Das größte Solarwärmekraftwerk der Welt inmitten in der strahlungsreichen Wüste Marokkos, ein Entwicklungshilfekredit zur Schaffung neuen Agrarlandes für Kaffeeplantagen in Madagaskar, oder Gelder zum Bau einer Küstenstrasse und Anbindung wenig entwickelter Gebiete in Tansania. Wie beeinflussen Klimaänderungen solche langfristig angelegten Projekte? Steigen die Temperaturen weiter, ist das zwar gut für Solarthermie, aber Photovoltaik-Zellen liefern umso weniger Energie. Ihr Wirkungsgrad sinkt linear mit steigender Temperatur. Mit zunehmender Trockenheit und damit eventuell erhöhtem Staubeintrag, ist eine Änderung der solaren Einstrahlung am Boden wahrscheinlich. Ein Anstieg der Durchschnittstemperaturen und ein veränderter Wechsel von feuchten und trockenen Bedingungen im Jahresverlauf wiederum könnte die Verbreitung des "Kaffeerostes" (Rostpilz Hemileia vastatrix) begünstigen und zu immensen Ernteausfällen führen. In welchem Maße steigt der Meeresspiegel regional und gefährdet Infrastrukturen an der Küste? Politische Entscheidungsträger und Kreditgeber sind gezwungen über die Nachhaltigkeit der geplanten Entwicklungshilfeprojekte und Investitionen nachzudenken, denn Fehlentscheidungen verschlingen enorme Summen. Die Berücksichtigung klimatischer Faktoren ist ein Muss geworden. Allein das tatsächlich umgesetzte Projekt in Marokko birgt geschätzte Gesamtkosten von 2,6 Milliarden US-Dollar, die Weltbank wird 400 Millionen Dollar vorfinanzieren. Noor 1, das erste Kraftwerk dieses weltweit größten Solarenergie-Komplexes, wurde gerade in Betrieb genommen und braucht voraussichtlich circa 480.000 Liter Wasser pro Jahr zur Kühlung der Parabolrinnen. Das Wissen um die klimatische Wasserbilanz der Region würde zeigen, wieviel Wasser überhaupt verfügbar ist und Klimaprojektionen geben Hinweise, ob und wie sich das in der Zukunft ändern kann.
Klimainformationen erstmals von Land zu Land vergleichbar
Bisher war es extrem schwierig, länderübergreifend vergleichbare Informationen zu den möglichen zukünftigen Entwicklungen des Klimas zu beschaffen. Insbesondere Entwicklungsländer haben zudem nicht die Kapazitäten, um die Vielzahl verfügbarer Klimasimulationen auszuwerten. Mit den Climate-Fact-Sheets, die gemeinsam vom Climate Service Center Germany (GERICS, Helmholtz-Zentrum Geesthacht) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau entwickelt wurden, wird es einfacher in die Zukunft zu schauen. Dabei liegt der Fokus auf Informationen zu möglichen Klimaänderungen für das 21. Jahrhundert. Bis 2030, 2050 und 2085 sind die Eckpfeiler der Datenauswertungen. Mehr als 70 Klimasimulationen des CMIP5 wurden berücksichtigt. Auf wenigen Seiten legen die Climate-Fact-Sheets nun die wesentlichen Klimacharakteristika individueller Länder oder Regionen auf der ganzen Welt dar. Regionen werden dann betrachtet, wenn einzelne Länder, wie Ecuador beispielsweise, zu klein sind, um bei einer räumlichen Auflösung zwischen 100 und 500km sinnvolle Aussagen zu machen. So mussten beispielsweise Ecuador und Peru gemeinsam betrachtet werden. Brasilien ist als Land hingegen so groß, dass es sich über mehrere verschiedene Klimazonen zieht. In solchen Fällen werden die Auswertungen individuell für einzelne Klimazonen gemacht und entsprechend im Climate-Fact-Sheet separat dargestellt.
