [eskp.de], 4https://www.eskp.de/naturgefahren/bodenverfluessigung-nach-erdbeben-935963/

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