Länderspezifische Klimainformationen kompakt auf einen Blick
Jedes Climate-Fact-Sheet beginnt mit wesentlichen Fakten zum aktuellen Klima. Alle Klimazonen eines Landes/Region werden gemäß der Köppen-Geiger Klassifikation aufgelistet, allgemeine klimatische Spezifika noch einmal kurz dargelegt: der kalte Humboldt Strom verursacht die Trockenheit an der Küste Perus (BWh - Heißes Wüstenklima), der Benguela Strom das kühle trockene Klima an Namibias Küsten und dergleichen. Es folgt eine übersichtliche Zusammenschau der historischen Entwicklung des Klimas im 19. Jahrhundert im jeweiligen Land/Region. Auch ansonsten mühsam zu recherchierende Daten wie die mittlere Dauer von Hitzeperioden werden dargelegt. Hier wurde eine Definition für Hitzeperioden verwendet, die Tage mit Temperaturen betrachtet, welche nur in 5% der Tage im Referenzzeitraum überschritten werden. Deshalb sind sie zum Beispiel in Brasilien und ariden Namibia im Mittel gleich lang, aber unterscheiden sich natürlich im absoluten Schwellwert der Temperatur. Oder aber es findet sich die mittlere Dauer von Trockenperioden, die sich recht beträchtlich in den beiden Ländern unterscheidet. Im gemäßigten Klima Brasiliens sind es im Schnitt nur 11 Tage und in Namibia ganze 131 Tage. Sogar die spezifische solare Einstrahlung, also die Energie, angegeben in Kilowattstunde pro Quadratmeter und Jahr, die den Boden im Schnitt in dieser Region erreicht, ist Teil der Kurzübersicht. Für die Planung von neuer landesweiter Verkehrsinfrastruktur beispielsweise sind auch Starkregenereignisse von Bedeutung. So fiel historisch im trockenen Namibia im Schnitt knapp ein Zehntel der jährlichen Niederschlagsmenge an einem einzigen Tag. Die Einleitung schließt mit einem kurzen Rückblick auf Extremwetterereignisse. In Brasilien, so zeigt sich im Rückblick, hat die schwere Dürre zwischen 2012 und 2014 bis zu 27 Millionen Menschen betroffen und einen geschätzten Schaden von mindestens 1,46 Milliarden US-Dollar angerichtet.
Hauptkomponente der Climate-Fact-Sheets sind anschließend folgend zahlreiche fundierte Aussagen* zu den möglichen Klimaänderungen unter der Annahme verschiedener Emissionsszenarien. Zudem werden die regionalen Änderungen unter zwei unterschiedlichen globalen Erwärmungsraten betrachtet. Erste Annahme ist: die globale Mitteltemperatur steigt um weniger als 2°C. Dieses politische Ziel kann nur erreicht werden, wenn weitere klimawirksame Emissionen weitgehend vermieden werden. Zweite Annahme ist eine Steigerung der globalen Mitteltemperatur um über 4°C bis zum Ende des 21. Jahrhunderts. Am zuverlässigsten projizieren die Klimamodelle und damit auch die Climate-Fact-Sheets alle Parameter, die direkt oder indirekt auf Temperaturmessungen fußen. Hitzeperioden, Kältewellen, die mittlere Jahrestemperatur und die Temperaturmaxima werden demnach am zuverlässigsten für die Zukunft abgebildet. So wird beispielsweise der Norden und Nord-Westen Brasiliens die stärkste Temperaturerhöhung im Land verzeichnen. Bis Ende des Jahrhunderts ist dort in den feuchten Tropen eine Temperaturzunahme zwischen +1.7 und +5.3°C möglich, je nach zugrundeliegendem Emissionsszenario (Vergleichszeitraum 1971-2000). Die Spannbreiten der möglichen Klimaänderungen sind groß. So könnten zukünftig (2050) Hitzewellen in Ecuador/Peru 6 bis 94 Tage länger dauern. Dennoch zeigen genau diese Korridore Planern Szenarien auf, mit denen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist. Ein Szenario ist dann sehr wahrscheinlich, wenn 90% aller projizierten Veränderungen in ihm berücksichtig werden. Ein besonderes Detail sind die Expertenbewertungen der Signalstärke und des Vertrauens in die projizierten Änderungen. Sie basieren auf klar definierten Kriterien und der Durchführung standardisierter Berechnungen für jedes Land/Region: zum Beispiel wird berechnet, wie stark die projizierte Änderung eines Parameters aus der natürlichen Schwankungsbreite im Referenzzeitraum hinausgeht. Und wie gut geben die Modelle die heutigen Klimabedingungen wieder und wie gut stimmen sie in den Projektionen zukünftiger Änderungen überein.
Besonders schwierig ist es, aus Klimamodellen Änderungen von Windgeschwindigkeiten und der solaren Einstrahlung, die stark von der Wolkenbildung abhängt, abzuleiten. Hier wirken großräumige Prozesse mit vielen kleinräumigen Prozessen zusammen, die nicht alle mit den verfügbaren Klimamodellen abgebildet werden können. Überhaupt ist die Abbildung von Wolken in Klimamodellen nach wie vor eine große Herausforderung für die Modellierer. Auch die Abbildung von kleinräumigen Strukturen an der Erdoberfläche wie Vegetationsbedeckung, Bodeneigenschaften, Bebauung und Versiegelungsgrad ist in grobmaschigen Modellgittern nicht direkt möglich - diese beeinflussen aber die Windgeschwindigkeiten besonders in Bodennähe maßgeblich.
Regionsspezifischer Anstieg des Meeresspiegels bis 2085
Neben all den bereits genannten Klimaparametern, bieten die Climate-Fact-Sheets nach der neusten Aktualisierung auch Angaben zum möglichen Anstieg des Meeresspiegels bis 2085, erstmals regionsspezifisch ausgewertet mit konkreten Zahlen. Hier werden die Stadtplaner vieler Regionen alarmiert sein, so vielleicht auch in Rio de Janeiro. Modellsimulationen des 5. Sachstandsberichtes des Weltklimarates zeigen für die Zukunft (bis 2090) einen Meeresspiegelanstieg zwischen +0.38 und +0.95 m bei Rio de Janeiro (Szenario mit hohen Emissionen). An einer Station auf den Philippinen wurde bereits historisch ein deutlicher Anstieg des Meeresspiegels von mehr als 34 cm von 1947 bis 2009 verzeichnet (Ø 5,4mm/Jahr bei Legazpi, Philippinisches Meer) verzeichnet. Für den Meeresspiegel an der Küste von Namibia projizieren Modellsimulationen einen Anstieg zwischen +0.44 bis +1.0 m bis 2090 bei Walvis Bay für das Szenario mit hohen Emissionen. Die Climate-Fact-Sheets bieten unter dem Punkt ‚Meeresspiegelanstieg‘ auch eine erste vorsichtige Einschätzung wie wirtschaftlich anfällig eine Region daraufhin sein könnte, basierend auf einem Bericht der Weltbank. Ein Ranking in dem Bericht weist auch auf die zehn vulnerabelsten Länder gegenüber dem Auftreten von Sturmfluten in Bezug auf den prozentualen Anteil des Bruttoinlandprodukts in den dortigen Küstengebieten hin. Besonders vulnerabel sind demnach: Bahamas, Kuweit, Belize, Vereinigte Arabische Emirate, Mozambique, Togo, Puerto Rico, Marokko, Philippinen und die Republik Jemen.
Die große Leistung der Climate-Fact-Sheets liegt unter anderem darin, dass erstmals für bisher wenig untersuchte Regionen, regionale Zeitreihen und Daten verfügbar sind. Die Climate-Facts-Sheets sind bewusst neutral gestaltet und sachlich gehalten. Es wird zudem eine standardisierte Experteneinschätzung zur Stärke und Verlässlichkeit der Ergebnisse gegeben. Von einer weiteren Wertung der Ergebnisse wird Abstand genommen. Die Daten sind zuverlässig, systematisch und reduzieren die Ergebnisse der äußerst komplexen Klimamodellierungen auf die wesentlichsten Informationen.
* Alle Parameter auf einen Blick:
- Temperatur (Jahresmittel- , Jahresminimum- & Jahresmaximumtemperatur)
- Niederschlag (Jahressumme und Jahresgang)
- Aktuelle Verdunstung (Jahressumme)
- Klimatische Wasserbilanz (berechnet aus Differenz zwischen Niederschlag und Verdunstung)
- Mittlere Windgeschwindigkeiten
- Mittlere Strahlungseintrag
- Hitze- & Kälteperioden
- Trockenperioden
- Starkregenintensität & -häufigkeit
- Starkwindintensität & -häufigkeit
- Meeresspiegelanstieg
Climate-Fact-Sheets Datenbasis und Aktualisierung
Die Informationen zum heutigen Klima und der historischen Entwicklung im 19. Jahrhundert basieren auf der Auswertung globaler Beobachtungsdatensätze, u. a. der Climate Research Unit der University of East Anglia, sowie Literaturstudien. 2016 wurden die Climate-Fact-Sheets aktualisiert. Die Informationen zu den möglichen Entwicklungen des Klimas im 21. Jahrhundert basieren nun maßgeblich auf den Auswertungen der Klimasimulationen des CMIP5 (Coupled Model Intercomparison Project Phase 5), die auch Datenbasis des 5. Sachstandsberichtes des Intergovernmental Panel on Climate Change sind. Diesen Projektionen der Klimaänderungen liegen die so genannten „Repräsentativen Konzentrationspfade“ (engl.: Representative Concentration Pathways - RCPs) zugrunde. Zudem werden die Simulationen des CMIP3 im Vergleich ausgewertet, denen die Emissionsszenarien des "Special Report on Emission Scenarios" (SRES) des IPCC zugrunde liegen. Zur Abschätzung des Meeresspiegelanstiegs wurden Ergebnisse gekoppelter Atmosphären-Ozean Zirkulationsmodelle verwendet, entsprechend der Datenbasis des 5. IPCC Berichtes (Kapitel 13). Die Abschätzung der ökonomischen Vulnerabilität und das entsprechende Ranking der Länder basiert auf einem Bericht der Weltbank: Brecht, H., Dasgupta, S., Laplante, B., Murray, S., & Wheeler, D. (2012). Sea-Level Rise and Storm Surges. The Journal of Environment & Development, 21(1), 120–138.
Bestellung der Climate-Fact-Sheets
Mittlerweile sind Climate-Fact-Sheets für 60 Länder, Regionen oder Klimazonen verfügbar. Sie können kostenfrei bestellt werden.
Weiterführende Informationen
Wie stark steigt der Meeresspiegel?
Mojib Latif, Professor für Klimadynamik und Leiter der Forschungseinheit Maritime Meteorologie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel äußert sich zur einer amerikanischen Studie, die die Beschleunigung des Anstieges des Meeresspiegels der letzten 25 Jahre belegt. Die Forscher extrapolieren diese hochgenauen Messdaten in die Zukunft. Ihr Ergebnis, das sie selbst als bewusst konservativ beschreiben, sagt einen Anstieg des Meeresspiegels von 65 Zentimeter bis zum Ende des Jahrhunderts voraus. Ausführliche Informationen finden sich im Beitrag der Helmholtz Gemeinschaft.
Text: Jana Kandarr (ESKP), fachliche Durchsicht und Ergänzungen: Dr. Diana Rechid (GERICS, HZG) und Dr. Andreas Hänsler (GERICS, HZG)